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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

400-402

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Slot, Edward van’t

Titel/Untertitel:

Negativism of Revelation? Bonhoeffer and Barth on Faith and Actualism.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. XIII, 285 S. = Dogmatik in der Moderne, 12. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-153183-5.

Rezensent:

Ralf K. Wüstenberg

Der Titel der an der Universität Utrecht entstandenen Dissertation trägt (laut Vorwort) in der englischen Fassung ein Fragezeichen. Unter »Negativism of revelation« ist nach Edward van’t Slot die Kehrseite von Bonhoeffers bekannter Kritik an Karl Barth zu verstehen, nämlich der Einwand des »Offenbarungspositivismus«. Unter Berücksichtigung der inzwischen weitläufigen Forschungsgeschichte gibt der Vf. frische Antworten auf diesen Themenkomplex, der überdies eingebettet wird in die Frage, was Glaube eigentlich in der Dialektischen Theologie in der Spannung und der Spanne zwischen Aktualismus und Ontologie bedeuten kann.
Insgesamt reiht sich die fulminante, gut lesbare Studie ein in andere herausragende Untersuchungen zu diesem Spannungsfeld (wie die von Tom Greggs, Theology and Religion, London 2011 oder Michael de Jonge, Bonhoeffer’s Theological Formation, Oxford 2012). Das Buch, das in der prominenten Monographien-Reihe »Dogmatik in der Moderne« erschienen ist, brilliert nicht nur we­gen der ausgezeichneten Bonhoeffer-Interpretation; es ist vielmehr zugleich ein Beitrag zur Barth-Forschung. Der Vf. beschreibt mit theologischem Tiefgang und sprachlicher Leichtigkeit den Weg der Auseinandersetzung Bonhoeffers mit Karl Barth: von der Bewunderung des 20 Jahre Jüngeren, ausgehend auch von den persön-lichen Kontakten (»Admiration and Wonder«, 35 ff.), über seine kritische Auseinandersetzung in der Habilitationsschrift (»Bonhoeffer’s Criticism of Barth in Act and Being«, 64 ff.) bis zu den Tegeler Briefen mit dem bekannten Einwand (»Positivism of Revelation«, 193 ff.). Dazwischengeschaltet ist ein sehr gehaltvolles und informatives Kapitel zu Karl Barths eigener Entwicklung in den 1930er Jahren (»Barth’s Critical Provisio«, 111), die unter dem Stichwort »Negativism of revelation« (bes. 154 f.190 f.) einen Kontrapunkt zu Bonhoeffer setzt.
Hierbei geht der Vf. äußerst behutsam und differenziert mit den Barth-Quellen um, was besonders in der Interpretation von Barths »Fides quaerens intellectum« (158 f.) sowie der »Church Dogmatics« (171 f.), also der »Kirchlichen Dogmatik«, zum Tragen kommt. Insgesamt schlussfolgert der Vf. zwei Veränderungen (»turns«) bei Barth. Die erste Veränderung sei eine methodische, die zweite eine christologische. »The first change, in 1931, was of a methodogical nature.« (231) Barth sei mit der »Christlichen Dogmatik im Entwurf« in eine methodische Sackgasse geraten:
»It had been his intention to think strictly on the basis of revelation, a pos­teriori, but in this book some remnants of a-priori-thinking took their toll. For this reason Barth became an ardent student of Anselm of Canterbury, in order to gain from himself the characteristic absence of tension in the Anselmian way of theologizing.« (231)
Die zweite Veränderung, ab dem Jahr 1936, sei die vom offenbarungstheologischen Prädestinationsgedanken zur Fokussierung auf die Christologie (»christological concentration«). Diese Veränderung sei nicht zu unterschätzen, ja Barth habe selber später zu­gegeben, dass seine frühe Theology (»his early theology«) zu ab­strakt oder zu philosophisch gewesen sei (»too ›abstract‹ or too ›philosophical‹«, 233). Nicht zuletzt seien in diesem christologischen Interpretationshorizont mehr Konvergenzen mit Bonhoeffer zu erkennen.
Eingerahmt werden die analytischen Hauptkapitel durch eine Einführung in die systematische Fragestellung (»Faith and Know- ledge«, 1–34) und die Bündelung des systematischen Ertrags am Ende (»Sola fide – Systematic Evaluation«, 236–260).
Neben einer Fülle interessanter Einzelbeobachtungen liegt eine große Stärke der Untersuchung sicher in der vertieften Analyse des disparaten Verständnisses der Interdependenz von Glaube und Theologie bei Bonhoeffer und Barth, das der Vf. durchgehend an der dogmatischen Leitunterscheidung »fides qua« und »fides quae creditur« diskutiert. So liege auch Bonhoeffers Einwand des Offenbarungspositivismus letztlich darin begründet, dass die Reflexion über Glaubensinhalte in Barths Theologie überbetont werde:
»Doctrinal theology, in casu Barth’s dogmatics, displays a ›positivism of rev-elation‹ if it overemphasizes theological reflection on revelation, and neglects the simple, faithful ministry to a world that is not interested in theology.« (225, kursiv im Original)
Der Vf. fährt im Querbezug zu Bonhoeffer fort:
»For it is precisely in this ministry to the world that revelation happens, much more than in reflection. ›Positivism of revelation‹ approaches the orientation towards revelation too much as a matter of cognition, and overlooks the difference between faith (or obedience of faith) and theology. Bonhoeffer might have called it a ›positivist approach to faith‹ as well.« (225, kursiv im Original)
Solcher Positivismus laufe Gefahr, einzig auf die »letzten« Wahrheiten zu fokussieren, so dass Christus-Nachfolge im Glauben oder überhaupt die »vorletzten Dinge«, zu denen Bonhoeffer auch die »Wegbereitung« zählte, vernachlässigt scheinen. Der Vf. analysiert den Gehalt und die Stoßrichtung des Offenbarungspositivismus zutreffend und zusammenfassend in vier Punkten:
»This cristicism implies (1) that revelation becomes too much of a specialist, theological, or even rarefied affair; (2) that this distinction between doctrinally essential and marginal matters become blurred; and (3) that the theologians’ works tends to be seen as the central work of faith – unjustly so. This fixation on knowledge also means (4) that Barth cannot but regard the relationship between God and the believer as something predominantly individual: the solitary believer stands before God as a knowing subject, and it is on subjects that the church is founded.« (225)
Neben den großen Stärken ist einzig zu kritisieren, dass der reiche Ertrag in der systematischen Analyse der verschiedenen Offenbarungsverständnisse nicht kraftvoll in den Religionsbegriff Barths einerseits und das lose Religionsverständnis Bonhoeffers andererseits eingezeichnet wird; schließlich taucht der wirkungsmächtige Einwand des Offenbarungspositivismus in den Gefängnisbriefen ausschließlich im Kontext der Religionskritik auf, die Bonhoeffer durchweg würdigend aufnimmt.
Insgesamt handelt es sich um ein äußerst gehaltvolles Buch, dem man wünschen darf, dass es sowohl in der internationalen, gerade auch englischsprachigen Bonhoeffer-Forschung als auch in der Barth-Forschung rezipiert werden wird.