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Ausgabe:

Juni/2017

Spalte:

601–602

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Harland, Philip A. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Greco-Roman Associations: Texts, Translations, and Commentary. Vol. II: North Coast of the Black Sea, Asia Minor.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2014. XXX, 565 S. m. Ktn. = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, 204. Lw. EUR 109,95. ISBN 978-3-11-034014-3.

Rezensent:

Markus Öhler

Mit dem zweiten Band einer kommentierten Ausgabe von Inschriften und Papyri zum griechisch-römischen Vereinswesen – zu Band 1 siehe ThLZ 139 [2014], 322–324 – legt Philip Harland eine Bear-beitung von 61 Inschriften aus Kleinasien und der nördlichen Schwarzmeerküste vor, die in einen wesentlichen Bereich antiken Soziallebens einführt, der für die Erforschung des antiken Judentums und frühen Christentums von hoher Relevanz ist.
Der Vf., der sich mit seiner Arbeit zum Vereinswesen in Kleinasien »Associations, Synagogues, and Congregations« (2003, 20132) bereits monographisch mit Vereinigungen beschäftigte und auch an der Sammlung übersetzter Vereinstexte »Associations in the Greco-Roman World. A Sourcebook« (2012) beteiligt war, bietet nun eine kommentierte Fassung von exemplarischen Texten, deren Auswahl sowohl geographisch an den Landschaften Kleinasiens als auch thematisch an unterschiedlichen Vereinsarten orientiert ist. Der Zeitrahmen bewegt sich dabei zwischen 300 n. Chr. und 300 v. Chr. Der Vf. benennt zwei Anliegen, die mit Bravour erreicht werden: Einerseits will er ein Referenzwerk für die weitere Forschung zum antiken Vereinswesen schaffen, das für das Studium relevanter Einzeltexte Übersetzungen, Bemerkungen zu sprachlichen Formulierungen und Kommentare liefert. Andererseits will er die jeweiligen Dokumente aber auch in einen lokalgeschichtlichen Kontext stellen und die spezifischen Formen des antiken Vereinswesens, die durch sie erkennbar werden, zugänglich machen. Dazu werden neben den ausführlich behandelten Inschriften zahlreiche weitere innerhalb des Kommentars zitiert, übersetzt und erörtert. Dabei betont der Vf. zu Recht immer wieder, dass alle Vereinigungen jenseits ihres eigentlichen Interesses (beruflich, nachbarschaftlich, landsmannschaftlich oder anderes) auch einen religiösen Charakter hatten.
Einige für die neutestamentliche und judaistische Forschung besonders interessante Inschriften seien kurz angeführt: Anlässlich von zwei Inschriften aus der Bosporus-Region (No. 95 f. = CIRB 70 bzw. 1283) diskutiert der Vf. Vereinigungen, die sich der Verehrung des bzw. eines Theos Hypsistos widmen, wobei er für eine nicht-jüdische Deutung dieser Bezeichnung plädiert. Aus Sardis stammt eine Inschrift, in der die Teilnahme an zwei bestimmten Kulten verboten wurde (No. 120 = SEG 29-1205), was der Vf. als »some degree of exclusivity« interpretiert. Die Silberschmiede aus Apg 19 begegnen als Vereinigung in einer Grabinschrift aus der 1. Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. (No. 126 = IEph 2212). Hier werden u. a. Berufsvereinigungen in Ephesos diskutiert, die eine wichtige Rolle im Gefüge der Stadt spielten. An einigen Beispielen zeigt der Vf. auch die Rolle von Frauen in Vereinigungen, u. a. in No. 138 aus Smyrna (ISmyrna 653), wo zwei »Theologinnen« erwähnt werden. Für die Rekonstruktion des Judentums in Kleinasien sind zahlreiche In­schriften dieses Bandes hoch bedeutsam: Die Ehrung der Tation durch die Synagoge in Kyme (No. 106 = IJO II 36) diskutiert der Vf. im Zusammenhang mit weiteren Inschriften, die Frauen im Zusammenhang von Synagogen in den Vordergrund rücken. Unter No. 135 werden eine Reihe von Sitzinschriften aus dem Theater von Milet besprochen, u. a. jene für Judäer und Gottesfürchtige. Im Blick auf das Selbst- bzw. Fremdverständnis der Judäer in der Diaspora ist ISmyrna 697 (No. 139) ein häufig diskutierter Beleg: Der Vf. interpretiert die Formulierung οἵ ποτε Ἰουδαῖοι in einer Spenderliste für öffentliche Bauten zu Recht als Hinweis auf die geographische Herkunft der Spender, nicht als Verweis auf Apostaten des Judentums. Die Diskussion einer Stiftung einer Grabstätte für Ju­däer in Tlos (No. 150 = IJO II 223) nützt der Vf. zu einem illustrativen Überblick über die Einbindung von Vereinigungen in Bestattungen. Die vielfach diskutierten Sabbatisten in Kleinasien werden anlässlich eines Beschlusses einer entsprechen den Vereinigung aufgearbeitet (No. 152 = LSAM 80). Auch hier kommt der Vf. zu dem nüchternen Urteil, dass sich ein jüdischer Charakter dieser Ge­meinschaften nicht nachweisen lässt. Eine kilikische Vereinigung von Walkern mit deutlich christlicher Ausrichtung findet sich in dem Band am Schluss (No. 153 = JHS [1890] 236,1), die Datierung auf die Zeit um 300 n. Chr. ist allerdings sehr unsicher.
Die vom Vf. ausgewählten Dokumente bieten nicht nur exemplarische Einblicke in das vielfältige Vereinswesen Kleinasiens, sondern aufgrund ihrer Einbettung in das breitere Umfeld eine hervorragende Aufarbeitung dieser Sozialformen in ihren verschiedenen Spielarten. Man könnte monieren, dass manche Vereinigungen gar nicht vorkommen, wie etwa die Dionysischen Techniten, doch ist die Auswahl im Großen und Ganzen sehr plausibel. Wünschenswert wäre, dass in den Übersetzungen noch deutlicher auf Ergänzungen oder unsichere Lesarten hingewiesen würde, die in der Wiedergabe der relevanten Edition allerdings durchaus markiert werden. Auch sollten umstrittene Datierungen schon in der Kopfzeile vermerkt werden, nicht erst im Kommentar. Die Sammlung ist durch ein 114 Seiten umfassendes Register ausgezeichnet erschlossen, in dem auch die Einträge des ersten Bandes aufgenommen sind. Zudem finden sich Korrigenda zu Band 1. Verwiesen sei schließlich darauf, dass Abbildungen bzw. Korrekturen unter der Website des Vf.s philipharland.com/greco-roman-associations/ eingesehen werden können.