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Ausgabe:

Juli/August/2017

Spalte:

709–724

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Reinhard Müller

Titel/Untertitel:

Was die Textgeschichte über die Entstehung des Alten Testaments lehren kann



I Was wissen wir von der Entstehung der alttestamentlichen Schriften?

Auf der Suche nach handgreiflicher Evidenz


Wer sich über die Entstehung einer alttestamentlichen Schrift unterrichten will, stößt auf eine Vielfalt von Hypothesen, die einander in zahlreichen Punkten widersprechen. Diese Vielfalt, die mitunter nicht nur Außenstehende verwirrt, ist der Tatsache geschuldet, dass über die Entstehung des Alten Testaments nach wie vor wenig Sicheres bekannt ist. Halbwegs gesicherte Aussagen lassen sich allenfalls über einige der Abschnitte treffen, in denen die jüngsten Teile des Alten Testaments vermutet werden – etwa die seit Langem weithin unbestrittene Erkenntnis, dass das Danielbuch (in seiner protomasoretischen Ausgabe)1 nach der Entweihung des Jerusalemer Tempels durch Antiochus IV. im Jahr 167 v.⁠Chr., aber vor dem Tod des Königs und der Wiedereinweihung des Tempels im Jahr 164 v. Chr. abgeschlossen wurde (vgl. Dan 11);2 ein weiteres Beispiel ist die wahrscheinliche Anspielung auf den Alexanderzug, die in Sach 9,1–8 enthalten ist.3 Die Handschriften vom Toten Meer, deren älteste Exemplare ab der Mitte des 3. Jh.s v. Chr. entstanden sind,4 sowie vereinzelte ägyptische Papyri aus dem 2. und 1. Jh. v. Chr., in denen die griechische Textüberlieferung des Alten Testaments bezeugt ist,5 beweisen das Vorhandensein nahezu aller biblischen Bücher in späthellenistisch-frührömischer Zeit, wobei allerdings wegen des meist sehr fragmentarischen Zustands der Handschriften in vielen Fällen unklar bleibt, wie sich die Gestalt des fraglichen Buches in der jeweiligen Handschrift zum späteren masoretischen Text und den weiteren Texttraditionen (vor allem Septuaginta und Samaritanischer Pentateuch) verhält: Neben Handschriften, die der masoretischen Textform nahestehen,6 weichen nicht wenige davon in kleinerem oder größerem Umfang ab; mitunter sind in den Texten vom Toten Meer weitreichende Abweichungen von den später kanonisch gewordenen Text- und Buchgestalten dokumentiert, wofür beispielhaft die große Psalmenhandschrift aus Qumran (11Q5/11QPsa) genannt werden kann, die eine völlig eigenständige Zusammenstellung biblischer und nichtbiblischer Psalmen enthält und pars pro toto die textliche Vielfalt der Psalmenüberlieferung im frühen Judentum beleuchtet.7

Über alles, was der Zeit der ältesten Handschriften vorausgegangen ist, kann die alttestamentliche Wissenschaft nur Vermutungen anstellen. Ausgehend von Beobachtungen zum überlieferten Bibeltext entwirft die Forschung seit mehr als zweihundert Jahren komplexe Modelle, um die Entstehung der biblischen Schriften zu er-klären. Dass diese Modelle sich in vielen Einzelheiten, oft auch in Grundannahmen widersprechen – was immer so war, in jüngerer Zeit aber gern als krisenhaft bezeichnet wird –, liegt in der Natur der Sache: Wer sich nicht mit einem »ignoramus et ignorabimus« be­scheiden will, kann nicht darauf verzichten, die Geschichte der alttestamentlichen Literatur, die der Anfertigung der ältesten Handschriften vorausgegangen ist, zu rekonstruieren, und dies ist bis auf Weiteres nur in hypothetischer Weise möglich. Es liegt auf der Hand, dass in solche Rekonstruktionen – trotz aller methodischen Sorgfalt – immer auch subjektive Wahrnehmungen und einseitige Urteile einfließen.8 Der Streit, der zwischen den Verfechtern der Modelle ausgetragen wird, ist daher idealerweise ein geduldiges Ringen um das bessere Argument – ein Prozess, der unabgeschlossen bleibt und gleichwohl das Verständnis der Texte vertiefen kann.

Da ein solches Ringen aber mühsam ist und seine Ergebnisse oft als unbefriedigend wahrgenommen werden, mehren sich die Stimmen, die sich im Sinne des »ignoramus et ignorabimus« aussprechen: Es sei aus methodischen Gründen unmöglich, Kriterien zu benennen, nach denen literargeschichtliche Vorstufen der überlieferten Textformen erschlossen werden können.9 Die Tatsache, dass literarkritische Kriterien oft hinterfragbar und daher umstritten sind, wird gern mit dem mathematischen Argument verknüpft, dass die Wahrscheinlichkeit von Fehlern mit jeder rekonstruierten Vorstufe exponentiell ansteige, weshalb die vorgeschlagene Rekonstruktion im Ganzen höchst unzuverlässig sei. Freilich ist mit Fehlern auch auf ganz anderen Feldern historischer Arbeit zu rechnen– auch dort, wo die Quellenlage weit weniger kompliziert ist als beim Alten Testament. Wer Fehler a limine ausschließen wollte, müsste ganz darauf verzichten, Dokumente vergangener Zeiten als historische Quellen zu verwenden. Wie schwer ein solcher Verzicht beim Alten Testament wöge, zeigt ein Beispiel: Dass das Alte Testament in vielerlei Weise eng verwandt ist mit Überlieferungen der altorientalischen Kulturen, sich davon aber zugleich auf eine bestimmte Weise unterscheidet, ließe sich dann höchstens als Phänomen konstatieren; der historisch-geistesgeschichtliche Prozess, der sich hinter diesem Phänomen verbirgt, bliebe dem Verstehen aber von vornherein entzogen. Zugespitzt gesagt: Wer darauf verzichtet, die Entstehung und Entwicklung der alttestamentlichen Literatur hypothetisch zu rekonstruieren, darf nicht darüber urteilen, wie sich das eigentümliche Verhältnis des Alten Testaments zu den Überlieferungen des Alten Orients historisch erklärt; denn wie ließe sich ein solches Urteil sonst begründen?

Unter denjenigen, die es nicht grundsätzlich ablehnen, Vorstufen der Texte zu rekonstruieren, werden komplexere Modelle, die mit zahlreichen Vorstufen des überlieferten Textes rechnen, gern schlicht wegen ihrer Vielschichtigkeit hinterfragt: Wenn die postulierten Schichten eines Textes eine bestimmte Zahl übersteigen, wird das Modell – meist ohne nähere Begründung – als unplausibel zurückgewiesen,10 wobei sich mitunter der Eindruck nicht vermeiden lässt, es werde eher nach ästhetischen als nach historischen Kriterien geurteilt. Abgesehen davon ist schwer einzusehen, weshalb schlichtere Modelle, die nur mit einer Handvoll von Entwicklungsstufen rechnen, dem tatsächlichen Verlauf näherkommen sollten.11

Eine gewichtige Anfrage an die literarkritische Methodik betrifft dagegen die Realien und sozialgeschichtlichen Hintergründe der Textproduktion: Modelle, die eine lineare Entwicklung von einem ältesten literarischen Kern über zahlreiche Fortschreibungen zum vorliegenden Text postulieren, setzen meist unhinterfragt voraus, dass die antiken Bearbeiter an jeweils einem einzigen materiellen Exemplar (»master copy« oder »mother copy«)12 tätig waren, wodurch es möglich war, ein und denselben Text über lange Zeit in vielen Einzelschritten zu erweitern. Wie dieser Prozess genauer ausgesehen haben könnte – wobei vor allem an das Faktum zu denken ist, dass das Schreibmaterial Papyrus in Palästina nach einer gewissen Zeit zerfällt, weshalb immer wieder neue Abschriften angefertigt werden mussten – und welchen sozialgeschichtlichen Sitz im Leben er hatte (eine Schule oder Handschriftenmanufaktur, die dem Tempel angegliedert war?), wird in literargeschichtlichen Untersuchungen allenfalls en passent bedacht.13

Im Blick auf das unübersichtliche Gesamtbild, das die alttestamentliche Literargeschichte wegen der Vielzahl an Entstehungshypothesen bietet, erhält gegenwärtig eine alte Einsicht neue Aufmerksamkeit – eine Einsicht, die oft vernachlässigt wurde: Die Textgeschichte, die sich aus der in den Handschriften dokumentierten Uneinheitlichkeit der Textüberlieferung erschließen lässt, enthält nichts anderes als die letzten Ausläufer der literargeschichtlichen Entwicklung. Anders gesagt: In den Abweichungen zwischen den antiken Textformen spiegeln sich – neben Fehlern, die beim Kopieren der Vorlagen entstanden sind – letzte absichtsvolle Eingriffe in die Gestalt der frühjüdischen heiligen Schriften; ein Teil dieser Schriften wurde in den verschiedenen kanonischen Sammlungen weiterüberliefert.14 Diese jüngsten Veränderungen der Texte zeigen, wie antike Schreiber mit der schriftlichen Überlieferung umgegangen sind und wie sie gegebene Texte ergänzt und auf andere Weise umgearbeitet haben. Wenig spricht dafür, dass diese Prozesse in älteren Epochen – d. h. bevor die handschriftlich bezeugte Textüberlieferung einsetzt – grundsätzlich anders verlaufen sind: Eine scharfe Grenze zwischen (früherer) Literar- und (späterer) Textgeschichte lässt sich nicht ziehen, da auch in der Textgeschichte vielerorts Phänomene zu beobachten sind, die sich als späte Literargeschichte erweisen; es legt sich nahe, dass diese späten Prozesse, in denen die überlieferten Texte immer noch verändert wurden, ältere Entwicklungen fortgesetzt haben. Natürlich lässt sich nicht ausschließen, dass die Veränderungen, die von den Schreibern an den überlieferten Texten vorgenommen wurden, im Laufe der Zeit einen anderen – vor allem kleinteiligeren – Charakter gewonnen haben als in früheren Epochen (namentlich in der Perserzeit, in der nach verbreiteter Ansicht die Grundformen der meisten alttestamentlichen Bücher entstanden sind); die Freiheit, die die Schreiber gegenüber den überlieferten Texten an den Tag legten, mag im Laufe der Zeit eher abgenommen haben. Allerdings ist auch in den vier Jahrhunderten, aus denen die ältesten Handschriften stammen (3. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. n. Chr.), mitunter ein erstaunlich kreativer Umgang mit überliefertem Textgut be­zeugt.15 Der einzige klar definierbare Unterschied zwischen den Feldern der Text- und Literargeschichte liegt schlicht darin, dass die Textgeschichte mit handschriftlich dokumentierter Evidenz umgeht, deren Umfang sich den Zufällen von Textfunden und späteren Kanonisierungsprozessen verdankt, während die Literargeschichte über solche Evidenz nicht verfügt und literarische Vorformen nur hypothetisch erschließen kann.16 Wer nach der Entstehung der alttestamentlichen Literatur fragt, sollte daher der Textgeschichte höchste Aufmerksamkeit widmen: Was in der antiken Textüberlieferung erkennbar ist, wirft wahrscheinlich ein indirektes Licht auf die vorausgehende Geschichte der alttestamentlichen Literatur. Ein Studium der Textgeschichte, das diese als jüngste Phase der Literargeschichte begreift, trägt entscheidend dazu bei, die literargeschichtlichen Prozesse, die den erhaltenen Handschriften und den später kanonisierten Textformen vorausgegangen sind, besser zu verstehen. Umgekehrt sind literargeschichtliche Hypothesen an den textgeschichtlichen Phänomenen zu messen, die in Handschriften und Texttraditionen dokumentiert sind.

II Textgeschichtliche Einblicke in letzte Ausläufer der Literargeschichte


Julius Wellhausen legte 1871 in der Monographie »Der Text der Bücher Samuelis« eine detaillierte Erklärung der Textgeschichte des Samuelbuches vor.17 Auch wenn er darin – in Auseinandersetzung mit Abraham Geiger18 – eine zu starke Vermischung von Textgeschichte und literargeschichtlicher Rekonstruktion zurückwies,19 bot ihm die Überlieferung des Samueltextes vielerlei Anlass, das Ineinandergreifen von Text- und Literargeschichte als historisches Phänomen in den Blick zu nehmen:

»Der Process, durch welchen die geschichtliche Literatur des Alten Testaments zu ihrer gegenwärtigen Gestalt heranwuchs, hat noch Lebensäußerungen gezeigt bis unter die Zeit herab, wo die LXX entstanden ist. […] Auf alle Fälle sind Modificierungen des ursprünglichen Kernes und Umarbeitung kleiner Stellen, Aenderungen einzelner Wörter, geringfügige Einsätze […] mit der Entstehungsweise der geschichtlichen Bücher unzertrennlich verbunden, und es ist schwierig die Grenze zu finden, wo die Literarkritik aufhört und die Textkritik beginnt.«20

Neuere und neueste Studien bestätigen diese Sicht. Es zeigt sich, dass der unscharfe Übergang zwischen beiden Feldern (»wo die Literarkritik aufhört und die Textkritik beginnt«) im Blick auf die Methodik der literarkritischen Rekonstruktionsarbeit systematisch untersucht werden muss:21 Was ist aus den späten »Modificierungen des ursprünglichen Kernes« über die Entwicklungen zu lernen, die den erhaltenen Texttraditionen vorausgegangen sind? Anders gefragt: In welchem Licht erscheinen Hypothesen zur literargeschichtlichen Entwicklung, wenn sie im Horizont der Textgeschichte betrachtet werden?

Die große Aufmerksamkeit, die die alttestamentliche Textgeschichte in jüngerer Zeit erhält,22 verdankt sich dem Anstoß durch die Textfunde vom Toten Meer, der erst nach einem halben Jahrhundert volle Wirkung zu entfalten begann, was vor allem mit der verzögerten Gesamtedition der Texte zusammenhing. Die Handschriften aus Qumran haben die alttestamentliche Textgeschichte auf eine vollkommen neue Grundlage gestellt.23 In Nachbarschaft zur Qumranforschung erlebt auch die Septuagintaforschung – auf mancherlei Weise durch das Studium wichtiger Handschriften aus Qumran (z. B. der Samuelhandschriften 4QSama und 4QSamb)24 befruchtet25 – eine große Blüte, einschließlich der Erforschung ihrer Tochterübersetzungen, namentlich der Vetus-Latina-Tradition.26 In vielen Einzelstudien konnte vor allem die Uneinheitlichkeit und rezensionelle Mehrschichtigkeit der griechischen Textüberlieferung herausgearbeitet werden; mitunter verbergen sich gerade in peripheren Zeugen wichtige und möglicherweise alte Lesarten des griechischen Textes. Auch das kleinere, aber ebenso wichtige Feld der Samaritanusstudien wird in jüngerer Zeit immer stärker wahrgenommen, vor allem im Zusammenhang mit dem bedeutsamen Phänomen, dass eine Gruppe von Qumranhandschriften dem Text des Samaritanischen Pentateuchs nahesteht.27 Schließlich sollten auch die übrigen Felder der alttestamentlichen Textgeschichte, namentlich die Peschitta- und die Targumforschung, nicht übersehen werden, da Entstehung und Geschichte dieser Übersetzungen kulturgeschichtlich eng mit den Hauptströmen der Textüberlieferung verwandt sind.28 Neue Editionen des alttestamentlichen Textes, allen voran die Biblia Hebraica Quinta (BHQ)29 und die jüngst begonnene eklektische Edition »The Hebrew Bible. A Critical Edition (HBCE)«30, bilden ab, welches Gewicht der alttestamentlichen Textgeschichte in der neueren Forschung zukommt.

Dank des vertieften Interesses an der Textgeschichte finden zudem Parallelüberlieferungen wie 2 Sam 22/Ps 18, 2Kön 18–20/Jes 36–39 und Samuel–Könige/Chronik neue Beachtung, da auch dort textgeschichtliche Entwicklungen dokumentiert sind. Abgesehen davon bietet die Chronik eine programmatische Neugestaltung überlieferter literarischer Zusammenhänge,31 was sich wiederum mit den Neukompositionen vergleichen lässt, die unter dem Schlagwort »Rewritten Bible« zusammengefasst werden (Tempelrolle, Jubiläenbuch, Genesis Apokryphon etc.). Zwar zeichnet solche Neukompositionen eine bestimmte Form kreativer Freiheit im Umgang mit dem überlieferten Stoff aus – gepaart mit einem erstaunlich hohen autoritativen Anspruch –, wodurch sie als ein Phänomen sui generis erscheinen können, aber auch hier sind die Grenzen zu textgeschichtlichen Vorgängen fließender, als es auf den ersten Blick wirken mag.

Die Textüberlieferung, die in den antiken und mittelalterlichen Handschriften bezeugt ist, die innerbiblischen Paralleltexte (2Kön 18–20/Jes 36–39; 2Sam 22/Ps 18; Ps 105+96+106/1Chr 16; Ps 14/53; Ps 40/70; Ps 57+60/108) und die Neukompositionen inner- und außerhalb des biblischen Kanons (Samuel–Könige/Chronik; Jes 15 f./Jer 48; Jer 49/Ob; »Rewritten-Bible«-Literatur) bieten eine Fülle von Material, anhand dessen die Methodik der literargeschichtlichen Rekonstruktion – die klassische Literarkritik – überprüft und neu ausgerichtet werden kann. Die systematische Erschließung dieses Materials steckt allerdings noch in den Anfängen.

Natürlich müssen auch die »empirischen« Befunde,32 die die Textüberlieferung bietet, ihrerseits erst historisch gedeutet werden: Weichen zwei Texttraditionen voneinander ab, belegt das zunächst nichts anderes als die Vielgestaltigkeit der antiken textlichen Überlieferung; wie sich die Textformen zueinander verhalten, d. h. wie sie im Verhältnis zueinander entstanden sind, muss jeweils erst erschlossen werden, und wer Beispiele zu studieren beginnt, stößt auf das – mitunter überraschende – Phänomen, dass die Forschung in den allermeisten Fällen bereits divergierende Modelle vorgetragen hat, wie sich der eine Text zu dem anderen historisch verhält. 33 Textliche »Evidenzen« sprechen also nicht einfach für sich; wie die Literargeschichte muss auch die Textgeschichte immer erst rekonstruiert werden, und dies setzt die – jeweils hinterfragbare – historische Deutung der Unterschiede zwischen den Textformen voraus.34

In jedem Fall aber beleuchtet die in den antiken und mittelalterlichen Handschriften bezeugte Vielgestaltigkeit der textlichen Überlieferung die jüngsten Phasen der Entstehungsgeschichte der alttestamentlichen Schriften: Der synoptische Vergleich zwischen unterschiedlichen Texttraditionen eröffnet indirekte Einblicke in die Werkstatt der antiken Schreiber. Ein Großteil der Unterschiede, die zwischen zwei oder mehr Textformen zu beobachten sind, lässt mit hoher Wahrscheinlichkeit erkennen, dass überkommene Texte noch in später Zeit erweitert oder in anderer Weise umgestaltet wurden. Wenn dieses Feld systematisch untersucht wird, könnte sich die Bildung literargeschichtlicher Hypothesen methodisch auf neue Grundlagen stellen lassen: Die Weise, in der die überlieferten Texte während der durch die Handschriftenüberlieferung dokumentierten Epoche verändert wurden, könnte Rückschlüsse auf vorausgegangene Phasen der Literaturgeschichte erlauben.

III Fortschreibungen und andere Phänomene der Textänderung im Licht der Textgeschichte


Klassische literar- und redaktionskritische Modelle rechnen hauptsächlich – meist sogar ausschließlich – mit einem bestimmten literargeschichtlichen Phänomen: der Fortschreibung,35 durch die ein jeweils älterer Text inhaltlich weitergeführt, kommentiert, teils auch korrigiert wurde. Viele literarkritische Entwürfe nehmen eine Fülle solcher Zusätze an, und es werden ganze Fortschreibungsketten postuliert, bei denen knappe literarische Kerne über lange Zeiträume nach und nach erweitert wurden (»hundert Hände in hundert Jahren«36). Umgekehrt wird vielfach a limine infrage gestellt, dass es das Phänomen fortschreibender Bearbeitung überhaupt gegeben hat, oder es wird bestritten, dass es flächendeckende Bedeutung besaß.

Eine systematische Betrachtung der Textgeschichte kann die Diskussion über Sinn und Grenzen von Fortschreibungshypothesen weiterführen: Wer divergierende Texttraditionen vergleicht, stößt auf zahlreiche Fälle, wo mit hoher Wahrscheinlichkeit noch in den letzten Phasen der Entstehungsgeschichte eines Buches in einem Teil der Textüberlieferung kürzere, teils auch umfangreichere Ergänzungen vorgenommen wurden. Diese späten, in der Textüberlieferung indirekt bezeugten Nachträge müssen als literargeschichtliches Phänomen wahrgenommen und daraufhin untersucht werden, wie sie sich zur literarkritischen Methodik verhalten: Haben sie im Kontext Spuren hinterlassen, die sich literarkritisch auswerten ließen, wenn die ältere und kürzere Textform nicht erhalten wäre, und wenn ja, wie sehen solche Spuren aus? Sind in den späten Zuwächsen Tendenzen zu erkennen, von denen sich auf ältere Phasen der literargeschichtlichen Entwicklung zurückschließen lässt?

Dass in der Spätzeit der Textüberlieferung vielerorts einzelne Wörter, teils auch kurze Wortverbindungen nachgetragen wurden, vermutlich zunächst als Marginal- oder Supralinearglossen, lässt sich aus einer Fülle abweichender Textformen erschließen; das Phänomen ist in allen Teilen des Alten Testaments belegt. Mitunter bezeugt der Vergleich der Textformen auch umfangreichere Nachträge, die mehrere Sätze oder sogar größere Einheiten umfassen. Kürzere und längere Ergänzungen sind nicht nur im Samaritanischen Pentateuch (SP) oder der – oft vielgestaltigen – Septuagintaüberlieferung (LXX) zu finden, sondern auch im Masoretischen Text (MT). Insgesamt beruht es wohl schlicht auf Zufall, an welchen Stellen und durch welche Texttraditionen das Phänomen später Fortschreibungen dokumentiert ist.

Kurze Ergänzungen zum überlieferten Text scheinen vielfach nur geringes inhaltliches Gewicht zu haben – zumindest auf den ersten Blick: Oft verdeutlichen die knappen Zusätze, was auch im älteren Text ausgesagt ist. Ein Beispiel ist 1Kön 19,8 MT, wo der Horeb als »Berg Gottes« (har hā’ælohîm) bezeichnet wird, während der älteste LXX-Text nur vom »Berg Horeb« spricht; da sich kaum Gründe nennen lassen, weshalb man die Erwähnung Gottes ausgelassen haben sollte, ist anzunehmen, dass ein später Schreiber den Horeb hier ausdrücklich als »Berg Gottes« gekennzeichnet wissen wollte (vgl. Ex 3,1 MT). Mancherorts wurden durch Glossen kleine Details nachgetragen, wie etwa in 1Kön 17,6, wo nach der älteren Textform, die durch die LXX bezeugt ist, Elia von den Raben morgens Brot und abends Fleisch erhielt, während sie ihn nach dem MT sowohl morgens als auch abends mit Brot und Fleisch versorgten. Derartige Glossen konnten den Text jedoch auch auf theologisch pointierte Weise verändern. In Jos 1,7 LXX wird Josua er­mahnt, sich streng an all das zu halten, was Mose ihm geboten hatte (vgl. Jos 11,15). Im MT wird dies durch die Hinzufügung des Wortes tôrah (»Weisung, Gesetz«) in eine Befolgung des göttlichen Gesetzes verwandelt – wobei allerdings ein falsches Genus im Text stehenblieb, was die Ergänzung auch ohne die kürzere LXX-Fassung verriete.37 Vergleichbare gesetzestheologische Zusätze sind auch andernorts bezeugt, teils im MT, teils in der LXX und anderen Texttraditionen.38 Ein ähnliches Beispiel ist 1Kön 19,10 LXX, wo Elia beklagt, die Israeliten hätten Jahwe verlassen, während der MT von einem Verlassen des »Bundes« (berît) Jahwes spricht; ein paar Verse später (1Kön 19,14) ist das nachgetragene Wort »Bund« auch in einen Großteil der griechischen Textüberlieferung eingedrungen, während nur eine kleine Gruppe von Handschriften, darunter die Zeugen des sogenannten Antiochenischen Textes, die offenbar ältere Wendung vom »Verlassen Jahwes« bezeugt. Solche Angleichungen an die proto-masoretische Textüberlieferung finden sich häufig, wenn die vermutlich älteste Fassung des griechischen Textes (»Old Greek«) vom MT abweicht. Methodologisch wichtig ist, dass in 1Kön 19,10.14 MT nicht zu erkennen wäre, dass die Wendung »sie haben dich verlassen« nachträglich in »sie haben deinen Bund verlassen« verändert wurde.39 Derartige punktuelle Nachträge, die im Text keine erkennbaren Spuren hinterlassen haben, sind vielerorts belegt; namentlich bei Jeremia lässt der kürzere LXX-Text es immer wieder als wahrscheinlich erscheinen, dass ein einzelnes Wort oder eine kurze Wortgruppe im MT sich einem späten Nachtrag verdankt; ein Beispiel von inhaltlichem Gewicht ist die Bezeichnung Nebukadnezzars als »mein (scil. Jahwes) Knecht« in Jer 43,10 MT.40 Nur selten bietet der längere Text grammatisch-syntaktische Indizien (wie das falsche Genus in Jos 1,7 MT), anhand derer ein solcher Nachtrag rekonstruiert werden könnte, wenn keine abweichende Textüberlieferung vorläge.

Wenn die Ergänzungen dagegen mehrere Worte umfassen, haben sie in vielen Fällen syntaktische oder stilistische Unebenheiten verursacht, die eine Rekonstruktion auch ohne den Vergleich mit der jeweils kürzeren Texttradition erlauben würden. Ein einzelnes Wort oder eine Verbindung zweier Worte ließ sich offenbar leichter nahtlos in einen vorliegenden Text einfügen als eine größere Wortgruppe. Ein Beispiel für einen Nachtrag, der aus mehreren Wörtern besteht und einen holprigen Text verursacht hat, ist Num 13,33,41 wo der MT eine Gruppe von Riesen (nepîlîm) erwähnt (vgl. Gen 6,4), die die israelitischen Kundschafter im Land beobachtet haben, und sie mit der vorher erwähnten Sippe der Anakiter (13,22.28) gleichsetzt. Im ältesten LXX-Text bleibt diese Gleichsetzung unerwähnt, wodurch der Eindruck entsteht, die Riesen seien eine andere Gruppe als die Anakiter gewesen. Wahrscheinlich enthält der MT einen kurzen Zusatz, der die beiden Bevölkerungsgruppen miteinander identifiziert, dadurch aber das differenziertere Bild im älteren Text verdeckt. Da der Zusatz syntaktisch sperrig ist und zugleich eine gewisse Redundanz erzeugt, ließe sich auch ohne den Vergleich mit der kürzeren OG vermuten, dass der Text fortgeschrieben wurde. Ein weiteres Beispiel bietet Ps 18, der mit den Worten »Ich will dich lieben, Jahwe, meine Stärke« (V. 2b) beginnt – eine passende Eröffnung zu dem monumentalen Psalm, der die triumphale Errettung eines Beters aus tiefer Not besingt. In 2Sam 22, wo Ps 18 ein zweites Mal belegt ist, fehlt der eröffnende Satz. Da sich kein Grund erkennen lässt, weshalb der Satz ausgefallen sein sollte, als der Psalm in die Anhänge zum Samuelbuch eingefügt wurde, dürfte es sich bei Ps 18,2b um einen späten Zusatz handeln; dafür spricht auch, dass in 2Sam 22 der fehlende Versteil in einigen LXX-Handschriften und in der Peschitta nachgetragen ist. Das Beispiel zeigt, dass der Psalmentext noch in später Zeit durch einzelne Kola erweitert werden konnte; nichts spricht dafür, dass dies ein völlig vereinzelter Vorgang gewesen ist, und es ist damit zu rechnen, dass auch in der älteren Geschichte der Psalmendichtung solche Ergänzungen vorgenommen wurden. Me­thodologisch ist zu beachten, dass Ps 18,2b nicht allzu fest im näheren Kontext verankert ist; gäbe es den Paralleltext 2Sam 22 nicht, ließe sich gleichwohl begründet vermuten, dass der Vers nachgetragen wurde. In 1Kön 15,3–5 wird, wie an vielen Stellen im Königebuch, ein judäischer König (Abijam) an der Frömmigkeit Davids gemessen; dieser sei sein Leben lang nicht von dem gewichen, was Jahwe ihm geboten habe – »außer in der Angelegenheit Urijas, des Hethiters«. Der einschränkende Halbsatz (V. 5b β) wird durch den ältesten LXX-Text nicht bezeugt, was darauf schließen lässt, dass es sich um einen Zusatz handelt – was auch ohne den Vergleich mit der LXX zu vermuten wäre, da der Halbsatz der vorausgehenden Aussage eigentümlich hinterherhinkt. In Jes 2,22 ist die merkwürdige Aufforderung »Lasst doch ab vom Menschen, in dessen Nase nur ein Hauch ist, denn wofür ist er zu halten?« vom ursprünglichen LXX-Text nicht bezeugt; auch ohne die textgeschichtliche Evidenz ließe sich vermuten, dass der Vers nachgetragen wurde, da sich seine Diktion von dem Gedicht über den Tag Jahwes in V. 6–21 deutlich abhebt. In Jos 23,16b MT wurde, wie das Fehlen des Halbverses im griechischen Text zeigt, die voranstehende Warnung vor Fremdgötterdienst noch auf literargeschichtlich später Ebene mit einer Androhung des göttlichen Zorns verknüpft, die wörtlich aus Dtn 11,17 entnommen wurde; in diesem Fall lehnt sich der Zusatz organisch an den vorausgehenden Text an und wäre schwer zu entdecken, wenn es den kürzeren LXX-Text nicht gäbe.

Angleichungen an das Deuteronomium sind in der Textgeschichte des Pentateuchs mehrfach belegt, wobei sich teils kürzere, teils umfangreichere Fortschreibungen finden. In Ex 32,9 f. wurde der Text offenbar in zwei Schritten an die Parallelüberlieferung der Geschichte vom Goldenen Kalb in Dtn 9,7–21 angeglichen: Der Vers Ex 32,9 MT, der Dtn 9,13 wörtlich entspricht, fehlt in der LXX, was offenbar eine ältere Entwicklungsstufe des Textes widerspiegelt, die den Vers noch nicht enthielt. Eine weitere Angleichung an das Deuteronomium bezeugen in Ex 32,10 der Samaritanische Pentateuch (SP) und die Handschrift 4QpaleoExodm, die eine Textform bieten, in der aus Dtn 9,20 Jahwes Zorn gegen Aaron und Moses Fürbitte für Aaron nachgetragen wurde. Handschriften wie 4QpaleoExodm (4Q22) oder 4QNumb (4Q27)42 bezeugen mehrfach gemeinsam mit dem SP kürzere und längere Erweiterungen des Pentateuchtextes, die meist parallelen Passagen an anderer Stelle (häufig aus Dtn) entsprechen;43 das lässt darauf schließen, dass der überwiegende Teil der Überschüsse des SP noch nichts mit der samaritanischen Gemeinde auf dem Garizim zu tun hat, sondern einer verbreiteten Form des Pentateuchtextes entsprach, die sich von der masoretischen Textform durch umfangreichere Erweiterungen unterschied.44 Diese Zuwächse sind ein organischer Teil der Literargeschichte des Pentateuchs, zu deren jüngsten Ausläufern sie zählen; wer nach der Entstehung des Pentateuchs fragt, sollte sie nicht unbeachtet lassen. An einigen Stellen ist nämlich zu erkennen, dass die hier dokumentierten Fortschreibungsprozesse Tendenzen weiterführen, die bereits auf älteren Ebenen der textgeschichtlich dokumentierten späten Literargeschichte zu beobachten sind und von denen auch der MT nicht unberührt blieb (z. B. Ex 32,8–10 LXX > MT > 4QpaleoExod m/SP; Num 13,33 LXX > MT > SP). Methodologisch ist dies überaus wichtig: Im Licht solcher Phänomene kann es als wahrscheinlich gelten, dass die jüngsten Prozesse der literargeschichtlichen Entwicklung, die in den abweichenden Texttraditionen dokumentiert sind, ältere Phasen der Textentstehung fortgesetzt haben. Literarkritische Hypothesen, die mit einer vielstufigen Entwicklung der Texte rechnen (»hundert Hände in hundert Jahren«), werden durch die textgeschichtlichen Evidenzen jedenfalls nicht falsifiziert, sondern tendenziell eher bestätigt, auch wenn die Entwicklung, die der Zeit der Handschriften vorausging, weiterhin im Dunkeln liegt. Allerdings finden sich immer wieder auch Stellen, wo die Textgeschichte keine lineare Entwicklung von Text A zu Text B zu erkennen gibt, sondern komplexere Prozesse des Textwachstums zu beobachten sind, etwa verschiedene Fortschreibungen einer Textpassage in zwei voneinander unabhängigen Traditionen45

Im Blick auf die Kriterien der literarkritischen Analyse weisen die textgeschichtlichen Evidenzen in zwei Richtungen: Einerseits sind in der Textüberlieferung zahlreiche Fälle dokumentiert, wo eine Ergänzung sich derart eng an den vorgegebenen Text angelehnt hat, dass sie ohne den Vergleich mit der kürzeren Version kaum zu erkennen wäre. Andererseits bietet die Textüberlieferung aber auch etliche Beispiele, wo späte Fortschreibungen erkennbare Spuren hinterlassen haben (syntaktische Inkonsistenzen, thematische Digressionen, Sprünge im Gedankengang etc.). Für die Kriteriologie der Literarkritik haben solche Beispiele größtes Gewicht.

Unkenntlich bleiben vor allem viele sehr knappe Nachträge (Glossen, die nur aus einem Wort oder zwei Worten bestehen); mit Glossierung muss daher auch dort gerechnet werden, wo textgeschichtliche Evidenz nicht vorliegt. Trennscharfe Kriterien, nach denen solche Zusätze methodisch kontrolliert erschlossen werden könnten, lassen sich kaum nennen. Mitunter sind auch umfangreichere Fortschreibungen derart organisch in ältere Zusammenhänge eingefügt, dass eine Rekonstruktion ohne textgeschichtliche Evidenz schwierig wäre. Allerdings scheint dies deutlich seltener der Fall zu sein als bei den sehr kurzen Nachträgen. Längere Nachträge, die in der Textgeschichte dokumentiert sind, haben vielfach Spuren im Text hinterlassen, die den Nachtrag auch ohne textgeschichtliche Evidenz verraten würden. Ein vielgenanntes Beispiel ist der Auftritt eines namenlosen Propheten in Ri 6,7–10, der den Israeliten die Gründe für ihre gegenwärtige Not erklärt; die Szene wurde wegen ihrer losen Verankerung im Kontext schon im 19. Jh. als später Zusatz erkannt, was durch den Fund der Handschrift 4QJudg a (4Q49) bestätigt wurde, die einen Text bezeugt, der die Szene offenbar noch nicht enthielt.46 Ein ganz ähnliches Phänomen bietet ein Wort Jahwes an Salomo, das in 1Kön 6,11–13 in den Bericht über den Bau des Tempels eingefügt ist; das Wort, das wegen der unpassenden Stellung im Baubericht leicht als Zusatz zu erkennen ist, fehlt in der LXX, was auf die literargeschichtlich späte Einfügung schließen lässt.47 Ein weiteres Beispiel ist die kurze Szene, in der der leierspielende David zwei Mal Sauls Speer ausweicht (1Sam 18,10 f. MT); dass die Episode im LXX-Text noch fehlt, bestätigt, was sich auch ohne die abweichende Texttradition vermuten ließe: 1Sam 18,10 f. MT dürfte ein später Nachtrag sein, da die Episode eine folgende Schlüsselszene (1Sam 19,9 f.) vorwegnimmt. Zwischen 1Sam 10,27 und 11,1 bietet die Handschrift 4QSama (4Q51) einen zusätzlichen Abschnitt, der den Krieg des Am­moniterkönigs Nachasch im Ostjordanland in viel größerer Breite beschreibt als 1Sam 11 – eine Texttradition, die auch von Josephus bezeugt wird.48 Die Ergänzung erweist sich als organischer Teil der literargeschichtlichen Entwicklung, da sie ein inhaltliches Problem erklärt, das sich aus der Zusammenschau von 1Sam 11 mit Ri 19–21 ergibt;49 läge nur die Textform von 4QSama vor, ließe sich der Abschnitt gleichwohl als später Nachtrag erkennen. Mit derartigen Zuwächsen zu gegebenem Erzählmaterial ist auch auf älteren Ebenen zu rechnen, und von späten Erweiterungen wie 1Sam 10,27–11,1 in 4QSama oder 1Sam 18,10 f. MT lässt sich lernen, in welcher Weise Texte sukzessive fortgeschrieben werden konnten.

Neben Fortschreibungen bezeugt die Textüberlieferung allerdings auch andere Formen der Textänderung, was in literarkritischen Modellen meist weniger im Blick ist. An einigen Stellen wurden Aussagen, die offenbar als unpassend oder anstößig wahrgenommen wurden, ausgelassen oder durch anderes ersetzt.50 So bietet 1Sam 1,9.14 LXX einen Text, wonach Hanna »vor dem Angesicht Jahwes« stand, als sie ihr Gelübde tat; die entsprechenden Aussagen fehlen im MT, was darauf schließen lässt, dass sie mit Absicht ausgelassen wurden, um den Eindruck zu vermeiden, Hanna hätte unmittelbar vor dem Allerheiligsten gestanden, wo sich die Gottheit befand.51 Ein anderes Beispiel sind die Namen Ischbaal und Meribbaal im Samuelbuch (2Sam 2,10 ff.; 9,6 ff.), bei denen das theophore Element ba‛al im Vorläufer der masoretischen Textgestalt durch bošæt »Schande« ersetzt wurde, weil man offenbar nicht mehr ertrug, dass der Name des kanaanäischen Abgottes im heiligen Text stand.52 Eine ähnliche Tendenz zeigen die antipolytheistischen Korrekturen in Dtn 32,8 f.43 MT, mit denen die im älteren Text enthaltene Erwähnung der »Göttersöhne« unterdrückt wurde.53 Daneben sind auch Auslassungen und Ersetzungen von Texten dokumentiert, die der Harmonisierung mit Paralleltexten dienten: In Jos 20 bezeugt der älteste LXX-Text wahrscheinlich die sekundäre Streichung größerer Textanteile, weil diese dem entsprechenden Gesetz in Num 35,9–15 widersprechen.54 In Dtn 34 bietet der SP eine Texttradition, in der eine ältere Beschreibung des gelobten Landes, die in V. 1–3 MT enthalten ist, durch die gewaltige Ausdehnung des Landes ersetzt wurde, die nach Gen 15,18 dem Abraham verheißen wurde (vom Nil bis zum Euphrat; ähnlich in Dtn 11,24; Jos 1,4).55 Es liegt auf der Hand, dass derartige literargeschichtliche Vorgänge kaum erschließbar wären, wenn die jeweils ältere Textform nicht erhalten wäre. Auslassungen und Ersetzungen von Wörtern oder Passagen, die als anstößig empfunden wurden oder sich mit anderslautenden Bezugstexten nicht harmonisieren ließen, haben in der Regel keine klar erkennbaren Spuren im geänderten Text hinterlassen; zwar blieben manchmal Reste des ausgefallenen Textzusammenhangs im neuen Text stehen (z. B. in Dtn 34,1 SP < 34,2 MT; vgl. auch 1Chr 20,1 < 2Sam 11,1b), aber das ließe wohl nur unter glücklichen Umständen den Ausfall von älterem Text vermuten. Entscheidend jedoch ist, dass durch die Textgeschichte Auslassungen und Ersetzungen als literargeschichtliches Phänomen eindeutig belegt sind; auch wenn sich keine Kriterien nennen lassen, um solche Vorgänge ohne textliche Evidenz zu rekonstruieren, sollten literargeschichtliche Hypothesen nicht mit der Behauptung verknüpft werden, dass es auf früheren Stufen nie zu Auslassungen oder Ersetzungen älteren Textguts gekommen ist. Dasselbe gilt für das Phänomen, dass Wortgruppen, Verse oder ganze Textblöcke im Überlieferungsprozess umgruppiert wurden. Auch dafür bietet die Textüberlieferung nicht wenige Belege (vgl. für Wortgruppen z. B. Jer 28,5 MT/LXX; für Verse z. B. 1Kön 8,12 f. MT/8,53 LXX; für Textblöcke z. B. Jos 8,30–35 MT/9,2 LXX). Zwar lässt sich in diesen Fällen meist gut begründen, welche Textform wahrscheinlich die ältere Reihenfolge enthält, es wäre aber kaum möglich, die Umstellung zu rekonstruieren, wenn keine abweichende Texttradition vorläge. Insgesamt scheinen Auslassungen, Ersetzungen und Umstellungen allerdings seltener belegt zu sein als Erweiterungen von vorgegebenem Textgut.

IV Folgerungen für künftige literargeschichtliche Studien


Am Anfang jeder historischen Untersuchung alttestamentlicher Texte sollte die Vielgestaltigkeit der Textüberlieferung in den Blick genommen werden.56 Das schließt auch die Stellen ein, an denen es wahrscheinlich ist, dass nichtmasoretische Textformen sekundäre Entwicklungen gegenüber dem MT bezeugen; solche Entwicklungen reagieren oft auf literarische Phänomene, die im älteren Text enthalten sind. Zudem zeigen die Handschriften vom Toten Meer, dass die protomasoretische Textform nur eine von mehreren gewesen ist, wobei nicht zu erkennen ist, dass sie vor der Zerstörung des Zweiten Tempels Vorrang vor anderen genoss.57 Es lässt sich nicht schlüssig begründen, weshalb eine literarkritische Untersuchung ohne Weiteres vom Masoretischen Text ausgehen sollte.58

Entscheidend ist, dass textliche Divergenzen im Horizont der Literargeschichte betrachtet werden. Abweichungen zwischen Textformen, die nicht auf mechanische Fehler zurückgehen können, dokumentieren eine literargeschichtliche Entwicklung: Knappe Ergänzungen und längere Fortschreibungen, die in der Textüberlieferung belegt sind, gehören zur Geschichte der Literaturwerke hinzu; dasselbe gilt für Auslassungen und Ersetzungen älterer Textanteile sowie für Umstellungen von Wörtern, Versen und Textblöcken. All diese Phänomene zeigen, wie die überlieferte Literatur noch spät in gestaltender Absicht umgearbeitet wurde.

In einem zweiten Schritt sind die textgeschichtlich dokumentierten Fälle, in denen ein überlieferter Text absichtsvoll geändert wurde, für die literarkritische Methodik auszuwerten. Dabei geht es vor allem um die umstrittene Frage, ob und inwieweit literargeschichtliche Vorgänge rekonstruierbar sind: Haben textgeschichtlich dokumentierte Änderungen Spuren im entstandenen Text hinterlassen? Wenn ja, welcher Art sind diese Spuren? Wäre die Änderung auch ohne den Vergleich mit der jeweils älteren Textform erkennbar?

Die Frage nach der Rekonstruierbarkeit der literargeschichtlichen Prozesse wird gegenwärtig immer häufiger verneint, was sich im Licht der textgeschichtlichen Evidenzen jedoch als einseitig erweist. Zwar bietet die Textgeschichte zahlreiche Belege später literargeschichtlicher Prozesse, die schwer nachzuweisen wären, wenn allein die jeweils veränderte Textform vorläge. Etliche Glossen und auch manche längere Zuwächse wurden nahtlos in einen Text eingefügt, Auslassungen und Ersetzungen älterer Textelemente sowie Textumstellungen ließen sich ohne die jeweils ältere Textform kaum rekonstruieren. Wer Hypothesen entwirft, wie die ältere Literargeschichte ausgesehen haben könnte, sollte all das in Rechnung stellen; im Licht solcher methodisch kaum erschließbarer literargeschichtlicher Phänomene ist immer einzuräumen, dass ein Teil der Entwicklung nicht mehr rekonstruiert werden kann. Entscheidend aber ist, dass dies bei Weitem nicht das Ganze der literargeschichtlichen Vorgänge betrifft. Wer sich auf textgeschichtliche Evidenzen beruft, um zu zeigen, dass es mehr oder weniger fruchtlos sei, die Geschichte der alttestamentli chen Literatur, die der Zeit der Handschriften vorausging, zu re-konstruieren,59 läuft Gefahr, den Befunden Unrecht zu tun: Die Textüberlieferung bietet ja zugleich nicht wenige Beispiele, wo eine Fortschreibung tatsächlich syntaktisch-stilistische Spannungen verursacht oder Struktur und Gedankengang eines Textes derart gestört hat, dass die Änderung auch dann zu erschließen wäre, wenn die ältere Texttradition nicht vorläge. Das Kind sollte nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Unter den späten Änderungen der literarischen Überlieferung, die in den Texttraditionen dokumentiert sind, finden sich immer wieder Fälle, die mit literarkritischen Annahmen zumindest teilweise übereinstimmen. Zwar wurde noch nicht flächendeckend erforscht, wie häufig solche Übereinstimmungen auszumachen sind; die klassischen literarkritischen Kriterien (Wiederaufnahme, Numeruswechsel etc.) sind zudem in einigen Aspekten zu modifizieren, um den textgeschichtlichen Evidenzen zu entsprechen, was ebenfalls noch nicht systematisch geschehen ist. Anhand der Textüberlieferung lässt sich aber bereits jetzt mit vielen Beispielen zeigen, dass eine literarkritische Rückfrage, die von der nötigen Vorsicht geleitet ist, auch bei Texten, für die keine abweichenden Texttraditionen vorliegen, belastbare Ergebnisse bringen kann.

Die erstaunlich intensive und vielfältige Fortschreibungstätigkeit, die ausweislich der Textüberlieferung noch in einer weit fortgeschrittenen Phase der Entstehungsgeschichte der alttestamentlichen Literatur stattgefunden hat, kann den Blick auf hypothetisch zu erschließende Vorstufen schärfen. Der dazu nötige intensivierte Austausch zwischen text- und literargeschichtlicher Forschung hat freilich erst begonnen.

Abstract


While there is growing skepticism about the ability to reconstruct the literary history of the Hebrew Bible / Old Testament, the textual history provides a plethora of documented evidence shedding light on the latest stages of the literary development of ancient Hebrew scriptures, some of which eventually became the Hebrew Bible. This material needs to be investigated comprehensively as part of the lit-erary history of the Hebrew Bible, and this investigation can provide a more solid fundament for hypotheses about the historical development of the Biblical literature. The evidence shows that on the one hand editorial processes such as minor additions, omissions, replacements, and transpositions left no discernible traces in the texts. On the other hand, various cases of late editorial expansions correspond, at least in part, with postulated models of literary and redaction criticism.

Fussnoten:

1) Zu weiteren Formen der Danieltradition vgl. Newsom, Carol A., Daniel. A Commentary, The Old Testament Library, Louisville, KY 2014, 2–6.
2) Vgl. Collins, John J., Art. Daniel/Danielbuch, 4RGG II, Tübingen 1999, 556–559, 556; Newsom, Daniel, 7 und 25–27.
3) Vgl. jüngst Ego, Beate, Alexander der Große in der alttestamentlichen Überlieferung. Eine Spurensuche und ihre theologischen Implikationen, in: Maier, Christl M. (Hrsg.), Congress Volume Munich, VT.S 163, Leiden u. a. 2014, 18–39, 19–24.
4) Scil. 4QEx–Levf und 4QSamb (um oder nach 250 v. Chr.), vgl. Lange, Armin, Handbuch der Textfunde vom Toten Meer, Bd. 1: Die Handschriften biblischer Bücher von Qumran und den anderen Fundorten, Tübingen 2009, 30 f.61 f.220–222.
5) Scil. Papyrus Rylands Greek 458 (2. Jh. v. Chr.) und Papyrus Fouad 266 (um 50 v. Chr.), vgl. Kreuzer, Siegfried, Entstehung und Entwicklung der Septuaginta im Kontext alexandrinischer und frühjüdischer Kultur und Bildung, in: Karrer, Martin/Kraus, Wolfgang (Hrsg.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 3–39, 19.
6) Zum Verhältnis der Tora-Handschriften zur masoretischen Textform vgl. einerseits Tov, Emanuel, Textual Criticism of the Hebrew Bible, Minneapolis 32012, 108, der mit 48 % Handschriften rechnet, die dem MT nahestehen, während Lange, Armin, From Many to One. Some Thoughts on the Hebrew Textual His­tory of the Torah, in: Gertz, Jan C., u. a. (Hrsg.), The Formation of the Pentateuch. Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America, FAT, Tübingen 2016, 115–189, 125, nur 10 % »proto-« und »semi-masoretic« Handschriften zählt.
7) Vgl. Lange, Handbuch (s. Anm. 4), 395–400, sowie jüngst Jain, Eva, Psalmen oder Psalter? Materielle Rekonstruktion und inhaltliche Untersuchung der Psalmenhandschriften aus der Wüste Juda, STDJ 109, Leiden 2014, 159–177.221–284.
8) Vgl. Ulrich, Eugene, The Dead Sea Scrolls and the Developmental Composition of the Bible, VT.S 169, Leiden u. a. 2015, 16.
9) So stellvertretend für viele Ben Zvi, Ehud, Hosea, FOTL 21A.1, Grand Rapids, 2005, 6. Vgl. jüngst Person, Raymond F. Jr./Rezetko, Robert, Introduction: The Importance of Empirical Models to Assess the Efficacy of Source and Redaction Criticism, in: Dies. (Hrsg.), Empirical Models Challenging Biblical Criticism, SBLAIL 25, Atlanta 2016, 1–35, 35: »Once we devote much time to analyzing … reconstructed sources and redactional layers themselves as literary objects worthy of close literary and theological study, we probably have crossed a line of plau-sibility that becomes much too speculative, at least in most cases.«
10) Vgl. z. B. Carr, David M., The Formation of the Hebrew Bible. A New Reconstruction, Oxford 2011, 4: »All too often, biblical studies have attempted to trace in detail every step in the growth of a biblical text to its present form. Some have found evidence of eight to fifteen (or more) layers of sources and redactional expansions in a single chapter or set of verses. Yet I suggest that these more complicated reconstructions of textual prehistory have not stood and will not stand the test of time.«
11) Vgl. Kratz, Reinhard G., The Analysis of the Pentateuch. An Attempt to Overcome Barriers of Thinking, in: ZAW 128 (2016), der die in Teilen der Forschung verbreitete Kritik an vielschichtigen Modellen zur Entstehung des Pentateuchs zu Recht zurückweist.
12) Vgl. dazu van der Toorn, Karel, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, Cambridge, MA u. a. 2007, 18.
13) Vgl. van der Toorn, Scribal Culture, bes. 51–141, zu Realien und Sozialgeschichte der althebräisch-frühjüdischen Schreiberkultur vor dem Hintergrund altorientalischer Schreiberpraxis; Tov, Emanuel, Scribal Practices and Approaches Reflected in the Texts Found in the Judean Desert, STDJ 54, Leiden u. a. 2004, zur Schreiberpraxis, die sich aus den Qumran-Handschriften erschließen lässt.
14) Die Entstehung der verschiedenen biblischen Kanones (Hebräische Bibel, Septuaginta, koptische, syrische, äthiopische und andere Kanones des Alten Tes­taments) bietet eine Fülle historischer Probleme, vor allem im Blick auf die komplexen Zusammenhänge zwischen den Kanonisierungsprozessen ab dem 2. Jh. n. Chr. und den vorausgehenden Jahrhunderten, in denen unter der althebräisch-frühjüdischen Literatur einige Schriften – beginnend mit der Tora – einen herausgehobenen autoritativen Rang gewannen; vgl. dazu jüngst Ulrich, Dead Sea Scrolls (s. Anm. 8), 265–316.
15) Vgl. Brooke, George J., What is Editing? What is an Edition? Towards a Taxonomy for Late Second Temple Jewish Literature, in: Müller, Reinhard/Pakkala, Juha (Hrsg.), Insights into Editing in the Hebrew Bible and the Ancient Near East. What Does Documented Evidence Tell Us about the Transmission of Authoritative Texts?, Contributions to Biblical Exegesis and Theology 84, Leuven 2016, 23–39; White Crawford, Sidnie, Interpreting the Pentateuch through Scribal Processes: The Evidence from the Qumran Manuscripts, in: A. a. O., 59–80.
16) Tov, Textual Criticism (s. Anm. 6), 165–167.283–285, tritt gleichwohl für eine Trennung der Text- von der Literargeschichte ein, da er zwischen »authors-scribes« und »copyists-scribes« unterscheidet und damit rechnet, dass am Anfang der Textüberlieferung eines Buches jeweils eine abgeschlossene Endgestalt stand, die den »ursprünglichen« Text (»›original‹ text«) bot bzw. hinter der sich eine sukzessive Abfolge »ursprünglicher« Textausgaben (»a series … of determinative [original] texts«) verbarg; die Textkritik habe es nur mit der Rekonstruktion dieses jeweiligen Urtextes zu tun. Dieses Modell lässt sich jedoch nur mit Mühe aufrechterhalten, zumal Tov selbst den textlichen Evidenzen für »literarische« Varianten hohe Aufmerksamkeit widmet (s. 283–326); vgl. dazu Müller, Reinhard/Pakkala, Juha/ter Haar Romeny, Bas, Evidence of Editing. Growth and Change of Texts in the Hebrew Bible, SBLRBS 75, Atlanta 2014, 93–99.
17) Wellhausen, Julius, Der Text der Bücher Samuelis, Göttingen 1871.
18) Vgl. Geiger, Abraham, Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der inneren Entwickelung des Judenthums, Breslau 1857.
19) Wellhausen, Text, XI.
20) A. a. O., IX.XI.
21) Pakkala, Juha, God’s Word Omitted. Omissions in the Transmission of the Hebrew Bible, FRLANT 251, Göttingen 2013; Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence (s. Anm. 16); Ulrich, Dead Sea Scrolls (s. Anm. 8), 29–263; Müller/Pakkala (Hrsg.), Insights (s. Anm. 15).
22) Vgl. die Beiträge in: Hartenstein, Friedhelm (Hrsg.), Altes Testament – Textgeschichte des Alten Testaments, VF 60/1 (2015).
23) Vgl. die handliche Edition der sogenannten biblischen Handschriften durch Ulrich, Eugene (Hrsg.), The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, VT.S 134, Leiden u. a. 2010.
24) Vgl. z. B. Kauhanen, Tuukka, The Proto-Lucianic Problem of 1 Samuel, DSI 3, Göttingen 2012, 165–188.
25) Vgl. Ulrich, Dead Sea Scrolls (s. Anm. 8), 151–167.
26) Vgl. Schenker, Adrian, Älteste Textgeschichte der Königsbücher. Die hebräische Vorlage der ursprünglichen Septuaginta als älteste Textform der Königsbücher, OBO 199, Fribourg u. a. 2004; Kauhanen, Tuukka, The Text of Kings and Lucifer of Cagliari, SBLSCS, Atlanta 2017 (im Druck); Pollner, Manfred, Hebräische Vorlage oder spätere Textentwicklung? Untersuchungen zur Textgestalt der Vetus-Latina-Fragmente des Jeremiabuchs und deren Lesartendif- ferenzen gegenüber der alexandrinischen und masoretischen Textform unter Berücksichtigung inhaltlich-theologischer Bearbeitungsstufen, DSI, Göttingen 2017 (im Druck).
27) Vgl. Kartveit, Magnar, The Origin of the Samaritans, VT.S 128, Leiden u. a. 2009, 259–312; Tov, Textual Criticism (s. Anm. 6), 90–93.
28) Vgl. z. B. ter Haar Romeny, Bas, The Syriac Versions of the Old Testament, in: Atallah, Maroun, u. a. (Hrsg.), Sources Syriaques 1. Nos Sources: Arts et Lit-térature Syriaques, Antélias 2005, 75–105.
29) Schenker, Adrian, u. a. (Hrsg.), Biblia Hebraica quinta editione cum apparatu critico novis curis elaborato, Stuttgart 2004 ff.; vgl. dazu Timm, Stefan, Die Biblia Hebraica Quinta (BHQ), VF 60/1 (2015), 52–61.
30) Hendel, Ronald (Hrsg.), The Hebrew Bible. A Critical Edition (HBCE), Atlanta 2015 ff.; Fox, Michael V., Proverbs. An Eclectic Edition with Introduction and Commentary, HBCE 1, Atlanta 2015. Vgl. Tov, Textual Criticism, 359–364, zur »Oxford Hebrew Bible«.
31) Vgl. Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence (s. Anm. 16), 119–125.205–217.
32) Vgl. Tigay, Jeffrey (Hrsg.), Empirical Models for Biblical Criticism, Philadelphia 1985.
33) Ein oft erwähntes Beispiel textgeschichtlicher Evidenz, das eine klassische literarkritische Überlegung untermauert, ist die Handschrift 4QJudga, in der Ri 6,7–10 – eine Szene, die man mit guten Gründen für einen Nachtrag halten kann – (noch?) fehlt (s. u. III); auch hierzu wurden mehrfach alternative Erklärungen vorgetragen, mit denen die textgeschichtliche Evidenz infrage gestellt wird, vgl. z. B. Fernández Marcos, Natalio (Hrsg.), Judges, BHQ 7, Stuttgart 2011, 65* f.: »it may also represent a late, secondary abbreviation for liturgical or other purposes.« Dazu jedoch Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence (s. Anm. 16), 63–66.
34) Vgl. Schenker, Adrian, Man bittet um das Gegenargument! Von der Eigenart textkritischer Argumentation, ZAW 122 (2010), 53–63.
35) Vgl. Zimmerli, Walter, Ezechiel, BK XIII/1, Neukirchen-Vluyn 21979, 106*–109*.
36) Levin, Christoph, Die Verheißung des neuen Bundes in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt, FRLANT 137, Göttingen 1985, 65.
37) Rofé, Alexander, The Scribal Concern for the Torah as Evidenced by the Textual Witnesses of the Hebrew Bible, in: Fox, Nili Sacher, u. a. (Hrsg.), Mishneh Todah. Studies in Deuteronomy and Its Cultural Environment, FS Jeffrey H. Tigay, Winona Lake 2009, 229–242, 232.
38) Rofé, Scribal Concern, 232–241; dabei scheint es sich nicht nur um Ergänzungen zu handeln, sondern teils auch um Ersetzungen anderer Wörter.
39) In diesem Fall kann das zusätzliche Wort nicht nur mechanisch eingefügt worden sein, da auch die ältere Verbform zu ändern war. Solche Vorgänge sind auch durch die Unterschiede zwischen Jer MT und Jer LXX mehrfach dokumentiert.
40) Vgl. Stipp, Hermann-Josef, A Semi-Empirical Example for the Final Touches of a Biblical Book. The Masoretic Sondergut of the Book of Jeremiah, in: Müller/Pakkala (Hrsg.), Insights (s. Anm. 15), 295–318, 304 f. Der Jeremiatext ist zwar nach wie vor umstritten; wer die Priorität des MT postuliert, muss den kürzeren LXX-Text entweder auf mechanische Textausfälle oder stilistisch motivierte Glättung von Redundanzen zurückführen. Beide Annahmen erweisen sich aber als schwierig: Eine derart hohe Zahl von Textausfällen erscheint kaum als realistische Möglichkeit; da der LXX-Übersetzer sehr wörtlich zu übersetzen scheint, sind ihm stilistische Glättungen kaum zuzutrauen, und dass die hebräische Vorlage der Jer-LXX stilistische Glättungen solchen Umfangs enthielt, ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil derart umfangreiche stilistische Glättungen in den Handschriften von Qumran nicht eindeutig belegt sind.
41) Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence (s. Anm. 16), 35–38.
42) Außerdem 4Q17 und die als 4QRP (»Reworked Pentateuch«) zusammengefasste Gruppe, vgl. Kartveit, Origin (s. Anm. 27), 263–273.
43) Vgl. Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence (s. Anm. 16), 38–43 (zu Num 13,33 SP und weiteren Zuwächsen in Num 13 f. SP) sowie 19–25 (zu Lev 17,4 SP).
44) Vgl. Kartveit, Origin (s. Anm. 27), 273–288; Ulrich, Dead Sea Scrolls (s. Anm. 8), 29–45.215–227.
45) Vgl. Lohfink, Norbert, Canonical Signals in the Additions in Deuteronomy 1.39, in: O’Brien, Mark A./Wallace, Howard N. (Hrsg.), Seeing Signals, Reading Signs, FS Campbell, London u. a. 2004, 30–43.
46) Vgl. Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence (s. Anm. 16), 59–68; Ulrich, Dead Sea Scrolls, 67–70.
47) Vgl. Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence, 101–108.
48) Vgl. Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence, 79–99; weiterführend Kratz, Reinhard G., Nahash, King of the Ammonites, in the Deuteronomistic History, in: Müller/Pakkala (Hrsg.), Insights (s. Anm. 15), 163–188.
49) Kratz, Nahash, 175 f.
50) Vgl. Pakkala, Word (s. Anm. 21), passim.
51) Vgl. Tov, Textual Criticism (s. Anm. 6), 254 f., sowie zum Kontext in 1Sam 1 f. Pakkala, Word (s. Anm. 21), 200–210.
52) Vgl. Müller, Reinhard, Das theophore Element »-Baal« zwischen Samuel und Chronik, in: Becker, Uwe/Bezzel, Hannes (Hrsg.), Rereading the relecture? The Question of (Post)chronistic Influence in the Latest Redactions of the Books of Samuel, FAT II/66, Tübingen 2014, 107–129.
53) Vgl. Tov, Textual Criticism (s. Anm. 6), 248–250.
54) Vgl. Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence (s. Anm. 16), 45–58.
55) Vgl. Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence, 6 f.
56) Vgl. Tov, Textual Criticism (s. Anm. 6), 365, der für einen »egalitarian approach to all the textual sources« plädiert.
57) Vgl. jüngst Ulrich, Dead Sea Scrolls (s. Anm. 8), 18–26, der die Zufälligkeit der Auswahl des MT als Text der später kanonisierten Sammlung heiliger Schriften betont und in diesem Zusammenhang auf die unterschiedliche Qualität des MT verweist; ähnlich Tov, Textual Criticism (s. Anm. 6), 179: »From a textual point of view, it was a mere coincidence that M [scil. MT, R. M.] was the only text remaining after the destruction of the Temple.«
58) Vgl. Müller/Pakkala/ter Haar Romeny, Evidence (s. Anm. 16), 3–5.93–99.
59) So jüngst Person/Rezetko, Introduction (s. Anm. 9), 22–35.