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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

635–637

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Girardet, Klaus M.

Titel/Untertitel:

Studien zur Alten Geschichte der Europäer.

Verlag:

Bonn: Dr. Rudolf Habelt 2015. XVIII, 597 S. m. Abb. Geb. EUR 83,00. ISBN 978-3-7749-3987-5.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Nur wenige Jahre nach einer thematisch verwandten Aufsatzsammlung (»Kaisertum, Religionspolitik und das Recht von Staat und Kirche in der Spätantike«, Bonn 2009), legt der bekannte, nicht zuletzt um die Konstantinforschung verdiente Saarbrücker Alt-historiker Klaus M. Girardet, von Neuem Vetera et Nova aus seiner fleißigen Feder vor. Die Sammlung ist in drei Teile gegliedert: »A. Alte Geschichte und europäische Identität« (3–108); »B. Denken und Handeln bei Griechen und Römern« (111–282); »C. Zur Ge­schichte des Verhältnisses von Staat und Kirche in den ersten Jahrhunderten« (285–597). Eine Gesamtbibliographie und sogar Register hat sich G. – bedauerlicherweise – ersparen zu können ge­glaubt.
Für eine detaillierte Inhaltsübersicht muss auf die Möglichkeiten des Internets verwiesen werden. Da davon auszugehen ist, dass für die Leserschaft dieser Zeitschrift von größtem Interesse die Beiträge des dritten Teils der Sammlung sind, sei nur auf diesen etwas näher eingegangen. Umfangreicher als die beiden ersten zusammen, enthält er ganz überwiegend Beiträge zur Geschichte Konstantins und seiner Zeit. Zu den wenigen Ausnahmen zählt etwa ein Beitrag zu dem – zu Recht – Aufsehen erregenden, weil zum ersten Mal in der uns bekannten Christentumsgeschichte mit einem (dann auch vollstreckten) Todesurteil endenden Prozess ge­gen einen »Ketzer«, Priscillian von Avila (Trier 384/85), seinen Voraussetzungen und Folgen (507–529). Die Konstantinbeiträge wiederum sind, soweit bereits erschienen, zusammen mit den darin aufgenommenen, weithin bekannten und vieldiskutierten Bü­chern und Aufsätzen desselben Autors zum selben Thema, ganz wesentlich beteiligt an dem inzwischen erreichten Konsens in Hauptfragen der Konstantinforschung. Darum seien die an dieser Forschung Interessierten nachdrücklich auf diesen umfangreichen und gewichtigen Teil der Sammlung hingewiesen.
Ihn hier im Einzelnen vorzustellen und zu diskutieren muss ich mir leider ebenfalls versagen. Ich kann nur die darin enthaltenen drei Erstveröffentlichungen herausgreifen und die Diskussion mit ihnen wenigstens beginnen, indem ich jeweils eine Frage stelle, und benutze als Einstieg einen bereits (2011) veröffentlichten Beitrag mit dem Titel »Libertas religionis. ›Religionsfreiheit‹ bei Tertullian und Laktanz – Zwei Skizzen« (285–307). G. versucht darin zu zeigen, es lasse sich unmöglich behaupten, die beiden genannten frühchristlichen Autoren hätten dem Freiheitsgedanken Allgemeingültigkeit zuerkannt; der Ruhm, »Begründer des Prinzips ›Religionsfreiheit für alle Menschen‹« zu sein, gebühre vielmehr »Kaiser Konstantin d. Gr.« (307 mit Anm. 126, unter Hinweis auf den an zweiter Stelle folgenden Aufsatz über »Religionsfreiheit für alle Menschen« [s. u.]). Nun, dass weder Tertullian noch Laktanz unter allgemeiner Religionsfreiheit dasselbe verstanden haben (können) wie G., nämlich, dass damit »so etwas wie« ein »Pluralismus der Religionen gefordert oder doch jedenfalls ins Auge gefasst« (286 u. ö.) wäre, ist unbestritten. Allein, so die einzige Frage, die ich hier stellen möchte – es gäbe sehr viel mehr zu fragen: Ist der Unterschied zwischen den beiden Apologeten und Konstantin nicht schlichtweg darin begründet, dass für jene gar kein triftiger Grund bestand, sich ausdrücklich für »Religionsfreiheit für alle Menschen« statt »Freiheit für die in paganer Umwelt angegriffene Religion« (294) auszusprechen – auch Laktanzens Äußerungen zum Thema sind ja »vor dem dunklen Hintergrund der diokletianischen Christenverfolgung entstanden« (294) –, während Konstantin allen Anlass hatte, diese libertas förmlich zuzusichern, weil sich aufgrund der Dynamik seiner Religionspolitik nach Erringung der Alleinherrschaft im Westen und später auch im Osten mancher »Heide« besorgt gefragt haben wird, wohin diese Politik noch führen werde?
Im folgenden Aufsatz über »Galerius, Konstantin und die Chris­ten im Jahr 311« (309–336) – in Wahrheit geht es um die Religionspolitik von vier Kaisern, nämlich außer Galerius und Konstantin auch Maxentius und Maximinus Daia bis und in 311 – setzt sich die ausgeprägte Neigung G.s zu Überspitzungen fort, indem er damit beginnt, aus seiner Sicht – mit der er bisher freilich »wohl noch weitgehend alleine stehe« – sei »das Jahr 311 und kein anderes, wie etwa 312 oder gar auch noch 313, das für die Zukunft des Christentums in der Antike und bis heute welthistorisch entscheidende Jahr gewesen« (309). Meine Frage: ob es bei dieser »weitgehenden Alleinstellung« G.s nicht fürs Erste auch bleiben werde, angesichts der kaum verkennbaren Unterschätzung des Galeriusedikts (311–322), ferner der Tatsache, dass Konstantin 311 noch nicht einmal im Besitz der Alleinherrschaft über den Westen war und ohne seine »behutsame Christianisierungspolitik […] die nächsten 25 Jahre hindurch« (336) »welthistorisch« Entscheidendes, schon gar »im Jahr 311«, kaum zu verbuchen gewesen wäre.
Im Aufsatz »Religionsfreiheit für alle Menschen« (s. o.) möchte G., wie gesagt, nicht nur den Ruhm, »Begründer« dieses Prinzips zu sein, Konstantin vorbehalten wissen. Vielmehr setzt er sich überdies, auch das eine seiner Überspitzungen, nachdrücklich dafür ein, dass dieses Prinzip »Ende 312« vom Kaiser zum ersten Mal, (einige) Monate vor dem fälschlicherweise so genannten »Edikt von Mailand«, proklamiert worden sei. Zu fragen ist jedoch m. E., ob nicht zwar das Faktum eines allgemeinen Toleranzversprechens in Gesetzesform für die Zeit »Ende 312« aus indirekter Überlieferung wahrscheinlich zu machen sei, dessen Inhalt jedoch angesichts der von G. nicht bestrittenen »unbefriedigenden Quellenlage« (372) viel zu vage bleibe, als dass man sich ernstlich auf seine »These« (358–360) einzulassen vermöchte? Wer mehr Sicherheit über Konstantins Absichten erstrebt, sollte sich, denke ich, lieber an die – in meinen Augen von G. notorisch unterbewertete Mailänder Verabredung zwischen Konstantin und Licinius oder, noch besser, gleich an die Erneuerung des Toleranzversprechens Konstantins in seinem »Lehrbrief« an die östlichen Provinzialen von 324 (Euseb, VC 2,56) halten.
Die dritte Erstveröffentlichung ist dem Thema »Imperium und sacerdotium. Politische und ideologische Folgen der Konstantinischen Wende« gewidmet (531–561). G. vertritt darin die Auffassung, Konstantin habe »noch gleichsam unbefangen als super ecclesiam stehender Hohepriester nach dem Vorbild des Hohepriesters Chris­tus« gegolten (556), mit der Konsequenz, dass schon bei ihm vom Faktum eines »kaiserlichen ›oberbischöflichen‹ Kirchenregiments« (541) zu reden sei, ein Konstrukt, das erst durch den Einspruch des Ambrosius gegen Valentinian II. und später Theodosius I. (Im­pera-tor enim intra ecclesiam, non supra ecclesiam est [ep. LXXVa (21a), 35 (CSEL 82,3,106 Zelzer)]) sein Ende gefunden habe. Passt das, so frage ich, zu all dem, was wir über Konstantins Religions- und Kirchenpolitik und die Reaktion des Episkopats darauf wissen, und wird nicht umgekehrt dem Bußakt von Mailand eine ungebührlich große Rolle zugeschrieben zum Verständnis der Kirchenpolitik Theodosius I. und erst recht seiner Nachfolger bis hin zu Justinian I.?
Das sind wichtige Fragen zu einem wichtigen Buch, für dessen Reichtum an Information (einschließlich zahlreicher Karten und Abbildungen) gleichwohl Leserinnen und Leser dem Autor nur dankbar sein können.