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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

930–932

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Luther, Martin

Titel/Untertitel:

Deutsch-Deutsche Studienausgabe. Hrsg. v. J. Schilling mit A. Beutel, D. Korsch, N. Slenczka u. H. Zschoch.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. Bd. 1: Glaube und Leben. Hrsg. u. eingel. v. D. Korsch. 2012. XVIII, 676 S. m. 18 Abb. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-02880-1. Bd. 2: Wort und Sakrament. Hrsg. u. eingel. v. D. Korsch u. J. Schilling. 2015. XVIII, 899 S. m. 15 Abb. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-374-02881-8. Bd. 3: Christ und Welt. Hrsg. u. eingel. v. H. Zschoch. 2016. XVIII, 933 S. m. 16 Abb. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-374-02882-5.

Rezensent:

Konrad Hammann

Neben der 2009 abgeschlossenen Lateinisch-Deutschen Studienausgabe (LDStA) von Schriften Luthers liegt nun auch, ebenfalls in drei Bänden, die Deutsch-Deutsche Studienausgabe (DDStA) vor. Diese Ausgabe stellt insofern ein Novum dar, als sie die berücksichtigten Texte Luthers sowohl in ihren frühneuhochdeutschen Originalfassungen als auch in synoptischen Übertragungen in heutiges Deutsch darbietet. Vor der Erörterung der Frage nach dem Sinn dieses Unternehmens dürfte es angebracht sein, die Editionsrichtlinien der DDStA und deren Umsetzung in den drei thematisch angelegten Bänden vorzustellen.
In dem in jedem Band abgedruckten Vorwort skizziert Johannes Schilling, der Hauptherausgeber, den Ort der DDStA zwischen der grundlegenden Kritischen Gesamtausgabe der Werke Luthers (WA) und den beiden bereits eingeführten wissenschaftlichen Studienausgaben, nämlich der Clemenschen bzw. Bonner Ausgabe (BoA) und der in der ehemaligen DDR erschienenen Studienausgabe. Wie diese Editionen soll die DDStA »der Forschung und Lehre dienen«, zusätzlich aber auch »durch die Übersetzungen allen Interessierten Luthers Texte erschließen« (1, VIII). In die Auswahl sind die Texte aufgenommen, die Luther selbst zu seinen »Hauptschriften« zählte und die als solche durch ihre Rezeptionsgeschichte ausgewiesen sind, darüber hinaus Schriften, die die Herausgeber »für besonders bemerkenswert halten und die unter gegenwärtigen Gesichts punkten verstärktes Interesse verdienen oder verdienen sollten« (1, VIII). Die Ausgabe ist nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert; innerhalb der einzelnen Bände folgt der Abdruck der Texte allerdings der Chronologie.
Die frühneuhochdeutschen Texte sind nach den Originalausgaben, in der Regel nach den Erstdrucken der Schriften Luthers ediert. Im erfreulich knappen Anmerkungsapparat findet man die Nachweise der Bibelstellen und der Zitate anderer Autoren sowie Erläuterungen zu Namen, Personen und Sachen. Die Seitenzahlen der WA werden am Rand angegeben. Die edierten Texte dokumentieren den Textbestand der originalen Vorlagen, sinnvollerweise aber nicht deren typographische Gestalt. Durch ebenso behutsame wie sachdienliche editorische Eingriffe – etwa die Auflösung von Ab­breviaturen, die Korrektur offenkundiger Druckfehler u. a. (vgl. 1, XVIII) – und durch die Darbietung der Texte in der Antiqua ist es den Herausgebern und Bearbeitern gelungen, die von ihnen ausgewählten deutschen Schriften Luthers in größtmöglicher Authentizität, gut lesbar und verständlich zu präsentieren.
Der von Dietrich Korsch herausgegebene Band 1 zu »Glaube und Leben« enthält diejenigen Schriften Luthers, die »die Erfahrung des unmittelbaren Gottesverhältnisses des Menschen […] im Glauben« (1, XV) thematisieren und die im Dienst der »Frömmigkeit als Be­wegung des Glaubens« stehen (1, XVI). Es handelt sich zunächst um zwölf Schriften, die sowohl »die Anknüpfung an die religiöse Tradition« als auch deren reformatorische Umformung zu erkennen geben (1, XVI):
Ein Sermon von Ablass und Gnade (1518), Eine kurze Erklärung der Zehn Gebote (1518), Ein Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi (1519), Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben (1519), Ein Sermon von dem Sakrament der Buße (1519), Von den guten Werken (1520), Sendbrief an Leo X. (1520), Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), Eine kurze Form der Zehn Gebote, eine kurze Form des Glaubens, eine kurze Form des Vaterunsers (1520), Das Magnificat (1521), Ein kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten soll (1522) sowie Ein Sermon von dem unrechten Mammon (1522).
Ferner bietet dieser Band sechs zwischen 1526 und 1539 entstandene Texte, die »Strukturen der Wiederholung religiöser Erfahrung auf dem Weg zu authentischer Frömmigkeit« anzeigen (1, XVII): Ein Unterricht, wie sich die Chris­ten nach Mose richten sollen (1526), Bekenntnis (1528), Der Kleine Katechismus (1529), Eine schlichte Weise zu beten, für einen guten Freund (1535), Gegen die Antinomer (1539) und die Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe der deutschen Schriften (1539).
Auch wenn man das Fehlen des von Luther selbst hoch geschätzten Großen Katechismus in dieser Sammlung bedauern wird, bietet der Band doch eine gelungene Auswahl der religiösen Erbauungsschriften und katechetischen Texte des Reformators.
Die Schriften, die in dem von Dietrich Korsch und Johannes Schilling herausgegebenen Band 2 zu »Wort und Sakrament« abgedruckt sind, handeln von den Heilsmitteln – dem Wort sowie den Sakramenten der Taufe und des Abendmahls –, vom Gottesdienst, von der Kirche und der der Gemeinde verliehenen Vollmacht zur Besetzung der kirchlichen Ämter und zur Verwaltung der geistlichen Güter bzw. der Einkünfte der Gemeinde. Folgende 15 Schriften werden dargeboten:
Sermon vom heiligen hochwürdigen Sakrament der Taufe (1519), Sermon vom hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leibes Christi und von den Bruderschaften (1519), Vom Papsttum in Rom: gegen den hochberühmten Römling in Leipzig (1520), Sermon vom Neuen Testament, das heißt: von der heiligen Messe (1520), Vom Missbrauch der Messe (1521), Dass eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Vollmacht hat, alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen … (1523), Ordnung einer Gemeindekasse, Ratschlag, wie die geistlichen Güter zu behandeln sind (Leisniger Kastenordnung): Vorrede (1523), Von der Ordnung des Gottesdienstes in der Gemeinde (1523), Deutsche Messe oder die Ordnung des Gottesdienstes: Vorrede (1526), Von der Wiedertaufe. Ein Brief an zwei Pfarrer (1528), Die Marburger Artikel (1529), Der Abendmahlsartikel der Wittenberger Konkordie (1536), Über die Konzilien und die Kirche (1539), Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament (1544), Einweihung eines neuen Hauses zum Predigtamt des göttlichen Wortes, erbaut im kurfürstlichen Schloss zu Torgau (1546).
Die Aufnahme der Marburger Artikel und des Abendmahlsartikels der Wittenberger Konkordie in eine Ausgabe der Schriften Luthers wirkt allerdings befremdlich. Denn Luther hat diese Dokumente zwar – wie andere Reformatoren – mit unterzeichnet, aber eben nicht selbst verfasst. Hätte nicht statt dieser beiden Texte viel eher der erste und zweite Teil von Luthers großer Schrift »Vom Abendmahl Christi« von 1528 in diesen Band gehört?
In dem von Hellmut Zschoch herausgegebenen Band 3 zu »Christ und Welt« sind die Schriften Luthers zugänglich, die das menschliche Gemeinschaftsleben im weitesten Sinne, insbesondere die Verantwortung des Christen in Ehe, Familie und Beruf, im Zusammenleben mit den Juden sowie in den Bereichen der Bildung, des Rechts, der Wirtschaft und der Politik thematisieren. Der Band enthält diese 16 Texte:
An den christlichen Adel deutscher Nation: Von der Reform der Christenheit (1520), Aufrichtige Ermahnung an alle Christen, sich vor Aufruhr und Rebellion zu hüten (1522), Vom ehelichen Leben (1522), Von der weltlichen Obrigkeit: Wie weit man ihr Gehorsam schuldet (1523), Jesus Christus ist von Geburt ein Jude (1523), Grund und Rechtfertigung, dass Nonnen ihr Kloster nach Gottes Willen verlassen dürfen (1523), An die Ratsherren aller Städte im deutschen Land, dass sie christliche Schulen errichten und unterhalten sollen (1524), Von Handels- und Zinsgeschäften (1524), Ermahnung zum Frieden als Antwort auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben (1525), Gegen die Räuber- und Mörderbanden der anderen Bauern (1525), Sendbrief von der harten Schrift gegen die Bauern (1525), Ob Soldaten in ihrem Beruf Gott gefallen können (1526), Ermahnung an die ganze Geistlichkeit, die in Augsburg im Jahr 1530 auf dem Reichstag versammelt ist (1530), Predigt, dass man Kinder zur Schule schi-cken soll (1530), Sendbrief vom Dolmetschen und von der Fürbitte der Heiligen (1530), Warnung an seine lieben Deutschen (1530).
Der Verzicht auf die (exemplarische) Wiedergabe wenigstens einer von Luthers späten antijüdischen Schriften mag vom Thema des Bandes her als nachvollziehbar erscheinen. Ob aber der Abdruck jener Schmähschriften »in heutigem Deutsch sich schon angesichts ihrer antisemitischen Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert verbietet« (3, XVII), wäre wohl noch zu diskutieren.
Gerade angesichts der vorzüglichen Edition der frühneuhochdeutschen Texte in dieser Studienausgabe vermag der Rezensent der zusätzlichen Übertragung derselben in heutiges Deutsch keinen Sinn abzugewinnen. Es gibt doch für die hier in Betracht kommenden Adressatengruppen bereits gute Ausgaben, die die wichtigsten Schriften Luthers in einer dem gegenwärtigen Deutsch ak­kommodierten Gestalt darbieten; zu nennen wären die von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling herausgegebene Insel-Ausgabe (1982) und die inzwischen von Thomas Kaufmann und Albrecht Beutel auf den Weg gebrachte Edition im Verlag der Weltreligionen (2014/15). Weiter, bestand nicht einer der Vorzüge der BoA gerade darin, dass ganze Generationen von Studierenden an den Originalfassungen die für das wissenschaftliche Studium der Texte Luthers erforderlichen sprachlichen und philologischen Kompetenzen vergleichsweise unaufwändig erlernen und einüben konnten? Soll man jetzt die BoA ganz aus dem Studienbetrieb ausschließen? Das sei ferne! Das scheint mir auch – ungeachtet des verständlichen Wunsches des Herausgebers, die DDStA möge zusammen mit der LDStA »die neue Studienausgabe für die nächsten Generationen werden« (1, XI) – nicht zielführend sein. Denn die BoA enthält nicht nur einige deutsche Schriften Luthers, die in der DDStA nicht be­rücksichtigt sind (wie umgekehrt natürlich auch), sie bietet darüber hinaus ganze Abteilungen mit Textgattungen (Briefen, Predigten, Tischreden), für die es in der DDStA überhaupt kein Äquivalent gibt, die man aber bei der Beschäftigung mit Luther nicht einfach übergehen möchte. Und: auch das Lesen der Fraktur kann man lernen!
Die Einwände gegen die »Übersetzungen« der frühneuhochdeutschen Texte Luthers sollen jedoch nicht das große Lob schmälern, das der Auswahl der deutschen Schriften Luthers und ihrer ausgezeichneten Edition in einer ebenso authentischen wie gut lesbaren Gestalt in der neuen DDStA gebührt.