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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

521–522

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Laudage, Christiane

Titel/Untertitel:

Das Geschäft mit der Sünde. Ablass und Ablasswesen im Mittelalter.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2016. 351 S. Geb. EUR 24,99. ISBN 978-3-451-31598-5.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Christiane Laudage stellt in ihrem Buch die Geschichte des Ablasses von seinen Anfängen im 11. Jh. bis zum Ablassstreit 1517 dar. In Teil 1 berichtet sie über die Anfänge bis zum Aufkommen der Bettelorden, in Teil 2 bespricht sie das Ablasswesen im Kontext, Teil 3 handelt von den Plenarablässen. Anmerkungen sind auf 76 Seiten an den Schluss gesetzt. Zeittafel, Papstliste, Namenregister und ein Verzeichnis kirchlicher Dokumente sind angefügt.
Im Vorwort gibt L. zwar zu erkennen, dass das Ablasswesen einen »sehr schlechten Ruf« besitzt, aber sie hegt Zweifel daran, dass es sich bei ihm um ein Geschäft mit der Sünde handelt. Vielmehr sei es doch darum gegangen, dass man Vorsorge für das Jenseits treffen wollte – Trost im Diesseits und Hoffnung für das Jenseits. Sie will Vorurteile abbauen. Das ist ihr m. E. nicht gelungen, im Gegenteil.
Ausgehend von dem Gedanken, Gott ausreichend Wiedergutmachung zu leisten, wurden aus Fürbitten Ablässe (12.15). Parallel zum Ablasswesen entwickelte sich die Vorstellung vom Fegefeuer als Läuterungsprozess. Hugo v. St.-Cher entwickelte die Lehre vom Kirchenschatz, wodurch der Ablass eine theologische Grundlage erhielt, Ablass galt als »besonderes Gnadenangebot der Kirche« (29.32.34.173). Getragen wurde das Ablasswesen zunehmend von den Bettelorden. Um 1280 herum erschien als neue Form der Sammelablass von verschiedenen Spendern, wodurch sich der jeweilige Ablass multiplizierte. Wohl durfte der Ablass nicht verkauft werden (Simonie!), aber Gebühren für die Ausstellung der Urkunden waren zu zahlen.
»Der Ablass hat überall im christlichen Europa Eingang in die allgemeine Frömmigkeitspraxis gefunden, auch weil die Kirche erkannte, dass Ablässe eine Möglichkeit boten, finanzielle Mittel zu generieren«; mit ihnen half die Kirche dem Sünder, ein »gottgefälliges Werk« zu tun als eine Art »Sondersteuer mit geistlicher Belohnung« (53 f.). Wer darüber spottete, verfiel der Kirchenstrafe. Im 15. Jh. lockten kleine Ablässe nicht mehr zu großzügigen Spenden (67). Bruderschaften und das Wallfahrtswesen führten zu weiterer Verbreitung der Ablässe. Kritik wurde immer geübt. So hieß es, wenn bekannt wäre, wie umfassend der Ablass beim Besuch der Laterankirche wäre, dann könnte ihn der schlimmste Sünder für sich in Anspruch nehmen. Oder: Die Ablasszusage für das kniende Sprechen eines Gebets vor dem Bild einer Gregormesse betrug 27.036 Tage (112). Fester Bestandteil des Volksglaubens wurde schließlich die Zuwendung von Ablässen für Verstorbene. War dies wohl auch nicht offizielle Kirchenlehre (124), so wurde doch dieser Volksglaube geduldet. Von Friedrich dem Weisen heißt es, je mehr er Reliquien sammelte, »desto mehr Heil könne er erwerben und Gott damit gnädig stimmen«; 1520 konnte man in Wittenberg »1.902.202 Jahre, 270 Tage und 1.915.983 Quadragenen (40 Tage) Ablass erwerben«. Missbrauch mit dem Ablass regte die Bischöfe auf, denn »welcher Gläubige nahm noch die in der Beichte verhängten Bußstrafen an, wenn ihm vorher zugesagt worden war, dass selbst die zu­künftigen Sünden vergeben werden könnten« (136–140).
Plenarablässe zu verkünden, war Vorrecht der Päpste. Zuerst waren sie mit der Teilnahme am Kreuzzug verbunden. Sie galt als »Akt der Buße«, war ein »Akt der Selbstheiligung« (148). Die Unterscheidung zwischen Schuld und Sühne bildete sich zwar allmählich heraus, doch wurde die Unterscheidung sehr bald unterlaufen, der Ablass wurde »zur Gnade für alle, die ein vorgegebenes Werk erfüllten« (161). Sehr bald ersetzte die Teilnahme am Kreuzzug die Zahlung einer Kreuzzugssteuer.
Der gefälschte Jubelablass Cum natura humana wurde zum »Wunschzettel der Volksfrömmigkeit« und erreichte weite Verbreitung (180 f.). Der Jubelablass von Bonifatius IX. für 1390 war »der spirituelle Gewinn für die Menschen, der finanzielle Gewinn für den Papst« (184). Dieser Papst vergab Beichtbriefe, die als »Versicherung für das Jenseits aufgefasst« wurden und Ablässe berühmter Wallfahrtskirchen an andere Kirchen, sog. Ad-instar-Ablässe; in verschiedenen Nationalkonkordaten (auch für das Reich) wird jedoch ihre Ungültigkeit betont und der Papst aufgefordert, künftig zurückhaltend bei der Vergabe von Ablässen zu sein (186 ff.). Insgesamt gesehen erschien der Ablass als »›Vollkasko-Versicherung‹ für das Jenseits« (200).
Der Ablasskommissar Raimund Peraudi entwickelte dafür das Konzept von den »vier Gnaden«: Jubiläumsablass, Beichtbriefe, Ablass für Verstorbene und Teilhabe an allen Gnaden der Kirche. Als der Jubiläumsablass für 1500 verkündet wurde, wurde jede Kritik daran als Verachtung des Papstes und seines Kommissars angesehen: »Keiner menschlichen Gewalt sei es gestattet, das Heil den Seelen vorzuenthalten« (221). Beim Ablass für den Bau von St. Peter war bestimmt, wer einen Beichtbrief kaufte, dem konnte »der Beichtvater in der Todesstunde einen vollkommenen Ablass spenden« (233).
Die Vorgänge im Ablassstreit 1517 werden ausführlich dargestellt, doch fallen hier einige Ungenauigkeiten auf. So heißt es (236), Friedrich der Weise und Georg der Bärtige seien Brüder gewesen (sie waren Vettern) und hätten die Verkündung des Petersablasses in ihren Landen verboten. Für Friedrich trifft das zu, doch ist 1517 in Georgs Herrschaftsgebiet (so der Überlieferung nach in Freiberg) von Tetzel noch der Ablass – wenn auch erfolglos – verkündigt worden. Zur Verhandlung Luthers vor Cajetan 1518 heißt es, Cajetan habe »im Disput mit Luther die schwachen theologischen Grundlagen der kirchlichen Ablasslehre erkennen müssen« (260). L. resümiert schließlich: Luther brachte mit seinen Programmschriften 1520 »die mittelalterliche Papstkirche und die Kirche in ihrer Funktion als Heilsvermittlerin komplett zum Einsturz« (264). Doch offensichtlich kann L. dem Ablass Wohlwollen entgegenbringen, ist er doch auch heute noch in der römisch-katholischen Kirche – trotz der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999! – gang und gäbe: »Den Gläubigen wurde so die Möglichkeit eröffnet, im Diesseits ein gottesfürchtiges Leben zu führen und sich gleichzeitig gegen alle Unwägbarkeiten des Jenseits abzusichern«. Ob man – mit Berndt Hamm – Kohärenzen zwischen der spätmittelalterlichen Ablasspraxis und der reformatorischen Gnadenbotschaft feststellen kann (267 f.), bezweifelt der Rezensent, denn diese spricht von der »reine(n) Gabe Gottes ohne Gegengabe«. Da steht nach wie vor Werkgerechtigkeit gegenüber Glaubensgerechtigkeit.
L. ist eine weitgehend überzeugende Darstellung der Geschichte des Ablasses gelungen.