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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

762–764

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gorman, Michael J.

Titel/Untertitel:

Becoming the Gospel. Paul, Participation, and Mission.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2015. 351 S. = The Gospel and Our Culture Series. Kart. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-6884-8.

Rezensent:

Folker Blischke

Die Theologie des Apostels Paulus in verschiedenen Blickwinkeln, aber mit einem gemeinsamen Vorzeichen zu betrachten prägt die theologische Arbeit von Michael J. Gorman, Professor für neutestamentliche Theologie am katholischen St. Mary’s Seminary in Baltimore, Maryland. Sein Buch »Becoming the Gospel« bildet den Abschluss einer Trilogie jeweils eigenständiger Themenfelder, die durch die Betonung der Spiritualität bzw. religiösen Erfahrung unter dem Schlagwort der Partizipation verbunden sind und deren Entstehung »partly deliberate, partly accidental« (2) beschrieben wird. So ist »Cruciformity: Paul’s Narrative Spirituality of the Cross« (Grand Rapids 2001) weniger eine Darstellung der Kreuzestheologie als vielmehr eine Beschreibung der aus der Begegnung mit dem Gekreuzigten erwachsenden »narrative spirituality«, die Paulus erlebt und weitergeben möchte. In dem 2009 erschienenen Werk »Inhabiting the Cruciform God: Kenosis, Justification, and Theosis in Paul’s Narrative Soteriology« wird der Christushymnus in Phil 2 als Modell der Theosis der Glaubenden beschrieben, die für G. in Abgrenzung zum Vorstellungkreis der Rechtfertigung die paulinische Theologie umfassend prägt. Das Ziel der menschlichen Existenz ist die »union with God« (Inhabiting the Cruciform God, 162). Als Abschluss dieser Trilogie nimmt »Becoming the Gospel« nun aus einem ähnlichen theologischen Grundansatz die Wirklichkeit der paulinischen Ekklesiologie in den Blick.
Prägend ist die am Anfang formulierte Grundthese G.s, dass »already in the first Christian century the apostle Paul wanted the communities he addressed not merely to believe the gospel but to become the gospel, and in so doing to participate in the very life and mission of God« (2). Der Begriff der Mission wird dabei sowohl als Beschreibung von Gottes Handeln an den Menschen als auch als originäre Lebensäußerung des gemeindlichen Lebens verwendet. Deshalb ist für die paulinische Theologie nicht ein eher statisch vorgestelltes Sein von Gott oder der Gemeinde, sondern das dynamische, lebensschaffende Werden prägend. Theosis und Mission sind integraler Bestandteil ein und desselben Prozesses. »Theosis – Spirit-enabled transformative participation in the life and character of God revealed in the crucified and resurrected Messiah Jesus – is the starting point of mission and is, in fact, its proper theological framework« (4). Die Partizipation an und Eins-Werdung mit Gott ist nicht nur das Ziel jeder individuellen menschlichen Existenz, sondern Inhalt des gemeinschaftlichen Lebens derer, die zu Gott gehören, in seiner Gemeinde. Die durch den Geist wirkende Gotteskraft transformiert das Miteinander von Einzelnen zum mit Christus identischen Leib. Dieser ekklesiologische Prozess wirkt einerseits nach innen zur fortschreitenden Einheit des Glaubens mit Gott, insbesondere aber nach außen in Form der Mission. Weil das Kreuz einen »missional God« offenbart, kann seine Kirche allein durch »missional people« gestaltet werden (9).
Auf die inhaltlich dichte und die Grundthese des Buches bereits ausführende Einleitung (1–20) folgen acht Kapitel, in denen diese These im paulinischen Denken der einzelnen Schriften nachgewiesen wird. Den Abschluss bilden die »Final Reflections« (297–304). Das erste Kapitel »Paul and the Mission of God« (21–49) deutet das Wirken Gottes in der Welt durch den aus der Missionstheologie bekannten Begriff der missio dei, der trinitarisch interpretiert und auf Paulus bezogen wird. Kern der missio dei ist Gottes Ratschluss, den Menschen in der Partizipation an Christus zu retten und ihn durch die Gabe des Geistes mit der Kraft auszustatten, diese Rettung zu leben und missionarisch weiterzugeben. Dieses insbesondere an Römer 6 und 8 sowie Galater 3 nachgewiesene und mit ausgewogenen Wortfeldanalysen verstärkte (27–35) Konzept von »salvation and participation« (26 u. ö.) darf aber nicht nur individuell als Sein in Christus verstanden werden, sondern für Paulus gehören die an Christus Teilhabenden zugleich zu einer missionarischen Gemeinschaft, die das Evangelium Gottes verkündigt, lebt und zugleich darstellt. Das zweite Kapitel »Reading Paul Mission-ally« (50–62) trägt den Charakter von hermeneutischen Überlegungen. G. nimmt verschiedene Ströme der »missional hermeneutic« auf, aus deren Beschreibungen er dann Fragestellungen ableitet, die er an die paulinischen Schriften herantragen möchte. Auf diese Weise will er bewusst die historische Ebene der Interpretation hin zur Gegenwart der Kirche erweitern: »Those of us who read Paul’s Letter as Christian Scripture need also to participate in the advance of the gospel by becoming the gospel« (61). Dieser hermeneutische Ansatz ist in den folgenden eher exegetisch ausgerichteten Kapiteln durch einen meist mit dem Terminus »today« überschriebenen Absatz zwar deutlich präsent, prägt aber die exegetischen Überlegungen G.s anders als nach dem hermeneutischen Kapitel zu vermuten gewesen wäre nicht allein. Das dritte Kapitel (63–105) blickt mit der Trias von Glaube, Liebe und Hoffnung auf die Vorstellung des Paulus, wie die thessalonische Gemeinde ihre Partizip ation mit Christus nach außen missionarisch lebt. Im Mittelpunkt der Analyse des Philipperbriefs (106–141) steht der Chris-tushymnus Phil 2,6–11, der als »radically missional text« (140) verstanden wird. In Kapitel fünf werden verschiedene paulinische Themen wie Versöhnung, Rechtfertigung, Neuwerdung oder Frieden aus allen paulinischen Schriften zu einem zusammengehörenden »Gospel of Peace« verbunden. Auch wenn für mich anzufragen wäre, ob manche der von G. genannten Texte wie z. B. Röm 9–11 tatsächlich in ein »Gospel of Peace« eingeordnet werden können, werden in diesem allgemeinen Kapitel die ekklesiologischen Bezüge gut deutlich. Die folgenden Kapitel 6 bis 8 arbeiten die missiona-rischen Konsequenzen der Partizipation mit Christus im Blick auf den Epheserbrief (181–211), die Korintherbriefe (212–260) und den Römerbrief (261–296) heraus. Indem G. die verschiedenen Ausdrucksformen der Partizipation jeweils als eine »missional participation« versteht, führt die paulinische Argumentation zu einer Form von Gemeinden mit dem Ziel, »to become the gospel and thereby to advance the gospel« (397).
Mit dem Buch »Becoming the Gospel« wird auf diese Weise das gegenwärtig neben der traditionellen Paulusdeutung und der »New Perspective« dritte breit rezipierte Interpretationsmuster der Partizipation auf die paulinische Ekklesiologie angewendet. G. wendet sich mit diesem Buch ausdrücklich nicht nur an die neu-testamentliche Wissenschaft, sondern auch an Pastoren und Kirchenleiter, was durch die gute Lesbarkeit unterstrichen wird. Auch wenn m. E. nicht alle exegetischen Schlüsse – nicht nur im Blick auf den Epheserbrief – einer tiefgreifenden historischen Analyse standhalten, gibt die Betonung des Prozesscharakters ekklesiologischen Lebens als Mission wichtige Impulse für das Verständnis des Apos­tels Paulus. Allerdings muss man anfragen, ob das Herantragen von Kategorien der Missionstheologie an die paulinischen Schriften der methodisch richtige Weg ist, das ekklesiologische Werden des Evangeliums im paulinischen Denken herauszuarbeiten. Aber auch mit diesen Anfragen ist »Becoming the Gospel« ein lesenswertes und durch die vollständigen Indizes leicht zu erschließendes Buch, das in seiner Anwendung der partizipativen Kategorien auf die Gemeinde eine bisher nur selten thematisierte Dimension paulinischer Ekklesiologie durchdenkt.