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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

99 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schilson, Arno

Titel/Untertitel:

Medienreligion. Zur religiösen Signatur der Gegenwart.

Verlag:

Tübingen: Francke 1997. VIII, 229 S. 8 = Kontakte, 5. Kart. DM 39,80. ISBN 3-7720-2524-2.

Rezensent:

Birgit Marchlowitz

Schilsons Aufsatzband ist ein Plädoyer gegen die Larmoyanz der Kirchen: Schluß mit der Klage über zunehmende Entkirchlichung der Gesellschaft. Er will hingegen das Augenmerk auf eine neu erwachende Religiosität lenken. Beobachtbar in Phänomenen, die er zusammenfassend mit dem Begriff Medienreligion umschreibt. Das neu aufbrechende religiöse Bedürfnis der Menschen äußert sich in unterschiedlichen Gestalten des Säkularreligiösen: etwa in der identitätsstiftenden Funktion der Fernsehserien, im Bekenntnischarakter der Talkshows, im Kult des Zeitenthobenen in Museum, Einkaufsparadies und Urlaub, in den mit der Werbung verknüpften Sehnsüchten sowie im Feiercharakter der Fernsehshow. Das Christentum, so sein Appell, tut gut daran, "diese religiösen Suchbewegungen in ihrer ganzen Breite als Chance und Herausforderung zu begreifen, ohne damit ihren Einseitigkeiten und Fallstricken, ihren Verlockungen und falschen Versprechungen erliegen zu müssen" (53 f.). Kirche soll mit kritischer Sympathie diese "vagierende Religiosität" (Th. Nipperdey) wahrnehmen und für kirchliche Handlungsfelder fruchtbar machen. Dazu gibt er zahlreiche Anregungen, so z. B. Gestaltungsvorschläge für einen fernsehgerecht inszenierten Gottesdienst.

Diese These wird in acht Aufsätzen entfaltet, die wiederum in drei Kategorien unterteilt sind, betitelt mit den Begriffen Signaturen, Herausforderungen und Strukturen. Im ersten Teil (3-85) geht es dabei "um eine eher globale und doch recht konkrete Erhellung der neuen Religiosität heute" (VII), das zweite Segment (89-170) umkreist "das Phänomen des Medienreligiösen und dessen Herausforderungen" (VII), der dritte Abschnitt (173-222) beschreibt "unter grundsätzlicher Rücksicht und in geschichtlicher Perspektive ... fundamentale Strukturen des Religiösen" (VIII). Einige Aufsätze seien im folgenden vorgestellt. Der erste Aufsatz "Der Neuaufbruch der Mystik im 20. Jahrhundert" (3-27) ist eine aufschlußreiche Gegenüberstellung der mystischen Aufbrüche Anfang des Jahrhunderts und des "Neo-mystizismus" (P. L. Berger) am Ende dieses Jahrhunderts. "Dabei lassen sich gravierende Unterschiede kaum übersehen" (3). War die erste Strömung eher von gemeinschaftlichen Tendenzen geprägt, so etwa in der Jugendbewegung, kennzeichnet die zweite ein Charakter des Subjektivismus. Der zweite Aufsatz "Die Wiederkehr des Religiösen im Säkularen" (28-58) entwickelt die These, die Moderne sei selbst Einfalltor und Quelle heutiger außerkirchlicher Religiosität (31). Der Verlust einer übergreifenden Einheit, die wachsende Beschleunigung sowie die vom Menschen selbst verursachte Kontingenz läßt "mitten in der Moderne, richtiger: mitten aus der Moderne und ihrer abgründigen Dialektik, eine spezifische religiöse Frage" (42) aufbrechen. Die Ausführungen des vierten Aufsatzes "Liturgie - die bessere Show?" (89-117) wollen den medienreligiösen Phänomenbefund aufgreifen und ihn als Herausforderung für die gottesdienstliche Gestaltung fruchtbar machen. Damit der Gottesdienst eine ästhetisch gelungene Ausdrucksgestalt gewinnt, soll die Liturgie "durchaus bei den Medien in die Schule gehen" (111). Als praktische Konsequenz daraus fordert er z. B. für den Gottesdienst Probenarbeit in der Vorbereitung und Einstimmung des Gottesdienstbesuchers in bewußt gestalteten Aufwärmphasen. Einen ähnlichen Akzent setzt der fünfte Aufsatz "Den Gottesdienst fernsehgerecht inszenieren?" (118-143), der sich vor allem mit dem Fernsehgottesdienst beschäftigt.

Insgesamt ist der Aufsatzband empfehlenswert, widmet er sich doch dem im kirchlichen Raum noch viel zu wenig beachteten Thema des Medienreligiösen, das, ob man will oder nicht, langfristig die eigentliche Hermeneutik für die kirchlichen Handlungsfelder darstellen wird (133). Wenn auch die durch die Aufsatzform bedingten häufigen Überschneidungen etwas mühsam wirken, gilt das Resümee: eine lohnende Lektüre!