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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1050–1052

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Walter, Peter, u. Günther Wassilowsky [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Konzil von Trient und die katholische Konfessionskultur (1563–2013). Wissenschaftliches Symposium aus Anlass des 450. Jahrestages des Abschlusses des Konzils von Trient, Freiburg i. Br. 18.–21. September 2013.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2016. X, 569 S. = Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 163. Geb. EUR 69,00. ISBN 978-3-402-11587-9.

Rezensent:

Reinhold Rieger

Während sich die evangelischen Kirchen in der »Lutherdekade« befanden, die auf das »Reformationsjubiläum« im Jahr 2017 zu­strebte, gedachten katholische Theologen und Historiker im Jahr 2013 eines Ereignisses, das als römische Antwort auf die Reformation betrachtet wurde, des Abschlusses des Konzils von Trient im Jahr 1563. Die Erinnerung an dieses Konzil diente dabei der Vergewisserung der eigenen katholischen Identität, zu der Theologen, aber auch Historiker beitragen wollten, die den Blick nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Gegenwart, ja in die Zu­kunft der katholischen Kirche richteten. Der Titel des Bandes verwendet den Begriff »katholische Konfessionskultur«, der nach der Einleitung des Bandherausgebers Wassilowsky den Begriff der »Konfessionalisierung« auf der Grundlage einer kulturalistischen Methode ablösen könnte, um die Entwicklung der Kirchen nach der Reformation zu beschreiben. Der Band dokumentiert die Beiträge zum im Titel genannten Symposion, das die Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum am Wirkungsort ihres Vorsitzenden, des Freiburger Dogmatikers Peter Walter, abhielt. Die thematische und methodische Ausrichtung der Beiträge gibt ihnen eher einen Platz im »Konfessionalisierungsparadigma«, als dass sie schon den titelgebenden Begriff der »Konfessionskultur« erschließen würde, da er sowohl zu weit (der Kulturbegriff ist keineswegs annähernd ausgeschöpft) als auch zu eng (kirchenstrukturelle und politische Aspekte finden Beachtung) erscheint. Implizite und zum Teil explizite Leitfragen der Beiträge sind: Wie tridentinisch war und ist die katholische Kirche seit dem Konzil von Trient?, und: Wie katholisch war das Konzil von Trient?
Seine Einführung rahmt der Mitherausgeber Günther Wassilowsky mit der rhetorischen Frage: »Was wäre die Geschichte der Religion ohne Mythen?« (1.29) und führt damit den Begriff des Mythos ein, den er aus der Religionswissenschaft entlehnt, aber unter der Hand auf dem Weg über den Begriff der »Geschichtsmythen« (1) zu einem metahistorischen Begriff umformt, der nicht mehr die bildhafte Rede von Göttern, sondern historische Konstrukte meint und damit zu einem Leitbegriff gemacht wird, der die variable Rezeption des Konzils von Trient erklären soll. Angesichts der unterstellten Unvermeidbarkeit solcher »mythischen« Konstrukte erscheint es als fraglich, ob der methodisch einleuch tende Vorschlag, zwischen »trientisch« und »tridentinisch« zu unterscheiden (26; wäre, wenn schon unterschieden wird, nicht noch »tridentistisch« zu ergänzen für eine traditionalistische Re­zeption von Trient?), durchführbar ist, da schon der Gegenstand selbst an seinem Mythos gestrickt haben wird. Die neuere Forschung habe, so Wassilowsky, das antikatholische und (!) katholisch-traditionalistische Vorurteil widerlegt, das Konzil von Trient sei päpstlich gelenkt und antiprotestantisch ausgerichtet gewesen. Eine Haupttendenz der Beiträge liegt darin, das Tridentinum als Theologenkonvent zu verstehen, der sich bemüht habe, durchaus aus Anlass der Reformation, aber nicht, jedenfalls nicht nur, gegen sie eine Reform der katholischen Kirche herbeizuführen. Eine an­dere Tendenz besteht darin, die Intensität der Rezeption des Konzils bis in die Gegenwart geringer zu veranschlagen als bisher und die Vorstellung einer einheitlichen tridentinischen Kirche, die bis ins 19. oder gar 20. Jh. bestanden habe, in Frage zu stellen. Eine verführerische historische Suggestion versucht, den Barockkatholizismus vom Tridentinum abzuheben und in ihm die Kontinuität zur Kirche des Mittelalters, im Tridentinum jedoch eine fast reformatorisch-aufklärerische Unterbrechung der römisch-katholischen Tradition zu sehen.
Vor die wissenschaftlichen Beiträge sind zwei Texte gestellt, die von Hierarchen stammen, die die Tagung mit ihrer Anwesenheit beehrt haben, eine Predigt des Erzbischofs von Freiburg, Robert Zollitsch, und ein Vortrag des Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, der das Tridentinum aus unerfindlichen Gründen als »letztes Konzil der gesamten Christenheit und des ganzen Corpus christianum« (38) bezeichnet, obwohl auf dem Konzil weder Protestanten noch Or­thodoxe vertreten waren.
Die daran anschließenden wissenschaftlichen Beiträge gliedern sich in sechs Teile, deren letzter, aus der Feder des Bandherausgebers Peter Walter, die Geschichte der erst 1845 einsetzenden Jubiläumsfeiern für das Konzil von Trient enthält, deren erster Trient als »Erinnerungsort« chronologisch rückläufig, ausgehend von den lefebristischen Traditionalisten bis hinunter zu den zeitgenössischen Protestanten, apostrophiert, deren zweiter das Tridentinum als ein »theologisches Ereignis« (warum nicht auch als [kirchen-] politisches?) in verschiedenen Aspekten aufscheinen lässt, dessen römisch-päpstliche Instrumentalisierung in den Institutionen der Kongregationen, der Nuntien und der Bischofsernennungen bzw. der bischöflichen Residenzpflicht im dritten Teil thematisiert wird. Der vierte Teil ist »Trientrezeptionen« an den Beispielen der Liturgie, der Bilderfrage, des Verhältnisses zwischen Rom und Ve­nedig, der Vorbildfunktion des Mailänder Bischofs Carlo Borromeo und des Josephinismus gewidmet. Der fünfte Teil dokumentiert eine »Disputation« zwischen Peter Hersche und Wolfgang Reinhard (beide katholisch sozialisiert), der kurze Stellungnahmen beider Historiker zum Barockkatholizismus vorausgehen. Der Be­richt wurde von Hersche bearbeitet, mit der Folge, dass seine eigene Po-sition stärker in den Vordergrund tritt bzw. kaum Kontroversen notiert werden.
Entgegen einer im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils weit verbreiteten Abwertung des Konzils von Trient erscheint dieses in den Augen der beiden Historiker geradezu als ein Vorläufer des Zweiten Vatikanums, insofern es eine vom »Reformwillen« (Hersche, 503) getragene »innerkirchliche Modernisierung« (Reinhard, 493) anstrebte. Wie das Tridentinum durchaus protestantischen Impulsen gefolgt sei, so habe das Zweite Vatikanum eine Affinität zur katholischen Aufklärung gezeigt, die ihrerseits protestantische Wurzeln habe. Der Barockkatholizismus sei eine »negative Reaktion auf Trient« (503) gewesen und habe spätmittelalterliche Frömmigkeitsformen weitergeführt und verstärkt. Der Neobarock im 19. und 20. Jh. sei dementsprechend eine Gegenbewegung zur Aufklärung. Die Frage, was den wahren Katholizismus verkörpere, beantwortet Hersche unter Verweis auf den Barock, der die Aufklärung ablehne, und er erkennt dabei einen Gegensatz zwischen dem katholischen Barock und dem protestantischen Projekt der Aufklärung. Unter diesen Voraussetzungen erscheinen sowohl das Tridentinum als auch das Zweite Vatikanum als unkatholisch. Obwohl der Neobarock mit dem letzten Konzil vergangen sei, könne in der nachkonziliaren Zeit bis in die Gegenwart so etwas wie die Entwicklung eines »Dritten Barock« ausgemacht werden.
Die auf der Tagung anwesenden Theologen und Hierarchen widersprachen ausweislich des Diskussionsberichts der Sicht der beiden Historiker nicht. Der Versuch, die Frage nach der katholischen Identität historisch zu beantworten, mündet in eine Aporie (steht Tradition gegen Konzil?), sodass die Lektüre des Bandes eine gewisse Ratlosigkeit hinterlässt.