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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1055–1057

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kramer, Sabine

Titel/Untertitel:

Katharina von Bora in den schriftlichen Zeug­nissen ihrer Zeit.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 393 S. = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 21. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-03253-2.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Die Selbstetikettierung als »quellenbezogene Grundlagenstudie« (6) trifft es genau: Sabine Kramer, Geschäftsführende Pfarrerin an der Evangelischen Marktkirchengemeinde zu Halle, hat die während der Lebenszeit von Luthers Ehefrau Katharina von Bora (1499–1552) entstandenen, auf sie bezogenen Quellentexte erstmals in erstrebter Vollständigkeit zusammengetragen. Die Ausbeute ist erstaunlich: In etwa 500 zeitgenössischen Briefen und über 30 Ak­tenstücken findet sich »die Lutherin« mehr oder minder ausführlich erwähnt. Der Leipziger Kirchenhistoriker Günther Wartenberg hatte die Arbeit angeregt und bis zu seinem Tod 2007 betreut. Sie wurde im Wintersemester 2010/11 als Dissertation angenommen und steht nun glücklicherweise auch in gedruckter Form zur Verfügung.
Die als erstes Kapitel gezählte »Einleitung« erläutert die thematische und methodische Zugriffsweise, bietet aber insbesondere ein breites Referat zu Geschichte und aktuellem Stand der auf Katharina von Bora gemünzten Forschungs- und Publikationstätigkeit (15–42). Darauf folgen vier große, systematisch disponierte, nach Gattungen unterschiedene Materialübersichten sowie eine ab­schließende Ertragssicherung.
Das zweite, ausführlichste Kapitel präsentiert »Die Lutherin im Briefwechsel« (43–164). Zwar sind von ihrer Hand lediglich acht Briefe bekannt, davon sieben aus der Zeit nach Luthers Tod; ein von K. neu entdecktes Brieffragment vom 6. Dezember 1549 wird im Anhang (351 f.) ediert. Dagegen hat Luther in mehr als 280 Briefen, also etwa in jedem zehnten seiner überlieferten Schreiben, ihrer gedacht – ein für die Gelehrtenkorrespondenz des 16. Jh.s in der Tat höchst staunenswerter Befund (vgl. 44). Eingehend wird zumal der sehr asymmetrisch erhaltene Briefwechsel zwischen den Eheleuten bedacht (aus Luthers Feder sind 21 Schreiben erhalten, die allesamt verlorenen Briefe seiner Ehefrau lassen sich lediglich sporadisch erschließen). Er dokumentiert nicht nur das warmherzige Verhältnis der beiden, sondern beispielsweise auch die bei Katharina von Bora zumindest rudimentär vorhandenen Lateinkenntnisse oder ihre stetige Inanspruchnahme »als Mittlerin von Informationen, Meinungen und Grüßen« (73). Da Luther von seinen auswärtigen Dienstgeschäften jeweils nur die aktuelle Entwicklung berichtet, wird man in der Tat annehmen können, »dass Katharina durch Gespräche mit ihrem Mann über die jeweiligen Problemlagen Bescheid wusste« (273). Ergiebig sind auch die Briefwechsel anderer Wittenberger Reformatoren, zumal die Korrespondenz Philipp Me­lanchthons, der sich nach Luthers Tod am intensivsten um dessen hinterbliebene Familie gekümmert hat, sowie der Briefwechsel von Justus Jonas, dem Katharina in herzlicher Freundschaft verbunden war. In den Korrespondenzen der auswärtigen Freunde Luthers, namentlich Georg Spalatins und Veit Dietrichs, ist sie ebenfalls vielfach präsent. Es mag überraschen, dass erst danach dann auch der gesamte Briefwechsel Luthers zu quellenscharfer Vorführung kommt (137–154.156–159).
Als weitere Gattung bringt das dritte Kapitel die Überlieferung der Tischreden Luthers ins Spiel (165–196). Umsichtig werden dabei zunächst die bekannten quellenkritischen Probleme sowie die Unzulänglichkeiten des für die Abteilung »Tischreden« der Weimarer Ausgabe erstellten Registers bedacht. Die letztgenannte Schwierigkeit geht schon daraus hervor, dass das Register unter dem Stichwort »Luther, Käthe, Luthers Frau« (WAT 6, 608 f.) mehrfach Luthers allgemeine Reflexionen über das Thema der Ehe verbucht, ohne dass »die Lutherin« dort namentlich oder der Sache nach er­wähnt worden wäre. Daraufhin durchmustert K. die einzelnen Nachschriften bzw. Sammlungen der Tischreden Luthers, von de­nen sich die von Conrad Cordatus besorgte Zusammenstellung mit 46 einschlägigen Passagen, aber auch die Nachschriften von Johannes Mathesius (26 Vermerke) und Johann Schlaginhaufen (24 Vermerke) als besonders ergiebig erweisen.
Das vierte Kapitel verfolgt »Die Lutherin in der Kontroversliteratur« (197–244). Hier boten vor allem zwei biographische Ereignisse Anlass zu vielfältiger polemischer Häme und verlogener Denunziation: zum einen Katharinas Flucht aus dem Zisterzienserinnenkloster in Nimbschen, zum anderen, ungleich breiter, ihre 1525 vollzogene Eheschließung mit dem Mönch Martin Luther. Dies alles mitsamt den nach 1525 fortgesetzten kontroverstheologischen Verunglimpfungen Katharinas wird, um es eindeutig zweideutig zu formulieren, in erschöpfender Vollständigkeit vorgeführt. Vergleichsweise knapp präsentiert K. im fünften Kapitel schließlich noch »weitere schriftliche Quellen« (245–259), darunter zwei 1532 gehaltene Hauspredigten Luthers, Freundesberichte von Krankheit und Tod des Reformators oder erste historiographische bzw. biographische Fixierungen dieser bemerkenswerten Frau.
Während das quantitativ höchst stattliche Quellenmaterial dergestalt eher referierend denn interpretierend vorgeführt worden ist, konturiert der im sechsten Kapitel bilanzierte »Ertrag« das »zeitgenössische Bild der Lutherin« (261–277). Dabei wird Katharina von Bora als die zu ihrer Zeit prominenteste entlaufene Nonne, als Gattin des bedeutendsten Reformators und Angehörige der Wittenberger Oberschicht porträtiert, zudem als umsichtige, energische Hauswirtschafterin und Unternehmerin, als eigenständiger, aktiver Teil im reformatorischen Dauerdiskurs und, nicht zuletzt, als die »Leib- und Seelsorgerin Luthers« (273). Diese klare, bündige Rekonstruktion entwirft ein quellengesättigtes, in aller Kürze umfassendes Lebensbild. Von jeder hagiographischen Verklärung hält sich K. allerdings fern, weil solche himmelsgewandte Entrückung die reale Bedeutung weit eher zu verschleiern als zu erhellen droht. Als beispielhaft wertet sie diesen außergewöhnlichen Menschen am Ende gleichwohl: »Gerade in dem Mut, den sie aufbrachte, die existenzverändernden Umbrüche ihres Lebens zu gestalten, kann Katharina von Bora als ein Glaubensvorbild angesehen werden« (277).
Es wäre müßig, die Abfolge der nach Gattungen unterschiedenen, darin jeweils eigener Sachlogik folgenden Materialpräsentation kritisch diskutieren zu wollen. Dank der erfreulich feingliedrigen Disposition und des präzisen Personenregisters wird man sich auch bei einem bloßen Partikularinteresse sogleich mühelos zu­rechtfinden können. Darüber hinaus ist es nachhaltig zu begrüßen, dass K. im Anhang auch noch ein knapp kommentiertes, chronologisch geordnetes Repertorium aller von ihr ausgewerteten einschlägigen Briefe und Dokumente hinzufügt (279–350).
Der Band stellt eine herausragende reformationsgeschichtliche Bereicherung dar, wird auf sehr lange Zeit die für Katharina von Bora entscheidende »quellenbezogene Grundlagenstudie« bleiben und ruft inmitten des Jubiläumsjahres zu neuen, fundierten, fortschreitenden Studien auf.