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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1230 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pummer, Reinhard

Titel/Untertitel:

Samaritan Marriage Contracts and Deeds of Divorce. I u. II.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 1993/ 97. XI, 380 S., 37 Taf. u. IX, 362 S., 112 Taf. 4. Lw. DM 218,- u. DM 268,-. ISBN 3-447-03316-9.

Rezensent:

Eckart Otto

Das Verständnis der Geschichte, Institutionen und Traditionen der Samaritaner, jener Glaubensgemeinschaft, die sich im 2./1. Jh. v. Chr. von dem auf Jerusalem zentrierten Judentum abspaltete und ihr Zentrum auf dem Garizim bei Nablus hat, durch zwei Jahrtausende hindurch in ungebrochener Kontinuität überlebte und noch heute mehr als 500 Mitglieder hat, will R. Pummer durch die Sammlung, Bearbeitung und Veröffentlichung aller ihm zugänglichen Heirats- und Scheidungsurkunden der Samaritaner fördern. Sein Augenmerk ist also nicht primär philologischer oder epigraphischer, sondern historischer Natur und damit für den Rechtshistoriker von besonderem Interesse.

Die älteste bekannte samaritanische Heiratsurkunde datiert in das 16. Jh., die älteste Scheidungsurkunde in das 18. Jh., aus dem auch die Mehrzahl der Heiratsurkunden stammt, doch sind die sich in den Urkunden niederschlagenden Regeln des Eherechts erheblich älter. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Heiratsregeln endogam und die Kusinenehe auch 1. Grades nicht unüblich (15-20 %). Die Mehrfachehe war weit verbreitet, doch nicht aufgrund der Scheidungsrate, die äußerst niedrig war - 100 Heiratsurkunden stehen nur zwei Scheidungsurkunden gegenüber -, sondern aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate. Das sei an einem Beispiel verdeutlicht. Ein Mann namens Salamah, geb. 1716, heiratete 1738, wohl bereits in zweiter Ehe, Selalaha, die im April 1740 starb. Im Dezember desselben Jahres heiratete er erneut und zwar eine Frau namens Sadiqah. Im Februar 1746 gebar sie ihm eine Tochter, die nach nur sieben Monaten starb. Sechs Monate später starb auch seine Frau. Im Februar 1748 heiratete er erneut eine Frau namens Selalaha. Nach zehn Monaten wurde eine Tochter geboren, die mit drei Jahren starb. Drei Monate nach ihrem Tod wurde eine weitere Tochter geboren, die nach vier Monaten starb. Im September 1752 heiratete er eine zweite Frau namens Safah, seine Kusine. Sie gebar 1753 eine Tochter. Im Dezember desselben Jahres starb seine erste Frau Selalaha. 1764 heiratete er eine Frau namens Hadiyah, wohl weil Sefah gestorben war. Im Juli 1765 wurde der erste Sohn geboren, als der Vater bereits 50 Jahre alt war, doch überlebte er nur 21 Tage. Im Juli 1770 wurde ein weiterer Sohn geboren, der nach drei Monaten starb. Die Eintragungen enden im Juli 1773 mit dem Tode der Hadiyah und der Bemerkung "Sie war die siebte Ehefrau, die starb. Möge Gott uns geduldig sein lassen in unserer Not".

Dieses keineswegs außergewöhnliche Beispiel zeigt, daß die Polygamie in Fällen der Kinderlosigkeit möglich, aber wie im keilschriftlichen und biblischen Recht auf insgesamt zwei Ehefrauen beschränkt war. Im Gegensatz zum biblischen und keilschriftlichen Eherecht besteht die Eheschließung wie im nachbiblischen Judentum aus den drei Stufen von qiddusin (Verlöbnis), ’erusin (inchoative Ehe) und nissu’in (Vollehe). Während Begriff und Sache der beiden letzten Stufen biblischen Ursprungs sind, wird mit qiddusin ein auch rabbinischer Begriff genutzt, der dort aber alternativ zu ’erusin steht, während das Verlöbnis als sidduhin bezeichnet wird.1 Wie im biblischen Eherecht beginnt die Ehe im rechtlichen, verbindlichen Sinn mit der zweiten Stufe, so daß der biblisch mit der inchoativen Ehe verbundene Terminus (m)’rsh (vgl. Dtn 20,7; 22,23)2 auch samaritanisch für die Ehe insgesamt steht. Die Eheverträge sind nach einem festen, durch zahlreiche Musterverträge auch dokumentierten Schema aufgebaut. Auf die Eröffnung "im Namen JHWHs, des Gottes Israel, beginnen und enden wir" folgt ein Gedicht, das auf Welt- oder Menschenschöpfung, Erzväter oder Mose abhebt, dem die Tora gegeben und der das Eherecht gelehrt habe. Nach Datum, Nennung der Parteien, Ehewunsch des Bräutigams und Zustimmung des Brautvaters wird der Status der Braut (Jungfrau etc.) beschrieben, danach die Rechte und Pflichten der Ehepartner. Ex 21,9; Gen 1,28 und 2,18 verknüpfend wird dem Ehemann auferlegt, "er soll sie behandeln gem. der Art wie Frauen behandelt werden, gem. der Art und Weise mit der die Töchter Israels, die starken und geehrten, behandelt werden, wie Eva, die aus der Rippe des Mannes geschaffen wurde für Hilfe, Fruchtbarkeit und Mehrung", was inhaltlich nach Ex 21,10 gefüllt wird. Die Rechte der Frau erstrecken sich auf die Regelung ihrer Versorgung im Falle der Scheidung oder Verwitwung in Form eines "späten Brautpreises".

Nach einer ausführlichen Prosopographie wird in den Bänden I und II der Text von 118 Urkunden geboten und übersetzt. Umfangreiche Register und Bibliographien beschließen dieses Werk, das nicht nur für die Samaritanerforschung einschlägig ist, sondern auch für die Wirkungsgeschichte der Ehegesetzgebung der Hebräischen Bibel. Die überwiegende Mehrzahl der hier veröffentlichten Urkunden stammt aus der Nationalbibliothek in St. Petersburg. Sie wurden 1846 von Abraham Firkovich zusammen mit dem Schriftenbestand zweier samaritanischer Genizot in Nablus und auf dem Berg Garizim aus dem Besitz des damaligen Hohen Priesters der Samaritaner erworben. Ein Zufall also rettete diesen Schatz, der nun der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

Dem Vf. gilt der Dank für die entsagungsvolle Editionsarbeit. Nach der editorischen und prosopographischen Aufbereitung der Dokumente sollte nun als nächster Schritt ihre rechtshistorische Interpretation im Horizont des jüdischen Eherechts erfolgen, die die Spezifika der samaritanischen Urkunden herausarbeitet.

Fussnoten:

1) Der Versuch von R. Westbrook (Old Babylonian Marriage Law, AfO Beih. 33, Horn 1988, 29-34), bereits für das altbabylonische Recht eine derartige Dreistufigkeit der Eheschließung nachzuweisen, scheitert daran, daß aus dem Nebeneinander von terhatum ("Brautpreis") und riksa-tum ("Ehevertrag") kein Nacheinander konstruiert werden kann; s. E. Otto, Rezension von R. Westbrook, Marriage Law, in: Zeitschr. f. Assyriologie 81, 1991, (308-314) 309 f. Es besteht also kein Zweifel, daß die dreistufige Eheschließung eine späte Entwicklung ist.

2) Vgl. E. Otto, Art. Verlöbnis, LThK3 X, 2000.