Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2017

Spalte:

428-429

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Senn, Felix

Titel/Untertitel:

Verantwortet glauben. Fundamentaltheologie.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2016. 329 S. = Studiengang Theologie, V. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-290-20108-1.

Rezensent:

Wolfgang Pauly

»Glauben sollen wir nicht blind, sondern mit guten Gründen.« (9) Unter dieses Motto stellt Felix Senn seine Einführung in die Fundamentaltheologie. Sie ist Teil des umfangreichen Schweizer Projekts »Studiengang Theologie«, das umfassende und zugleich gut verständliche Informationen über den Fächerkanon der Theologie bietet. Von S. selbst ist in der Reihe der Band »Der Geist, die Hoffnung und die Kirche« erschienen (2009). An beiden Büchern ist erkennbar, dass diese aus der Dozententätigkeit S.s beim »Theologisch-pastoralen Bildungsinstitut der deutschschweizerischen Bistümer« entstanden sind. Sie sind übersichtlich und in nachvollziehbarer Sprache beschrieben. Zahlreiche erläuternde Exkurse regen den Leser zum Weiterdenken an.
Nach S. fragt Fundamentaltheologie »jeweils in neuen, veränderten Lebens- und Glaubensbedingungen nach dem bleibenden Fundament von Religion und Religiosität« (15). Der »spezifisch theologische Gegenstandsbereich« wird hier verstanden als das »Beziehungsgeschehen zwischen Gott und den Menschen« (38). Glauben bedeutet dabei, »auf die Initiative und das Beziehungsangebot Gottes positiv zu antworten« (41). »Erst wenn ich mich in Liebe auf die Beziehung mit Gott einlasse, lerne ich diesen Gott wirklich kennen.« (46) Offenbarung ist damit als Beziehungsgeschehen gedeutet. Statt von einem fest umschriebenen Depot schein­b arer Glaubenswahrheiten geht S. von »existentiellen mensch-lichen Grunderfahrungen« aus: »die Erfahrung z. B. unbedingt bejaht und getragen zu sein – oder eben nicht, die Erfahrung von Sinn – oder Sinnlosigkeit, die Erfahrung von Liebe und Zuwendung – oder von Ablehnung und Vereinsamung, die Erfahrung schier untragbaren Leidens, die Erfahrung der Endlichkeit und der Notwendigkeit, zeitlebens und mit zunehmendem Alter noch intensiver im Angesicht des Todes zu leben« (51). Bereits hier wird deutlich, dass S. Orthodoxie stets auf eine Orthopraxie zurückführen möchte, die »gekennzeichnet ist durch eine Option für die Armen und Marginalisierten« (69).
Offen ist S. für die Religionskritik von Feuerbach, Marx, Freud und Nietzsche. Er teilt mit diesen die Überzeugung, dass jeder Versuch, »die Existenz Gottes mit Hilfe von rationalen Argumenten stichhaltig zu beweisen, gescheitert ist«: »Die so genannten Gottesbeweise enthalten zu viele subjektive, menschliche Voraussetzungen und Anteile, um dem Projektionsvorwurf entgehen zu können« (109). Trotzdem vermag S. den genannten Projektionen etwas Positives abzugewinnen: »Dieser Befund bedeutet nun jedoch nicht, dass hinter der Projektion nicht doch eine wirklich transzendente Macht stehen könnte, dass also den projizierten Hoffnungen und Wünschen nach einer letzten Versöhnung in einem Gott nicht doch eine Realität entsprechen könnte«. Dies führt dann zu einer argumentativen Patt-Situation: »Die Existenz einer transzendenten göttlichen Macht, eines Gottes, kann streng rational weder bewiesen noch widerlegt werden« (110).
Spätestens seit Pascal wurde dieses Dilemma formuliert und daraus geschlossen: Wenn schon keine argumentative Sicherheit besteht, soll trotzdem gleichsam mit einem Sprung in den Glauben alles auf die Karte »es kann nichts schaden« gesetzt werden. S. be­schreibt hier Denkstrukturen vieler zeitgenössischer Theologinnen und Theologen. Kann aber so Leben gerade in Grund- und Grenzsituationen gelingen? Kann man leben unter der Prämisse »als ob«? S. betont zwar einerseits, dass es sowohl in Glaubenspraxis wie theologischer Reflexion für »archaisch-mythische Vorstellungen keinen Platz mehr« geben dürfte (143). Wenn aber andererseits immer wieder als Basis des Glaubens genannt wird: »Gott tritt mit den Menschen in eine personale Beziehung« (149), oder wenn S. von einer vertraulichen, »fast intimen Zuwendung Gottes zu den Menschen« spricht (143), dann ist das Mythos pur.
Der Projektionsverdacht gegenüber solchen Ansätzen wird verstärkt, wenn man die Ausführungen S.s über die Liebe reflektiert. Er weist darauf hin, dass diese größtmögliche Erfahrung menschlicher Erfüllung zugleich unter dem Zeichen der Geschichte, somit eben auch unter dem Aspekt der Vergänglichkeit steht. Daraus folgert S.: »Dadurch gerät echte Liebe zwischen Menschen in einen Widerspruch zu sich selbst: sie beansprucht, was sie nicht einlösen kann, und sie tut, was sich nicht rechtfertigt – es sei denn, Gott selbst würde beide Menschen in ihrer Liebe tragen und wäre deren verlässlicher Garant« (186). Abgesehen davon, dass es gerade das Merkmal existentieller Grunderfahrungen ist, dass es für deren Gelingen weder Garantie noch Garanten gibt. Hier wird aus dem menschlichen Vollzug der Liebe herausgesprungen in eine postulierte »Macht«, eine bei S. häufig verwendete Umschreibung Gottes. Dietrich Bonhoeffer hatte in seinen letzten Briefen immer wieder vor einer solchen externen Absicherung menschlicher Grunderfahrungen gewarnt.
Charakteristisch ist dabei der Bezug S.s auf die Kommunikationstheorie von Jürgen Habermas. Was dieser »in Bezug auf die zwischenmenschliche Ebene und auf die Humanwissenschaften, also näherhin im Hinblick auf Verständigung und kommunikatives Handeln, analysiert, gilt auch für Religion und Glaube« (48). Nun hat aber gerade Jürgen Habermas das von Max Weber geförderte Projekt einer »Entzauberung der Welt« und den Ansatz einer »Versprachlichung des Sakralen« bei Emile Durkheim dadurch weiterentwickelt, dass er für Gelingen oder Misslingen menschlicher Kommunikation nicht mehr auf Garanten außerhalb derselben verweisen konnte. Kriterien und Beurteilungsmaßstäbe sind vielmehr die Regeln gelingender Alltagssprache wie Aufrichtigkeit und Herrschaftsfreiheit. Bei Habermas geht es also gerade nicht »um die Vernünftigkeit eines doppelten Beziehungsgeschehens: zwischen Gott und den Menschen ebenso wie zwischen den Glaubenden untereinander« (48). Bei allem Respekt, den Habermas Religionen erweist, plädiert er für eine »Übersetzung« der bisher religiös-metaphysisch abgesicherten Aussagen in die Erfahrungswelt des Menschen. Bezogen auf die Aussagen von S. zur Liebe: Gerade mitten in der Ambivalenz und Bedingtheit des Daseins erfährt der Mensch bedingungslose Liebe. Jede Ausschau nach einem »Dritten«, der diese Erfahrung übersteigt und garantiert, erniedrigt den konkreten Liebespartner zu einem bedingten Liebesobjekt.
Einen Ausweg aus dem hier paradigmatisch aufgezeigten grundsätzlichen Dilemma zeitgenössischer Theologie könnte die von S. selbst hinzugezogene Symboltheorie von Ernst Cassirer sein. Symbole verweisen demnach darauf, dass »sämtliche Dinge und Erfahrungen in der vorfindlichen Welt einen Mehrwert, eine Tiefendimension (haben), indem sie nicht nur eine Funktion in der erfahrenen Welt haben, sondern zugleich auf eine Hoffnung verweisen, auf eine Hoffnung, die noch nicht ist« (130). Religiöse Menschen machen sich demnach »stark für eine solche symbolische Deutung der Wirklichkeit« (130), »symbolische Wirklichkeitsdeutung nimmt inmitten der Widersprüchlichkeiten und heillosen Welt einen positiven Mehrwert wahr, der sonst verborgen bliebe« (131). Diese Tiefendimension des Lebens zu entdecken und diese denen zu erschließen, die aus vielerlei Gründen in der Eindimensionalität leben, wäre eine Möglichkeit, verantwortet zu glauben. Darüber kritisch zu reflektieren ohne Sprung in postulierte Hinterwelten wäre Aufgabe einer verantworteten Fundamentaltheologie.