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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

377-379

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Staats, Reinhart, u. Günter Weitling

Titel/Untertitel:

Ansgar in Haithabu. Anfänge des Christentums in Nordeuropa.

Verlag:

Kiel: Verlag Ludwig 2016. 330 S. m. 14 Abb. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-86935-286-2.

Rezensent:

Gert Haendler

Der südlich von Schleswig gelegene Wikingerort Haithabu (Haddeby) bietet ein Grabungsfeld mit Ringwall, rekonstruierten Häusern und Museum ohne Bezug zum Christentum. Rimbert berichtet in seiner Vita Anscarii 24, Ansgar habe hier eine Kirche gegründet, da hier bereits Christen wohnten. 1978 fand man in der Nähe eine über 1000 Jahre alte Bronzeglocke, die jetzt im Vorhof des Museums liegt, »in ganz Nordeuropa die älteste erhaltene Läuteglocke« (5). Seit 2011 erinnert hier eine Gedenkstätte an Ansgar, deren Entstehung beschrieben wird. Die Wirkung wird sich trotz der Beschreibung und Abbildung (17) wohl erst bei einem Besuch voll erschließen. Im Zentrum des Buches von Reinhart Staats und Günter Weitling steht der Bericht Vita Anscarii 24 in lateinischer, dänischer und deutscher Sprache: »Männer und Frauen ließen ab von ihrem abergläubischen Götzendienst, sie bekehrten sich zum Glauben an den Herrn und wurden getauft. Und es entstand große Freude an diesem Ort« (Abb. S. 63).
Kapitel 2 »Die ökumenische Bedeutung Ansgars« zeigt sich in katholischen und evangelischen Ansgarkirchen sowie ökumenischen Gedenkfeiern. Kapitel 3 »Die politische Bedeutung Ansgars« berichtet kritisch über die Begriffe Schwertmission und Germanisierung des Christentums; die Kieler Professoren Otto Scheel, Kurt Dietrich Schmidt, Martin Lintzel und Herbert Jankuhn urteilten recht unterschiedlich. Streit um die deutsche und dänische Sprache bekam erst im 19. Jh. Bedeutung. Insgesamt hat Ansgar in Schleswig eine geringere Rolle gespielt als in Dänemark und Schweden, »wo ein religiös ungebrochener Nationalismus« auch Ansgar einschloss (59).
Kapitel 4 »Ansgar und die christlichen Anfänge in Schleswig-Holstein, Dänemark und Schweden« stützt sich auf Rimbert, der in Kapitel 42 der Vita Ansgar als Heiligen und Apostel wie Petrus und zum Martyrium bereiten Christen wie Stephanus schildert (65). Manche Nordgermanen verschoben die Taufe ans Lebensende und nahmen nur eine »prima signatio« an (67). Das Umfeld kommt in den Blick: Karl d. Gr., Päpste und die Ostkirche, das Kloster Corbie in Nordfrankreich sowie ein Apsismosaik im Lateran aus der Zeit vor 800 (76). Kapitel 3 der Vita bringt die Bedeutung der Lichterfrömmigkeit in der Missionsgeschichte: Christus als Licht aus dem Osten. Damit hängt die Ostausrichtung vieler christlich germanischer Gräber zusammen (97). Erzbischof Ebo von Reims setzte sich auch für die Mission im Norden ein, aber nur Ansgar erhielt eine so »wundervoll zu lesende Biographie von seinem Nachfolger Rimbert« (100). Zum Heliand werden mögliche Ursprungsorte ge­nannt. Ansgars Beziehungen zu Damenstiften führen zu der Hypothese, der Heliand könne in Wendhusen oder Bassum entstanden sein (104). Kapitel 4.7 schildert Ansgars Missionsreisen nach Dänemark und Schweden, Kapitel 4.8 die Gründung Hamburgs und Ansgar als ersten Erzbischof. Kapitel 4.9 führt zurück nach Haithabu: Der Ort war offenbar größer als der jetzige Ringwall, die Kirche muss außerhalb gelegen haben (115). Nach kurzem Rückschlag bat der Dänenkönig Horich II. 854 Ansgar, er möge seinen Pfarrer zurückschicken (Vita 32). Nach seinem Bericht hat Rimbert selbst den Bau der Kirche in Haithabu geleitet (118). Kapitel 4.10 kritisiert die Wundererzählung Widukinds von Corvey über die Bekehrung des Dänenkönigs Harald Blauzahn 860 durch den Priester Poppo (120 f.). Es folgt ein Rückblick auf Wilhelm von Giesebrecht, der 1849 in Band 1 seiner Geschichte der deutschen Kaiserzeit ein recht negatives Bild von den vorchristlichen Wikingern bot. Den Namen Ansgar nannte Giesebrecht freilich nur einmal rühmend (127).
Kapitel 5 »Ansgars christliche Ethik« stützt sich auf Leitmotive aus Texten, die eine Jahrtausende überdauernde, »humane und menschenrechtliche Geltung beanspruchen« (128). Friedensethik und Wirtschaftsethik schließen den Gedanken der Nützlichkeit ein. Das wichtigste Beispiel für Schulbildung war das Kloster Corbie mit den Mönchen Ratramnus und Paschasius Radbertus. »Ora et labora« als Arbeitsethik muss auf Wikinger »irritierend gewirkt haben« (138). Ein Schlüssel mit einem Kreuz als Durchbruchszier (142) gibt Hinweise auf die Bedeutung der Privatbeichte bei Ansgar. Die Sehnsucht nach dem Martyrium war für Ansgar wichtig neben dem geistigen Kampf gegen die Blutrache bei Sachsen, Dänen und Slawen (145). Kapitel 6 »Jenseitshoffnungen« bringt bekannte Be­richte bei Beda und Adam von Bremen (146/48).
Kapitel 7 »Ansgars neuzeitliche Wirkung auf Kirche und Politik« beginnt mit dem Anspruch des katholischen Erzbistums Hamburg, Ansgar-Tradition fortzusetzen (150). Aber Ansgar war der einzige mittelalterliche Heilige, »der ebenso in der evangelisch-lutherischen wie in der römisch-katholischen Kirche von jeher verehrt wird«. Kapitel 7.1 nennt den Historiker Friedrich Christoph Dahlmann, einen der Göttinger Sieben. Seit 1812 lehrte Dahlmann in Kiel. Abschnitte über Ansgar aus Dahlmanns 3-bändiger »Ge­schichte von Dänemark« (I, 1840) bringen die Seiten 157–168. Kapitel 7.2 informiert über Nikolai F. S. Grundtvig, der 1817 mit seinem »Nachruf auf Ansgar« eine »Wende in der Kirchengeschichte Dänemarks« einleitete (169). Grundtvig brachte Dänemark ein neues Geistes- und Nationalgefühl (177). Die Rolle Ansgars wird mit Zitaten – auch aus Liedern – belegt. Grundtvig sah Ansgar als Sämann, dessen Aussaat nach einem Jahrtausend Früchte trug (180–204). Kapitel 7.3 geht auf »Claus Harms« ein, der mehrfach Ansgar nannte (204–250). 1826 erschienen Denkschriften zur Taufe des Dänenkönigs Harald Klak 826 u. a. von Bischof Friedrich Münter, der das Christentum als die vernunftgemäße Lehre dem Heidentum ge­genüberstellte. Die Denkschrift von Claus Harms 1826 übernahm aus einem Buch über heidnische Götterkulte einen Hinweis auf eine Priesterin, die einem Menschen den Bauch aufschlitzt (213). Auch in seinem Gnomon für Schleswig-Holstein 1843 nannte Harms mehrfach Ansgar (228 ff.). Die Jubiläumspredigten werden untersucht. In seinen letzten Jahren 1849–55 kommt Ansgar bei Harms nicht vor (249 f.). Kapitel 7.4 berichtet von Erzbischof Söderblom, dass er 1924 den Bau der Ansgar-Kapelle auf der Insel Birka zur Tausendjahrfeier seiner Landung 930 anstrebte. Dazu unternahm Söderblom 1929 eine Pilgerreise »Auf den Spuren des hl. Ansgar« von Corvey über Bremen, Hamburg und Schleswig nach Dänemark und Schweden.
Aus diesem Reisebericht werden drei Abschnitte gedruckt. Nach Söderbloms Urteil ist Ansgar nach langer Vergessenheit in neuester Zeit »von Schwedens Christenheit gekannt, geliebt und geehrt worden wie nie zuvor« (266). Kapitel 7.5 nennt Ricarda Huch, deren Distanz zum Dritten Reich sich auch darin zeigt, dass für sie Herzog Widukind nicht der Feind der Kirche war, vielmehr hatte er sich taufen lassen. Das schrieb sie lobend 1935 von der Stadt Enger in dem Band »Lebensbilder deutscher Städte«. Umfassend kommt Ansgar vor in ihrer Deutschen Ge­schichte, Bd. 1, 1934, hier gedruckt auf den Seiten 273/76.
Das Buch über Haithabu schließt mit einer Übersicht über Ansgarkirchen und -institutionen in Norddeutschland, Dänemark und Schweden (277–282). Einige Wiederholungen sind bei der Anlage des Buches unvermeidlich. Der Band bietet Quellenmaterial und Deutungen in solcher Fülle, die es bisher nicht gab; für alle weiteren Arbeiten dürfte er unverzichtbar sein.