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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

739–741

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hartenstein, Friedhelm, u. Michael Moxter

Titel/Untertitel:

Hermeneutik des Bilderverbots. Exegetische und systematisch-theologische An­näherungen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 357 S. m. 25 Abb. = Forum Theologische Literaturzeitung, 26. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-374-03060-6.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Die vorliegende Studie ist ein Beitrag zur theologischen Bildhermeneutik, wie sie nach dem »iconic turn« der Kulturwissenschaften im deutschsprachigen Protestantismus vielfältig diskutiert wird. Die Studie gliedert sich – neben einer heranführenden Einleitung (11–22) und einem gegenwartsdiagnostischen Ausblick (347–357) – in zwei Teile, nämlich einen von Friedhelm Hartenstein verantworteten exegetischen Teil (23–182) und einen von Michael Moxter verantworteten systematisch-theologischen Teil (183–345).
Im exegetischen Teil argumentiert H. dafür, dass das Bilderverbot kultische Symbolisierungsmuster und ihre mentalen Realisierungen in gewisser Hinsicht einschließt. Im Einklang mit religionsgeschichtlichen Konzepten nicht-anthropomorpher Kultsymbolisierungen und deren religiöser Hintergründigkeit stand nach H. (gegen die Annahme einer anthropomorphen JHWH-Statue) im vorexilischen Tempel der leere Thron JHWHs – und vermutlich auch das Kastenheiligtum der Lade – im Zusammenspiel mit kultischen Inszenierungen für eine nicht als gegenständlich-statisches Gegenüber fixierbare Gottesgegenwart. Entsprechend bot sich das Symbol des Lichtglanzes ( kābōd) an, das sich wiederum mit der Vorstellung eines imaginierten Königs verbinden konnte. Die göttliche Gegenwart wird so grenzdialektisch in ihrem Entzug präsent, wie sich die alttestamentlichen Narrationen über JHWH zur sprachbildlichen Erinnerung eines Gottesbildes verdichten können, dessen mentale Plastizität nicht ohne seine dynamische Zeitlichkeit und die Kreativität des menschlichen Ebenbildes verständlich ist. Insofern richtet sich das basal im Dekalog formulierte Bilderverbot nur gegen Versuche, JHWH sichtbar oder unsichtbar als statisches Gegenüber fixieren zu wollen – und verwirft nicht an sich die Eigenart des kreativen Menschen. Als Katalysator dafür, dass das Nichtvorhandensein eines JHWH-Bildes geschichtlich – und damit wohl ein Stück weit auch zufällig – zum Identifikationsmerkmal des Judentums wurde, erweist sich für H. insbesondere das babylonische Exil. Denn infolge der Krise des Exils wird das monotheistische Deutungsschema entdeckt, das eine irdische Niederlage (des erwählten Gottesvolkes) als himmlischen Sieg (des nunmehr monotheistisch herrschenden und andere Völker ge­brauchenden sowie der Welt auch gegenüberstehenden JHWHs) zu verstehen lehrt – und dies programmatisch mit der Abgrenzung vom babylonischen Bilderkult verbindet. Auf diese Weise wird sub contrario die Verborgenheit JHWHs mit seiner Gegenwart im geschichtlichen Handeln vermittelt. Diese Entwicklung, so H., hat Vorläufer, nämlich zum einen die Kritik am Stierbild in Bethel (im Hoseabuch und in Ex 32) und zum anderen die Reformmaßnahmen Josias (2Kön 22 f.).
Im systematisch-theologischen Teil zeigt M., dass das Bilder-verbot kein Verbot innerhalb einer Ordnung ist, sondern deren Er­möglichungsgrund repräsentiert und Glaubensvorstellungen or­ganisiert. Daher muss das Bilderverbot in immer neuen Konstellationen erhellt werden. Hierbei spielen nicht nur die Gegensätze von Geist und Leib, von Unsichtbarem und Sichtbarem, von Hören und Sehen, von Vernunft und Sinnlichkeit hinein, sondern auch Fragen der Herrschaftsrepräsentation und der leibaffinen Sinnlichkeit des Bildes. Von der Abwertung der Leiblichkeit, der mit ihr verbundenen Bildkritik Platons und der cartesischen Kritik der Einbildungskraft sowie entsprechenden christlichen Problematisierungen setzt M. seine Position ebenso ab, wie er sich von gängigen Schematisierungen eines sinnlichen, medial kompetenten Katholizismus gegen einen sinnesarmen, medial einfältigen Pro-tes­tantismus und des Bildes gegenüber dem Wort abgrenzt. M. plädiert dafür, das Bilderverbot als Anweisung für eine intrikate Verbindung alteritätssensibler Phänomenologie und negativer Theologie zu verstehen. Dies schließt die vom Protestantismus gern herausgestellte sprachliche Offenbarung nicht aus, weiß sie aber konstitutiv auf die sinnesaffine Einbildungskraft des Menschen und sein Bildvermögen bezogen. So kann M. im Anschluss an Kants Zusammenschau von Negativität und Unbedingtheit und im Einklang mit Luthers Bildhermeneutik die Verborgenheit Gottes betonen, deren Gegenwart sich der gängigen Alternative von Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit entzieht. Dem entspricht bei M. ein Bildbegriff, der nicht auf die Abbildung von irgendetwas festgelegt ist. Bilder geben nicht Sichtbares wieder, sondern machen etwas sichtbar, was ohne sie nicht zu sehen wäre. Bilder erbringen insofern ambivalente Präsentationsleistungen, die eine sogenannte dichte Präsenz erzeugen: Bilder verschränken Anwesenheit und Abwesenheit so, dass eine Präsenz mit fast magischen Anmutungsqualitäten und einer eigenen Zeit (»Augen-Blick«) entstehen kann, die allerdings immer auch an die Pragmatik von Bildbenutzern ge­bunden ist. In den Fluchtlinien dieser Einsichten liegt es, dass das Bilderverbot sozusagen in das Bild selbst einwandert, wenn be­wusst dessen Selbstdurchstreichung erfolgt. M. verweist an dieser Stelle etwa auf Kazimir Malevichs »Schwarzes Quadrat«. In dieser ikonoklastischen Umsetzung innerhalb des Bildes wird die Als-Struktur des Bildes prägnant realisiert, die als solche erkannt werden muss, wenn das Bild (aufgrund seiner präsenzverdichtenden Leistung) nicht auf magische Weise anstelle des Dargestellten rücken soll. Genau davor warnt zu Recht das Bilderverbot, so M., wenn in einem Bild die Gottheit verfügbar erscheint. Für eine protestantische Sicht heißt dies, dass sie – durchaus in konstruktiver Abgrenzung und kritischer Nachbarschaft zum Verständnis des Bilderverbots der Kritischen Theorie – Bildtheorie als Theologie und Theologie als Bildtheorie wahrnimmt. Theologisch wird die Christologie damit zur Medientheorie, die konstruktiv wie kritisch auf die medialen Umwälzungen unserer Zeit zu beziehen ist.
Die Studie bündelt und fokussiert nicht nur Einsichten der theologischen Bildhermeneutik, sondern setzt auch profiliert Ak­zente, die sich programmatisch zu einem stimmigen Entwurf verdichten, der eine hohe Plausibilität hat. Seine Pointe besteht m. E. darin, das Bilderverbot kritisch wie konstruktiv so auf das menschliche Bildvermögen im Horizont der christlichen Religion und ihrer jüdischen Grundlagen zu beziehen, dass der negationstheoretische und religionsaffine Charakter von Bildlichkeit insgesamt in den Blick kommt. Diese Einsicht dürfte kaum zu unterschät-zen sein, wenn der Protestantismus in der Spätmoderne medial anschlussfähig sein möchte. Dies schließt nicht aus, dass es auch Rückfragen geben kann und wird. Spannender wäre es allerdings m. E., auf dem Fundament der gut lesbaren Studie gleichsam weiterzubauen. Schlagwortartig gehören dazu Einsichten wie bildgebende Verfahren und ihre neurowissenschaftliche Relevanz, der Mensch als umweltoffenes »Augentier«, die Bedeutung der »Bilderflut« für die lebensweltliche und wissenschaftliche Kommunika-tion, die Angewiesenheit der Lautsprache auf die dadurch von ihr unterschiedene Schriftbildlichkeit oder das Leben im diagnostizierten Zeitalter von Inszenierung, Überwachung und Schein. Theologisch wäre insbesondere an das Verhältnis der Sprachbildlichkeit Jesu zu dessen Ostererscheinungen und an das Verhältnis des religionskritischen Projektionsverdachtes zur religiösen Einbildungskraft zu denken.