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Ausgabe:

September/2017

Spalte:

893–895

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Amzallag, Nissim

Titel/Untertitel:

Esau in Jerusalem. The Rise of a Seirite Religious Elite in Zion at the Persian Period.

Verlag:

Leuven: Peeters Publi-shers 2015. XIV, 282 S. = Cahiers de la Revue Biblique, 85. Kart. EUR 62,00. ISBN 978-2-85021-242-0.

Rezensent:

Benedikt Hensel

Seit einigen Jahren hat die Forschung zunehmend präzisiert, dass das entstehende Judentum der früh-nachexilischen Zeit der Exilsrückkehr zwar theologisch und ideologisch maßgeblich von der Leitgröße der judäischen Exilsrückkehrer geprägt und geformt wurde, aber diese Periode der Geschichte »Israels« keinesfalls ausschließlich von den Jerusalemer Gola-Kreisen bestimmt wurde. Dies suggerieren aber nach-exilische Literaturwerke wie Esra-Nehemia und auch moderne archäologische Ansätze meinen für die früh-persische Zeit in Jehud eine Art revolutionäre religiöse Umwälzung hin zu einem restriktiven, (quasi-)orthodoxen Jahwismus Jerusalemer Prägung zu erkennen (E. Stern). Jedoch wird dies mittlerweile von archäologischer Seite sehr kritisch gesehen (Frevel; Grabbe; Becking). Es kommt hinzu, dass man mehr und mehr auch der anderen nach-exilischen Jahwismen gewahr wird, wie sie etwa in Samaria (Garizim), Ägypten (Elephantine) und al-Jahudu gut belegt sind. Die Forschung tendierte bis vor einiger Zeit noch mehrheitlich dazu, diese Jahwismen als Deviation der (insinuierten) Jerusalemer Norm anzusehen. Derzeit mehren sich aber die kritischen Mahnungen, die Diversität des nach-exilischen Jahwismus zu erfassen, der wohl nur an seinen religiösen Zentren (mehrheitlich) monotheistisch war, sonst regional recht unterschiedlich ausdifferenziert war.
In dieser Diskussion versucht nun die von N. Amzallag publizierte Studie einen Beitrag zu leisten. Konkret geht es A. um die Identifizierung einer Gruppe »edomitischer Jahwisten«, die in nach-exilischer Zeit in Jerusalem gewirkt und damit Einfluss auf die theologiegeschichtlichen Entwicklungen innerhalb des Judentums gehabt haben sollen. Kenntlich wird die edomitische Ausprägung eines Jahwismus nur indirekt, denn die biblischen Texte geben keine unmittelbaren Aufschlüsse über eine solche Gruppe. Der methodische Grundansatz der Studie ist daher sehr hypothesenreich, was deren Qualität noch nicht mindern muss, aber gleich vorab erwähnt werden sollte. Immerhin gehen auch bestimmte andere Gruppierungen – und hierauf verweist A. auch selbst (4 f.) – in der biblischen Literatur unter, obwohl wir von ihnen auf andere Weise Kenntnis haben. Ein Beispiel hierfür wären etwa die in Esr/ Neh nicht erwähnte judäische Landbevölkerung, die nicht mit ins Exil ging, oder auch die samarischen Jahwisten, die trotz ihrer immensen Bedeutung mit einem ab dem 5. Jh. v. Chr. auf dem Garizim befindlichen jahwistischen Zentralheiligtum im Alten Testament nie explizit, wahrscheinlich aber in Anspielungen erwähnt werden.
Der erste Teil der auf drei Hauptteile angelegten Studie beschäftigt sich mit der Identifizierung einer edomitischen Untergruppierung an Kultpersonal um den Jerusalemer Tempel und der Beschreibung ihres »jahwistischen« Profils (11–74; »The Edomite Presence in Jerusalem«). In einer recht komplizierten und voraussetzungsreichen Beweisführung verbindet er die in der Rückkehrerliste erwähnten »200 Kult-Sänger« (Esr 2,64; A.: 24 f.) mit der Erwähnung »der Söhne Heman und Jedutun« (1Chr 15,17–19; 16,42; 25,1–6; 2Chr 5,12; 35,15), die in der Chronik an der Seite der Asaphiten auftreten. Jene Gruppe von Kult-Sängern erschien ebenfalls in der Rückkehrerliste (Esr 2,41; vgl. Esr 3,10), allerdings an anderer Stelle. Heman und Jedutun werden über weitere Belege (1Chr 2,6; 1Kön 5,11; 1Chr 15,4–10) wiederum mit Obed Edom identifiziert und so auch mit »Edom« und den Esrachiten (1Kön 5,11), die A. als Sängerclan aus dem Gebiete Edom identifiziert (28–30), in Verbindung gebracht. A. nimmt an, dass man in der Rückkehrerliste in der Anonymisierung der 200 Sänger den edomitischen Einfluss bewusst zurückdrängen wollte (30 f.). In einem nächsten Argumentationsgang versucht A. das religiöse Profil dieser Esrachiten zu beschreiben. Er kann dazu auf die Beheimatung des JHWH-Glaubens im Raum Seir/Edom verweisen (39–42) und auf Sprachbilder/Gottesbilder, die aus der Metallverhüttung zu kommen scheinen und über den »edomitischen Jahwismus« Eingang in die »israelitische Traditionskultur« gefunden hätten (42–47). Letztere These ist durchaus interessant und von A. in der Vergangenheit schon öfters formuliert worden.
Diesbezüglich müssen allerdings drei Aspekte angemerkt werden: a) Die Bilder können natürlich auch in einer viel früheren Phase (etwa im 8./7. Jh. v. Chr., wenn Edom als staatliche Form auch greifbar wird) in den Traditionsstrom eingedrungen sein. Also muss die Präsenz der Bilder per se nicht für eine Präsenz von Edomitern im nach-exilischen Jerusalem sprechen (A. beschreibt selbst den Untergang Edoms im 6. Jh. v. Chr. und damit den möglichen Traditionsabbruch; 48–51). Auch wäre dann unklar, was metallurgische Experten überhaupt in Jerusalem gewollt hätten, dessen geographische Bedingungen sich nachweislich nun gar nicht für Verhüttungsprozesse eigneten. b) Es stellt sich die Frage, ob das Kupferrevier von Fenan in Jordanien im 5. oder 4. Jh. v. Chr. überhaupt noch in der Weise aktiv war, dass es eine aktive Bergbau- und Verhüttungsszene dort gegeben hätte? A. äußert sich – wie sonst auch – zu den archäologischen Bedingungen kaum. c) Verhüttungsprozesse sind natürlich auch aus der Beerscheba-Region be­kannt. Die sprachbildlichen Einflüsse müssen also nicht per se »edomitisch« sein.
Der zweite Teil (75–141) beschreibt vor dem Hintergrund von Esra-Nehemia einen Integrationsprozess der edomitischen Jahwis­ten in die Jerusalemer (nach-exilische) Gruppe: »Various elements in Ezra and Nehemiah suggest that population groups initially excluded from post-exilic community were progressively integrat­ed into it […]. Some members of the post-exilic community intentionally promoted the integration of the Ezrahite congregation during the Persian Period« (75).
Teil 3 versucht diese Integration auch theologiegeschichtlich und literarhistorisch zu greifen und Spuren eines »Ezrahite Credo« zu erfassen (143–219). Die Beweisführung erfolgt vornehmlich über bestimmte Psalmen (etwa Ps 106.111.112). Die religionsgeschicht-liche Einordnung ist wie der Rest recht hypothesenreich und im Grunde nur dann überzeugend, wenn man sämtliche anderen Vorannahmen aus Teil 1 und 2 auch in jedem Detail teilt. A. schreibt etwa: »Psalms 111 and 112 were the two scores of a song that the Ezrahites performed antiphonally. The composite text expresses their commitment to the post-exilic community« (218). Wo man über den exegetischen Aspekt noch streiten könnte, scheint mir die historische Situierung völlig willkürlich.
Das Buch schließt mit präzisierenden methodologischen und inhaltlichen Schlussfolgerungen über den Einfluss edomitischer Theologie auf die judäische (221–237) sowie einem ausführlichen Stellenregister.
A.s Ansatz ist zwar durchaus spannend, aber in den Vorannahmen zu voraussetzungsreich und in den historisch-archäologischen Erkundungen zu unpräzise und pauschal, um gänzlich überzeugen zu können. Schon die einsteigende Ableitung der Chiffre in Esr 2,65 ist völlig überkomplex. Die Grundvoraussetzung einer Chiffre ist, dass sie verstanden wird. Aber welcher Leser soll dies damals verstanden haben? Unverständlich ist zudem – denn dies hätte m. E. der Studie noch weiterhelfen können –, warum nicht verstärkt von archäologischer Warte die Region Edom/Idumäa in nach-exilischer Zeit betrachtet wurde (etwa Bartlett; Knauf; Y. Levin); über das Onomastikon der zahlreichen epigraphischen Belege hätte man präzisierendere Aussagen über die ethnisch-religiöse Zusammensetzung der Edomiter treffen können. Warum wird zudem das bereits 2002 von Lemaire publizierte Idumäa-Ostrakon (4. Jh. v. Chr.) nicht erwähnt, welches (in der Lesung Lemaires) einen JHWH-Tempel in Makkeda zu belegen scheint (bjt jhw) (eventuell handelt es sich hierbei aber auch um eine Fälschung; entschieden ist dies allerdings noch nicht)?