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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

660–661

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Rahner, Karl

Titel/Untertitel:

Sämtliche Werke. Bd. 32/1: Ergänzungen und Register. Bearb. v. A. Raffelt.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2016. XXVI, 573 S. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-451-23732-4.

Rezensent:

Gunther Wenz

Axiochos hat Angst vor dem Tod. Zwar hat er sich als Philosoph zeitlebens in die ars moriendi eingeübt. Doch als es tatsächlich ans Sterben geht, wird er von Verzweiflung übermannt. Der vom Sohn des Sterbenskranken als Seelsorger herbeigerufene Sokrates vergleicht den Patienten daraufhin mit einem Sportler, der zwar im Training Höchstleistungen erbracht habe, im Wettkampf aber versage. Ob der Vergleich passend und situationsgerecht war, muss ebenso wenig entschieden werden wie die Frage, ob die philosophischen Argumentationen plausibel sind, mit denen Sokrates seinen Schützling von der Todesangst zu kurieren versuchte, und, wie man hört, tatsächlich kurierte. Wichtig ist im gegebenen Zusammenhang lediglich die Feststellung, dass in Karl Rahners christlicher Thanatologie durchaus andere Akzente gesetzt werden als im pseudoplatonischen Axiochosdialog »Über den Tod« (eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von I. Männlein-Robert u. a., Tübingen 2012), was wesentlich mit den Unterschieden zusammenhängt, die zwischen dem Sterben des Sokrates und demjenigen des gekreuzigten Jesus von Nazareth walten.
Wer sich davon kurz und bündig überzeugen lassen möchte, lese R.s Artikel »Tod« aus der fünften Auflage des »Großen Herder«, der zusammen mit anderen Lexikonartikeln dem Band SW 32/1 (hier: 169–173) beigegeben ist. Der Band enthält Ergänzungen zu SW 4, 7, 14, 17, 19, 21, 22, 25, 29, 30, 31, und zwar in Form von Texten, »die entweder bei der Gestaltung der jeweiligen Bände nicht zur Verfügung standen, aufgrund der geänderten Editionspraxis analog zu anderen Texten als eigenständige Versionen aufgenommen werden mussten oder bei Unveröffentlichtem durch Publikatio-nen Dritter neue Aufmerksamkeit gewonnen haben« (SW 32/1, XI). Auch einige bei den Planungen übersehene Texte sind aufgenommen. Nähere Aufschlüsse zu Aufbau und Inhalt des Ergänzungsbandes bietet der sorgfältige Editionsbericht des Bearbeiters Alb­ recht Raffelt (vgl. SW 32/1, XI–XXVI). Ein Versuch zum Thema »Opus operatum und opus operantis« steht gefolgt von einem Beitrag zu »Visionen und Prophezeiungen« am Anfang, einige Interviews und Statements, teilweise recht persönlich gehalten, markieren den Schluss von SW 32/1.
In seinem Grußwort anlässlich der Vorstellung des Buches des Trienter Professors für Theoretische Philosophie und Religionsphilosophie S. Zucals »La teologia della morte in Karl Rahner« (Bologna 1982; vgl. SW 30, 708 f.) gibt R. zu verstehen, »an der Schwelle des achzigsten Lebensjahres eine gewisse Distanz« (SW 32/1, 487) gegenüber seiner »Theologie des Todes« zu haben, die ihn neben praktischen Gründen hindere, in die Debatte des Abends einzugreifen. Es gehe ihm hinsichtlich seiner Theologie ein wenig wie Thomas von Aquin, der kurz vor seinem Tod all seine Schriften gegenüber Reginald, dem Sekretär, als Spreu bezeichnet habe. Dies wird man bei allem gebotenen Respekt vor der Bescheidenheit eines Thomas und eines Karl Rahner in Bezug weder auf den einen noch auf den anderen sagen können und zwar unbeschadet aller Unterschiede, die ansonsten zwischen den beiden walten. Was etwa seine mögliche S elig- oder gar Heiligsprechung anbelangt, gab sich R. niemals irgendwelchen Illusionen hin: »Ich werde nicht in diese Gefahr kommen …« (SW 32/1, 488). Dies schränkt seine überragende Bedeutung als Theologe und Lehrer der Kirche nicht ein, wie der Ergänzungsband zur Ausgabe der SW, die »das gedruckte Werk des Theologen in seiner Vollständigkeit nebst wichtigen Texten aus dem ungedruckten Nachlaß« (SW 32/1, XI) bereitstellt, ein weiteres Mal beweist. Man hat das II. Vaticanum als »Konzil der Buchhalter« (A. Lorenzer) und die konziliare Modernisierung des römischen Ka­tholizismus im Sinne einer kontraemanzipatorischen Unterwerfung unter den herrschenden Zeitgeist beschrieben, die zwangsläufig in kirchlicher Selbstsäkularisierung und damit Selbstaufhebung ende. Wer das Werk R.s vorurteilsfrei zur Kenntnis nimmt, wird gewiss zu einem anderen Schluss kommen.