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Ausgabe:

Mai/2017

Spalte:

510–512

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pokorný, Petr

Titel/Untertitel:

Jesus in Geschichte und Bekenntnis.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XIII, 304 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 355. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-154287-9.

Rezensent:

Walter Klaiber

Petr Pokorný, der international anerkannte Prager Neutestamentler, legt in diesem Band 19 Studien vor, die er zwischen 1997 und 2014 in deutscher oder englischer Sprache veröffentlicht hat. Zwei waren bisher nicht veröffentlicht. Charakteristisch für sie ist die Verbindung der Frage nach dem historischen Jesus mit der Analyse der Entwicklung des Bekenntnisses in der Zeit nach Ostern. Das zeigt die Gliederung des Bandes in einen ersten Teil Jesus in der Geschichte und einen zweiten Jesus im Bekenntnis. Aber beide Fragestellungen sind nicht fein säuberlich auf die Studien im ersten oder zweiten Teil verteilt; es ist vielmehr gerade das Kennzeichen des Ansatzes von P., dass auch bei der Frage nach dem historischen Jesus schon die frühe Entwicklung des Bekenntnisses im Blick ist.
Den Studien ist eine Einführung vorangestellt: Etappen der Jesusforschung und die Anfänge der Christologie (1–29), die einen sehr guten Überblick über den Stand der Forschung zu beiden Themen bietet. Der erste Teil beginnt mit dem Aufsatz: »Jesus as Feedback on his Wirkungsgeschichte« (33–57), ein Thema, das die Methodik P.s sehr gut charakterisiert. P. umreißt hier den Kern der historisch zu ermittelnden Botschaft Jesu. Einen einzelnen Aspekt greift der Aufsatz »Demoniac and Drunkard: John the Baptist and Jesus accord­ing to QLuke 7:33–34« (59–69) auf. P. analysiert dieses Logion sorgfältig und sieht den Grund der Trennung Jesu vom Täufer in ihrer unterschiedlichen Soteriologie. In »Lexikalische und rhetorische Eigentümlichkeiten der ältesten Jesustradition« (71–85) zeigt P. auf, welche formelhaften Wendungen und theologischen Themen wohl auf Jesus selbst zurückzuführen sind. Die Studie »Die Bergpredigt/Feldrede als supra-ethisches System« (87–97) verbindet exegetische Beobachtungen mit systematischen Überlegungen. Die Frage »Did Jesus proclaim the Gospel?« (99–104) wird mit einem klaren Ja beantwortet. In »Gericht und Verheißung in den ältesten Traditionen über Jesus von Nazareth« (105–113) analysiert P. sehr sorgfältig die Gerichtsworte Jesu und arbeitet ihre Funktion als Warntafeln heraus. Mit »Words of Jesus in Paul: On the Theology and Praxis of the Jesus Tradition« (115–141) greift P. ein viel verhandeltes Thema auf. Eine differenzierte Darstellung des Befunds führt zur These, dass die Worte Jesu von urchristlichen Propheten überliefert wurden, die aber mit ihnen auch Worte des erhöhten Herrn weitergaben. Außerkanonische Jesusüberlieferung behandelt »Jesus as the Ever-Living Lawgiver in the Letter of Mara bar Sarapion« (143–152). »Jesus in Lebensgefahr – Lk 17,33 parr im Kontext« (153–163) untersucht dagegen ein zentrales Jesuslogion in der gewohnt sorgfältigen Weise. Dass P. daraus unterschiedliche Ak­zentsetzungen im frühchristlichen Osterkerygma folgert, scheint mir aber problematisch. Aus Mk 14,62 schließt P. in »Spuren einer alten Christologie in der Passionsgeschichte« (165–174), dass Jesus den kommenden Menschensohn erwartet hat. Und in »Jesus’ Death on the Cross: Literary Theological and Historical Context« (175–187) versucht P., die älteste Schicht der Passionserzählung zu identifizieren und die historischen Gründe für Jesu Tod am Kreuz aufzuzeigen. Insgesamt folgt P. einer gemäßigt kritischen Linie: Das »Unähnlichkeitskriterium« ist für ihn wichtig, um das Einzigartige an Jesu Wirken herauszuarbeiten; aber zugleich betont er, dass Jesu Botschaft im zeitgenössischen Judentum verwurzelt war und das Bekenntnis der ersten Christen nicht ohne Kontinuität zu ihr denkbar ist.
Die Studien des zweiten Teils greifen ein breiteres Themenspektrum auf: »Burial Practices and Faith in Resurrection« (191–201) und »Postmoderne Ostern im Neuen Testament. Zur Deutung der äl-tes­ten christologischen und soteriologischen Traditionen« (203–213) zeigen auf, dass es im Urchristentum unterschiedliche Vorstellungen darüber gab, was Auferstehung bedeutet. In »Reflexionen über die Rolle der Evangelien in den Anfängen der Kirche« (215–227) zeigt P. sehr schön die unterschiedliche Prägung und Funktion der Synoptiker und die Bedeutung der Verschriftlichung der Jesustradition. Die beiden Aufsätze »Die matthäische Theologie – eine be­wusste Rückkehr zur Lehre Jesu?« (229–239) und »Photius von Konstantinopel und seine Deutung des Matthäusevangeliums (249–255) beschäftigen sich mit der Theologie des Matthäus, während »Die Christologie des Thomasevangeliums« (241–247) noch einmal das außerkanonische Christusbekenntnis behandelt. Die beiden letzten Studien »Der Offenbarungsbegriff und die Philosophie« (257–267; über die Bedeutung von Ostergeschehen und Osterzeugnis) und »Jesus als Gleichnis Gottes. Möglichkeiten und Grenzen einer These« (269–278) lassen erkennen, wie sehr sich P. auch mit hermeneutischen und systematischen Überlegungen beschäftigt.
Die hier gesammelten Studien zeigen nicht nur den weiten Ho­rizont der Arbeit P.s in den letzten Jahren. Vor allem die Studien zur Jesustradition und zur Entstehung des Osterglaubens dürften auch ein wichtiger Beitrag zur Forschung im Schnittpunkt histo-rischer und hermeneutischer Fragestellungen sein.