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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

567–569

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Burrichter, Rita, Langenhorst, Georg, u. Klaus von Stosch [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Komparative Theologie: Herausforderung für die Religionspädagogik. Perspektiven zukunftsfähigen interreligiösen Lernens.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2015. 320 S. m. 1 Abb. = Beiträge zur Komparativen Theologie, 20. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-506-78259-5.

Rezensent:

Karlo Meyer

Systematische Theologie hat immer wieder auf die Religionspä-dagogik eingewirkt – die schulische wie die wissenschaftliche; und umgekehrt sind durch gesellschaftliche Konstellationen und Alltagsglaube, wie sie sich im Klassenzimmer spiegeln und wie sie die Religionspädagogik erforscht, Systematische Theologen geprägt worden. In dieser Linie ist das direkte Gespräch von Komparativer Theologie und Religionspädagogik zu begrüßen. Es beginnt in diesem Band vor allem durch Einlassungen der Religionspädagogik, in denen Impulse durch die Komparative Theologie erwogen werden, und eine unmittelbare Replik durch deren deutschen Hauptvertreter, Klaus von Stosch. Neben Grundsätzlichem geht es um Grundhaltungen wie »Konfessorische Verbundenheit, Empathie und Gastfreundschaft« (20) sowie spezifische Kriterien wie »Hinwendung zum Einzelfall«, »die Anderen in ihrer Andersheit zu verstehen« und »zur Wahrheitsfrage vorzudringen« (180), so dass am Ende eine weite Bandbreite von Aspekten auf ihre religionspädagogische Relevanz und didaktische Tauglichkeit hin befragt wird.
Woppowa (15–30) fokussiert den an programmatischen Fragen orientierten Eingangsartikel auf das Kriterium der konfessorischen Verbundenheit, das in der Komparativen Theologie als Grundhaltung verstanden werden kann. Als Kontrast weist er auf die geringe konfessorische Verwurzelung der Schülerschaft hin sowie auch nach neueren Studien auf die kaum ausgebildete Kompetenz der Religionslehrerschaft, die konfessorische Dimension in den Religionsunterricht hineinzutragen. Wenn er eine Lösung dann in der »Gestaltung konfessorischer Lernprozesse« (29) findet, wird der Leser von diesem Sprung etwas überrascht, denn die Frage nach Konkretionen und Vertiefungen, die z. B. auch die konfessorisch nicht engagierten Lehrkräfte einbeziehen oder gar aktivieren, bleibt offen. Auch Burrichter greift etwas später im Band (141–158) die Frage des Konfessorischen und Konfessionellen auf und führt dies u. a. an Denkschriften, Lehrerbefragungen, aber auch im Blick auf »Hybridisierungsformen von Religion« (154) in der Schülerschaft weiter aus. Dabei macht sie ähnlich wie Woppowa eine »Ni­vellierungstendenz« des Konfessionellen aus (153), so dass sich auch hier die Frage nach entsprechenden Lernprozessen stellt, die in diesem Fall u. a. mit einer Fächergruppe konfessionellen Religionsunterrichts beantwortet wird, in der die Lehrkräfte selbst ins theologische und pädagogische Gespräch treten müssen (158). Böhme (173–190) entfaltet dann das didaktische Konzept der Kooperierenden Fächergruppe und buchstabiert Analogien an grundlegenden konzeptionellen Punkten der Komparativen Theologie durch. Etwas irritierend ist die Setzung, dass die Wahrheitsfrage »weder methodisch noch inhaltlich Ziel des interreligiösen Lernens« sein dürfe, sie würde allzu oft »für Spannungen missbraucht« (186). Von dieser religionspädagogischen Zurückweisung distanziert sich von Stosch am Ende des Bandes m. E. zu Recht (288–290).
Einen anderen Differenzpunkt zur Religionspädagogik formuliert Sajak (31–48) bei der Vorstellung von trialogischen Initiativen: »Komparative Theologie bemüht sich um die theologische Ausweisbarkeit von Wahrheit […] Trialogische Religionspädagogik sucht dagegen Menschen in ein konstruktives Gespräch über Lebenspraxen zu bringen […] vor dem Hintergrund der je eigenen gelebten Wahrheit« (45) und schält das begriffliche Gegenüber von »Rechenschaftspflicht« (Komparative Theologie) contra »Bewährung und Leben« (Trialogische Religionspädagogik) der Wahrheit heraus. Auch dieser Gegenüberstellung widerspricht am Ende des Bandes von Stosch deutlich (290), hält sich selbst aber bei einer pointierten Differenzierung bedeckt.
Statt interreligiöser Kooperationsmodelle beschränken sich Kürzinger und Naurath (159–172) auf Impulse für den klassischen konfessionell-kooperativen Unterricht und schlagen vor, von diesem »Binnengewässer [ausgehend] auf die Weltmeere zu segeln und […] religiös zu wachsen« (172).
In den Aufsätzen von Riegger und Boschki tritt das Gespräch mit der Komparativen Theologie zurück. Rieggers Ansatz (49–70) einer ethnographisch geprägten Religionspädagogik ist zweifellos interessant; das Verweilen an einem der aufgenommenen Fallbeispiele im Blick auf schulische Lösungen hätte der Ethnographie aber vermutlich mehr Konkretion geben können. In Boschkis Artikel (71–88) zum Gespräch mit dem Judentum stehen systematisch-dialo-gische Klärungen insbesondere im Zusammenhang mit Nostra Aetate im Vordergrund und münden in den Vorschlag einer vierfachen Sensibilität.
Demgegenüber verstricken Langenhorsts Ausführungen (89–110) anhand von sechs Impulsen wieder intensiver religionsdidaktische und ganz praktische Einsichten mit Komparativer Theologie. Weiterführend ist u. a. die Feststellung, dass Begegnungen auch »kontraproduktiv sein, Gräben vertiefen, ›Spaltungen‹ vorantreiben« können (101), so dass es schulisch rahmender pä-dagogischer Überlegungen bedarf; im Laufe der Erörterungen wird deutlich, dass ein Programm für religiöse Experten nicht unmittelbar auf pädagogische Realitäten umzumünzen ist. Dies gleicht in vielem Erkenntnissen aus den 1990er Jahren zum »Expertendialog« als Vorbild für interreligiöses Lernen – auf diese wird allerdings leider kaum zurückgegriffen.
Tautz und Altmeyer (113–140) stellen dann den Aspekt der Anerkennung im Anschluss u. a. an Krassimir Stojanov heraus. Mit diesem und im Gespräch mit der Komparativen Theologie bestätige sich die Forderung, dass der »Umgang mit Lerngegenständen in interpersonalen Anerkennungsgeschehen derart eingewoben ist, dass interpersonale Anerkennung gerade durch die Auseinandersetzung mit und in der Aneignung einer Sache lebendig werden kann« (128). In dieser Linie entwickeln sie Kriterien für den Unterricht (132). Mit Leimgruber (193–210) werden schließlich auch ähnliche vorangehende Diskussionen verstärkt in die Debatte einbezogen. Diese Grundlagen wären eventuell besser am Anfang des Bandes platziert worden; zudem hätte es einzelnen Autoren gut getan, auch Literatur vor dem Jahr 2000 einzubeziehen.
Haußmann (211–226) zeichnet Entwicklungen aus interreligiösen Kooperationen an der Universität Nürnberg nach, wobei die Komparative Theologie eher am Rande bleibt. Ebenfalls weitgehend unabhängig von der Komparativen Theologie stellt van der Velden (227–242) Erfahrungen aus der Kollegstufe der Deutschen Evangelischen Oberstufe Kairo vor (u. a. unterschiedliche »Toleranzen«, innerreligiöse Varianzbreite). Rabeya Müller (243–250) plädiert für einen inneren Entwicklungsprozess, um andere »Denk- und Handlungsweisen nachempfinden zu können« (245), und auf wenigen Seiten führt Kuld (251–262) in Grundlagen von Bibel- und Korandidaktik ein.
Mit Isik (263–275) kommt es im Band selbst zu einem interreligiösen Austausch, wenn diese darauf beharrt, dass auch bei Grundschulkindern vor der Begegnung »eine sichere Grundlage« entwickelt sein sollte (264). Gegenüber Kulds Sprachgebrauch (260) weist sie darauf hin, dass der Koran im eigenen Selbstverständnis keineswegs als »prophetische Rede«, sondern als »wörtliche Gottesrede« zu bezeichnen ist (266); ihr gegenüber sei Muhammad »Ersthörer«.
Mit dem abschließenden Artikel meldet sich von Stosch selbst zu Wort (279–301). Die Wahrheitsfrage und die Verbundenheit mit Eigenem treten noch einmal in den Fokus. Dabei wird durch von Stosch der selbst auferlegte Anspruch besagter »Verbundenheit mit der eigenen Tradition« (295) für die Schulwirklichkeit massiv relativiert: Bei Kindern meine dies nicht die »reflexe Position eines bestimmten konfessionellen Glaubens […] Das Eigene ist erst einmal die […] unklare Gestalt des eigenen Selbstbildes […] und […] bei Heranwachsenden immer im Fluss« (287), worauf man sich fragt, was dann noch »Verbundenheit mit Eigenem« heißen mag. In Bezug auf die Wahrheitsfrage stellt er dann aber deren Bedeutung für offene (!) Diskussionen klar und deutlich heraus.
Es fällt auf, dass sich diverse Fragen und Erörterungen nicht sonderlich von den Debatten der 1990er Jahre um den Dialog der Religionen und dessen Konsequenzen für den Religionsunterricht unterscheiden (schon damals z. B.: Fragen um die Gründung im Eigenen, Begriff der »Anerkennung«, Risiko der Überforderung der Schüler als »Experten«, Gast-Begriff, bleibende Fremdheit), aber erst Leimgruber kommt nach zwei Dritteln des Bandes auf ein-zelne Aspekte zu sprechen. Mit ihm lässt sich umgangssprachlich sagen: »es ist nicht so, dass dieses Anliegen total neu wäre« (208).
In jedem Fall zeigt der Band, dass es der sich fortentwickelnden Religionspädagogik in Sachen Interreligiöses guttut, sich auf diese Weise (und in zehn bis 20 Jahren sicher wieder auf neue Weise) mit grundlegenden Fragen des Dialogs und seiner systematischen Reflexion auseinanderzusetzen und diesem gegenüber auch ganz eigene Gedanken ins Spiel zu bringen.
Die Auswirkungen von Nostra Aetate oder einem Theologen wie Tillich auf Didaktik und Schule zeigen sich zum Teil erst Jahrzehnte später; insofern verwundert es nicht, dass die Impulskraft der Komparativen Theologie auf die wissenschaftliche Religionspädagogik auch nach Lektüre dieses Bandes zurückhaltend zu bewerten ist. Im Idealfall wird sich in den nächsten Jahrzehnten auch durch und mit Hilfe der Komparativen Theologie ein Klima des Gesprächs entwickeln, das aus den derzeitigen dialogischen Niederungen herausführt und durch eine neue Gesprächskultur auf die Religionspä-dagogik zurückwirkt, während umgekehrt in­terreligiöse Schulerfahrungen die dialogischen Expertengespräche verändern werden.