Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2017

Spalte:

978–979

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Voges, Stefan

Titel/Untertitel:

Konzil, Dialog und Demokratie. Der Weg zur Würzburger Synode 1965–1971.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2015. 458 S. = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, 132. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-506-78212-0.

Rezensent:

Michael Plathow

In der von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster im Wintersemester 2011/12 angenommenen kirchengeschichtlichen Dissertation ist das leitende Interesse und die zu be­gründende These von Stefan Voges, den »Weg zur Würzburger Synode 1965–1971« als »Prozess der Rezeption des Zweiten Vatikanums« zu verstehen (14.405).
Die »Rezeption als ekklesiale Realität« (Yve Congar) unterscheidet zwischen rechtlicher, durch lehramtliche Promulgation legalisierter Rezeption und geistlichen Rezeptionsprozessen in Gemeinden und Kirchen. V. behandelt nicht die Rezeption der Erklärungen der Würzburger Synode; er will (Kapitel I) – auf dem Hintergrund der Volk Gottes-Ekklesiologie, die mit dem communio-Verständnis dem Sensus fidei (LG 12) Stimme zu geben vermochte (29) – das »Ereignis« von Planung und Vorbereitung dieser Synode als »Rezeption« des II. vatikanischen Aggiornamento historisch nachzeichnen. Konziliarität und Synodalität erfuhren hier nachhaltige Wirkung. V. analysiert die Wegstationen zur Würzburger Synode in den einzelnen Kapiteln.
Kapitel II schildert zunächst die »Akteure der Konzilsrezeption in Westdeutschland«: Bischöfe und Bischofskonferenz, Laienkatholizismus des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, das verunsicherte Kirchenvolk, die enttäuschten Priestergruppen, besonders den »Bensberger Kreis« (93), den »Frechenhorster Kreis« (94 f.) und auch die »Bewegung für Papst und Kirche« (96 f.). Als »Vorläufer« der Gemeinsamen Synode der Bistümer der Bundesrepublik – mit Blick auf die Bistümer der DDR keine »Nationalsynode« – wertet V. in Kapitel III die Hildesheimer Diözesansynode (unter Beteiligung der Laien) 1968/69 und das niederländische Pastoralkonzil in Noordwijkerhout 1966–70, das Polarisierungen nicht ausschloss. »Auslöser« (Kapitel IV) für die Planung der gemeinsamen Synode – nach »Humanae vitae« (1968) zur Ehe- und Sexualmoral, den Erfahrungen der Studentenbewegung, des »Kritischen Katholizismus«, den Demokratisierungsdiskussionen (165) – war mit dem 9.11.1968 die Studiengruppe aus Bischofskonferenz und Zentralkomitee; be­schlussreife Vorschläge für die Arbeit der Vorbereitungskommis-sion sollte sie vorlegen (176). Kapitel V zeichnet der Weg »Vom Grundsatzbeschluss zum Statut« nach als »kreative Konzilsrezep-tion« im spannungsvollen Verständnis von communio- und hier archischer Ekklesiologie, von Kollegialprinzip und Primatsanspruch (263 f.). In Kapitel VI schildert V. die Arbeitsprozesse der »Vorbereitungskommission«; am 7.1.1970 beschloss sie zehn Themen (318 f.) für die »konstituierende Vollversammlung der Synode« und am 2.12.1970 »durchlaufende Perspektiven« (321 f.), die die thematischen Diskurse und das Gespräch mit der Öffentlichkeit begleiten sollen. Besonders sei auf die Bedeutung der »Arbeitsgemeinschaft Synode« (332–338) verwiesen; mit ihrer »Opposition« in »kritischer Solidarität« stießen zwei unterschiedliche Deutungen des Volkes Gottes aufeinander: die Synode als Gestalt einer hierarchischen Ordnung einerseits als basisdemokratische Volksvertretung andererseits. Am 3.–5.1.1971 kam es dann zur Konstituierung der Gemeinsamen Synode; V. charakterisiert es als »geistliches Er­e ignis« (359). Im Würzburger Dom hielt ihr um Vermittlung be­mühter Präsident Julius Kardinal Döpfner die Predigt und die Eröffnungsrede; das Grußtelegramm von Papst Paul VI. wurde verlesen; Bischof Hans Heinrich Harms sprach für die ökumenischen Gäste (360–366); Bischof K. Hemmerle erläuterte nach den komplizierten Wahlen den »fundamental-praktischen Charakter« des Themenplans (380). In diesem Zusammenhang nimmt V. besonders Bezug auch auf die brisante Kontroverse zwischen H. Flatten und K. Rahner über die dogmenhermeneutische Relevanz der Glaubensverkündigung (392–397).
Im Ganzen – so V. abschließend – war »die Entwicklung und die Vorbereitung der Synode ein eigenständiger Vorgang der Konzilsrezeption«, in dem auch die konzilshermeneutische Alternative »Kontinuität oder Bruch« verhandelt wurde (412). V. hebt hervor, dass die Kommunikation zwischen Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Laien auf dem Hintergrund der konziliaren Volk Gottes-Ekklesiologie eine »nicht zu unterschätzende integrierende Wirkung« hatte (410). Auch ermöglichte das Synodalprinzip, die Synode als »Ausdrucksform« des Sensus fidelium zu deuten (412), wenn auch das »Organ« des Sensus fidelium (LG 12) ungeklärt blieb. Wohl nicht ganz vom Wunschdenken frei, hält V. gleichwohl fest: Die Beziehung von communio fidelium, communio hierarchica und communio ecclesiarum lässt den Sensus fidelium in die communio-Struktur der Kirche in der Weise einordnen, dass »der Sensus fidelium und das Charisma des Amtes im Beschlussverfahren der Ge­meinsamen Synode zusammenwachsen konnten« (419). Gleichwohl war die Gemeinsame Synode als Rezeptionsprozess des II. Vatikanums »eine Vertretung des Volkes Gottes, der ihrerseits aufgetragen war, die Zeichen der Zeit zu erforschen und zeitgemäße Antworten auf Fragen des Glaubens und des Lebens zu geben« (425).
Die Dissertation besticht durch sorgfältige historische Analysen aufgrund zum Teil nicht veröffentlichter Archivquellen und breiter Literaturverarbeitung: Monographien, Aufsätze, Zeitungsartikel (17 S.; dazu ein breites Personen-, Orts- und Sachregister von 8 S.); auf die Grundthemen konziliarer Volk Gottes- und Communio-Ekklesiologie sowie auf das Synodalprinzip werden sie interpretiert.
Erkenntnisgewinne für Zeitzeugen – auch evangelische – und inspirierende Ermutigung sowie kritische und konstruktive Anregung für die in der Kirche als »sancta simul et semper purificanda, poenitentiam et renovationem continuo prosequitur« (LG 8; UR 6) Engagierten vermag die Arbeit von V. zu vermitteln.