Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2017

Spalte:

406-408

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Eagleton, Terry

Titel/Untertitel:

Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch. Aus d. Engl. v. H. Kober.

Verlag:

Berlin: Ullstein Verlag 2016. 255. S. Geb. EUR 20,00. ISBN 978-3-550-08127-9.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Hoffnung – ein marginalisierter Klassiker oder eine klassische Marginalie? Es ist bezeichnend, dass die lebensweltliche Signifikanz der Hoffnung außer Frage steht, obgleich sie ideenpolitisch kaum jemals zum prominenten Arsenal unseres intellektuellen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses gehörte. Sicher, es gab im­mer wieder Konjunkturen der Hoffnung, doch die Einwände von fehlendem Realitätssinn, der Anfälligkeit für meist linke Proto-Ideologien, des fehlenden Interesses an der Gegenwart gepaart mit der Abwertung des Vergangenen oder generell der Kriterienlosigkeit angeblich fundierter Hoffnung wogen schwer. Zu schwer, so dass die Hoffnung nach kurzzeitigem Höhenflug in den 1960er Jahren in eine Rezession geriet, von der sie sich bis heute kaum erholen konnte.
Doch auf eines macht der damalige Kurzauftritt der Hoffnung auf großer Bühne – man denke an Bloch, Moltmann, Gabriel Marcel, später auch Derrida – aufmerksam, auf den Umstand nämlich, dass in ihr ein Seismograph politischer Dynamiken steckt, der das Engagement fürs Kontrafaktische zu erfassen vermag. Denn die Wahrheit der Hoffnung lebt nicht von der Übereinstimmung mit dem, »was der Fall« ist, sondern verweist auf das, was der Fall sein könnte. Es geht nicht nur um den Sinn für das Gute, sondern um das Eintreten für das immer noch Bessere.
Das neue Werk des englischen Literaturtheoretikers und »public intellectual« Terry Eagleton nimmt sich dieses Themas engagiert an. Hope without Optimism wird im Deutschen als Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch wiedergegeben. In seinen Ausführungen, die auf die 2014 gehaltenen Page-Barbour-Vorlesungen zurückgehen, wechseln sich begriffliche Klärungen zur Hoffnung mit literarischen Exemplaren für das Hoffen als existentieller Praxis ab. Die vier Kapitel sind dadurch bestens lesbar, ja unterhaltsam, was allerdings zuweilen auf Kosten der argumentativen Klarheit geht; denn zuletzt ist nicht mehr deutlich, was es heißt, sich philosophisch der Hoffnung auszusetzen und in Hoffnung zu leben.
Im ersten Teil grenzt E. Hoffnung – wie der Titel des Buches ankündigt – strikt vom Optimismus ab. Diese Differenzierung ist nicht nur begrifflich notwendig, sondern drängt sich auch hinsichtlich der Reaktionen auf eine Lage (wie heute) auf, die alle Weisen herausfordert, sich positiv auf Künftiges zu beziehen: Hoffnung, Zuversicht, Erwartung, (Zweck-)Optimismus – etc. Sogleich stellt sich die Frage, ob man auf Hoffnung verzichten könne, ob zu hoffen also überhaupt optional sei. Es ist kaum zu entscheiden, ob die Notwendigkeit der Hoffnung etwas zutiefst Wahres artikuliert oder ob sie unter das fällt, was E. »unverbesserliche Zuversicht« nennt (15). Nicht nur von einer albernen Fröhlichkeit möchte er die Hoffnung freihalten (216), sondern auch von einem schalen Glauben an den guten Verlauf der Dinge. Diese Sicht umfasst für E. drei konstruktive Aspekte. Zum einen sei Hoffnung insofern rational, als sie durch Gründe untermauert sei (16). Eine blinde Hoffnung bleibe ein Widerspruch in sich und münde im besten Fall in kuriose Ignoranz des Realen (wie wunderbar im dänischen Film Adams Äpfel gezeigt), im schlechteren Fall hingegen in die brisante Immunisierung gegenüber dem, was zu tun wäre (114 f.). Die prinzipiell fehlbare und niemals sichere Hoffnung sei zum anderen mit Anstrengung verbunden. Im Kontrast zum passiven Optimismus verlange sie von uns das Bemühen ab, sich für das Erhoffte tatkräftig einzusetzen (13 f.). Und zuletzt bewahre sich der Hoffende eine Sensibilität für die Verzweifelten, für die der reine Optimist kein Sensorium habe. Gerade dies bezeuge eine Ernsthaftigkeit, die die Brisanz der Hoffnung gegenüber jedem Triumphalismus festhalte.
Das Anliegen, das hinter jener strikten Abgrenzung liegt, ist ganz berechtigt. Und doch erhält dieser clear cut weitere Risse, sobald unterschiedliche Formen des Optimismus – als Axiom, Haltung, Erfahrung – und ebenso diverse Arten des Hoffens – auf etwas oder jemanden, für etwas oder dass etwas geschehe – unterschieden werden. Dann würden auch Möglichkeiten sichtbar, überlappende Elemente zwischen bestimmten Optimismen und familienähnlichen Hoffnungen philosophisch und politisch einzubringen.
Gegenüber Philosophen der Hoffnung wie Kant oder Ernst Bloch (der im dritten Kapitel gar nicht gut wegkommt) schärft E. im zentralen zweiten Kapitel ein, dass Hoffnung nicht selbst zur Struktur der Wirklichkeit gehöre. Jene Gegenstimmen erweckten den Eindruck, ihre fortschrittsgläubigen Geschichtsphilosophien ontologisierten die Hoffnung als Teil unserer anthropologischen Ausstattung bzw. natürlichen Evolution (24.164). Genauso weist E. die Ansicht ab, Hoffnung sei ein Wert an sich und demnach intrinsisch gut. Die These von der Fehlbarkeit der Hoffnung verpflichte auf das Eingeständnis, in bestimmten Szenarien die Hoffnung fahren zu lassen.
E. ist sich bewusst, dass »Hoffnung« in ein Begriffsnetz gehört, das nur schwer voneinander abgrenzbare Terme enthält, die unsere Relation zur Zukunft einfangen. Dabei konzentriert er sich darauf, Hoffen und Wünschen ins Verhältnis zu setzen. Das legt sich auch deshalb nahe, weil er mit der traditionell-scholastischen Definition sympathisiert, welche Hoffnung »als aktives Bekenntnis zur Wünschbarkeit und Realisierbarkeit eines bestimmten Ziels« charakterisiert (78). Dabei könnten Hoffen und Wünschen in Konflikt geraten, wenn man sich etwa wünscht zu rauchen, aber hofft, der Neigung zu widerstehen (88 – analog zu Ch. Taylors Wünschen erster und zweiter Ordnung). Zudem könne man immer etwas wünschen, aber auf es zu hoffen sei exklusiver (89). Aus der zitierten Definition ergibt sich eine weitere Differenz; denn Hoffen meine nicht nur die Antizipation des Erhofften, sondern auch das Engagement für jenes Antizipierte. Hoffen kostet was, wünschen hingegen gebe es gratis (95.147).
Also, was ist Hoffnung? Diese sokratische Frage lässt verschiedene Reaktionen zu, wobei E. drei zumindest berührt, ohne sich zwischen ihnen wirklich zu entscheiden: Hoffen kann als Emotion verstanden werden, die reaktiv bleibt. Hoffen kann als Disposition verstanden werden, wobei sie in diesem Fall zumeist den habitualisierbaren Tugenden zugeordnet wird (104). Hoffen kann aber auch als Tätigkeit verstanden werden, sodass wiederum das aktive Element des Hoffens in den Vordergrund rückt (148).
E. ist kein Philosoph, sondern Literaturwissenschaftler, und das ist dem Text anzumerken. Zwar wartet er mit terminologischen Differenzierungen auf, doch eher in Rezeption anderer Arbeiten (besonders Thomas’) und weit weniger mit eigenständigen Klärungen. Stattdessen bietet er immer wieder (besonders im vierten und letzten Kapitel) belletristische Szenen, wie der Hoffnung und ihren Enttäuschungen, aber auch der oft unabwendbaren Verzweiflung eine literarische Form gegeben wurden.
Das letzte Kapitel trägt den Titel »Hoffnung wider alle Hoffnung«. Eine Weise, meine leichte Reserve an E. vorzutragen, liegt in der Vermutung, er behandle in jenem paulinischen Slogan – Hoffnung wider Hoffnung – die beiden »Hoffnungen« als semantisch stabil. Ebendies ist nicht der Fall. Die produktive Pointe dieser zweideutigen Hoffnung liegt gerade darin, dass wir es hier mit zwei Begriffen des Hoffens zu tun haben: einerseits mit einer Hoffnung, die sich auf konkrete Ereignisse richtet ( hoffen, dass x), und andererseits mit einer Meta-Hoffnung, die eine Weise des Existierens bezeichnet (in Hoffnung oder hoffend leben). Nicht Gegenstände – das Erhoffte – stehen dann im Zentrum, sondern der Bezug zu ihnen in der Hoffnung als Akt des Hoffens; nicht einzelne Hoffnungen auf etwas Konkretes, sondern ein Modus, der eine hoffnungsvolle Einstellung zu buchstäblich allem umfasst.
E. geht durchaus begrifflichen »Zwischengliedern« nach, etwa in seinen Überlegungen zur Hoffnungslosigkeit, die nicht sogleich in Verzweiflung münden müsse (132.150). Und doch konfrontiert er uns zuletzt mit der unglücklichen Alternative, zwischen oberflächlichem Optimismus und rational abgewogener Hoffnung zu wählen. Könnte es demgegenüber nicht Mittelbestimmungen ge­ben, die die Hoffnung erst zu dem macht, was sie sein kann: eine Tugend verantwortlichen Engagements mit Blick auf das, was ist und sein wird (vielleicht auch: was gewesen ist)? Dass wir auf etwas hoffen, könnte schon voraussetzen, dass wir hoffnungsvoll leben. Die (Meta-)Hoffnung existentieller Orientierung bildete dann die lebensweltliche Bedingung dafür, uns überhaupt auf etwas Konkretes hoffend beziehen zu können – und nicht umgekehrt. »Hoffnung wider alle Hoffnung« meint dann, dass Hoffnung als grundlegende Lebensorientierung sich gerade nicht aus einzelnen (Ge­gen-)Beispielen ergibt, sondern dass oft gerade in Opposition zu ihnen dennoch gehofft wird, weil es die einzige Quelle der Motivation ist, kontrafaktisch und doch effektiv zu leben und zu handeln. Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch ist also ein wunderbarer Titel, nur womöglich aus anderen Gründen als denen, die E. vorschwebten.