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Ausgabe:

April/2017

Spalte:

372-374

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Zecher, Jonathan L.

Titel/Untertitel:

The Role of Death in theLadder of Di-vine Ascent and the Greek Ascetic Tradition.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2015. 304 S. = Oxford Early Christian Studies. Geb. US$ 105,00. ISBN 978-0-19-872494-0.

Rezensent:

Andreas Müller

Die Entwicklungen im ostkirchlichen Mönchtum insbesondere in der Umbruchsphase von der Spätantike zum sogenannten Mittelalter eröffnen bis heute zahlreiche Forschungsfelder. Viele Texte wie z. B. der Briefwechsel der palästinischen Mönche Barsanuph und Johannes sind noch nicht umfassend und gründlich ausgewertet worden und zahlreiche Quellen nicht einmal kritisch ediert. Selbst die Klimax des Johannes Sinaites, eine der bedeutendsten spirituellen Schriften der ostkirchlichen Tradition, ist bisher erst in wenigen Qualifikationsarbeiten behandelt worden, von denen die vorliegende den jüngsten Versuch einer Annäherung an den Text darstellt. – Jonathan L. Zecher, jetzt Lecturer an der Universität in Houston, hat seine Dissertation über die Rolle des Todes in der Klimax des Johannes Sinaites in Durham 2011 abgeschlossen.
Bereits der Titel der 2015 publizierten Arbeit ist irritierend. Z. bearbeitet keineswegs zentral die Klimax des Sinaiten, deren Konzept des Todes er nicht einmal das letzte Fünftel des Umfanges seiner Studie widmet. Er liefert vielmehr nach einer Einführung und einem kurzen Einblick in die aktuelle Forschungsdiskussion einen Überblick über die – keineswegs einlinige (23) – Entwicklung dieses Konzeptes in den biblischen und antik-philosophischen Quellen, in der Vita Antonii des Athanasios, in der Wüstenvätertradition insbesondere der Apophthegmata Patrum und in den Texten des Gaza-Mönchtums (allerdings unverständlicherweise unter weitgehendem Verzicht auf die Berücksichtigung der Schriften des Dorotheos, vgl. 25; aber auch 153).
In der späteren monastischen Tradition sind aus dem Matthäusevangelium die eschatologische Perspektive der Verbindung von Tod und Gericht und aus dem paulinischen Schrifttum die Vorstellung vom Tod als Symbol für die gefallene und zugleich gerettete Menschheit übernommen worden (56). Die meditierende »Erinnerung an den Tod« rezipierten Mönche durchaus auch aus platonischem oder stoischem Umfeld, verbanden diese aber mit dem christlichen Gerichtsgedanken (78). In der Vita Antonii wird der Tod sehr deutlich mit dem Gedanken des Aufstiegs zum Himmel verbunden, den der Mönch bereits in seinem asketischen Leben zu erreichen versucht (83). Die Wüstenväter haben noch viel genereller den Tod zum Begleiter im Leben stilisiert und dieses dementsprechend immer auch mit Blick auf das Endgericht gestaltet (104.111). Ihr Leben richteten sie also schon in der Gegenwart an der Bürgerschaft im Himmel aus (112). Selbst innere Ruhe konnte mit dem Tod gleichgesetzt, aber auch der Tod »gegenüber anderen« thematisiert werden (124). Gehorsam diente dabei als eine Art prämortale Selbstverleugnung (142). Im Gaza-Mönchtum hat »Tod« zum ersten Mal eine dominante, ja normative Rolle für den Entwurf asketischer Spiritualität gespielt (162). Z. spricht in diesem Zusammenhang von einer »mortal identity« der Mönche (165). Dabei steht u. a. die Beschneidung des eigenen Willens im Zentrum (168). Diese Form der monastischen Identität wird in besonderer Weise als imitatio Christi, ja gerade auch seines Todes verstanden (175).
Barsanuph spricht in diesem Zusammenhang von einer Art geistlichem (»spiritual«) Tod (177). Der Sinaite nun hat Tod zu »the means by which monks engage with time« gemacht (207). Gehorsam spielt auch bei ihm für eine entsprechende Haltung eine zentrale Rolle (209.213.218.220). Auch ist er Element einer spezifischen monastischen Identität (218). Der Sinaite stellt gleichsam den Höhepunkt einer Entwicklung des »Todeskonzepts« im spätantiken Mönchtum dar: »Climacus deploys the metaphor of death as the definitive image of ascetic life« (225). Derart gelebter Tod ist bereits Auferstehung (225).
Der Wert der Arbeit besteht sicher darin, dass sie den Umgang mit dem Tod als ein zentrales Thema des spätantiken Mönchtums herausarbeitet und in der Entwicklungsgeschichte darstellt. Ein solcher Überblick ist hilfreich und an einigen Stellen auch deut-lich weiterführend. Gleichwohl stellen sich einige grundsätzliche Fragen an die vorliegende Arbeit.
Methodisch ist sie – wenn auch nicht so benannt – der klassischen Ideengeschichte verhaftet (vgl. 17 u. a.). Zwar nimmt Z. die neuere Literatur auch zur Sinaites-Forschung durchaus zur Kenntnis, lässt sich hingegen auf eine kritische Diskussion derselben nicht ein. Vielmehr bewegt er sich oft auf der Ebene ahnungsloser Polemik. Insbesondere die deutschsprachige Literatur zu dem Thema hat Z. nicht wirklich rezipiert. Dies gilt bereits für die grundlegende Arbeit Walther Völkers, die 1968 erschienen ist und sich methodisch von den Ansätzen Z.s nicht wirklich unterscheidet. Z. tut sie nur mit einigen wenigen allgemeinen Bemerkungen ab. Auch mit dem Ansatz von Henrik Rydell Johnsén, der die Klimax als ein rhetorisch bemerkenswertes Buch analysierte, setzt sich Z. kaum auseinander. Dies er­scheint besonders wichtig, weil die Klimax auf den ersten Blick jenseits aller konkreten zeitgeschichtlichen Begebenheiten zu schweben scheint, dies aber faktisch keineswegs tut. Z. tut diesen vollkommen neuen Ansatz, auch mystische Konzepte der Spätantike vor ihrem konkreten historischen Hintergrund zu interpretieren, lediglich mit pauschalen Bemerkungen ab (12). Jedenfalls verwundert es den Rezensenten, dass er über den »unique genius« des Sinaiten wenig Neues geschrieben haben sollte (12) – zumal es eigentlich auch nicht die Aufgabe einer wissenschaftlichen Arbeit des 21. Jh.s ist, die Genialität von Autoren zu unterstreichen. Immerhin habe ich am Konzept des Gehorsams deutlich machen können, dass der Sinaite anachoretische, semianachoretische und koinobitische Mönchtumskonzepte in einzigartiger Weise zum ersten Mal zusammengefasst und damit auf politische und kirchenpolitische Herausforderungen reagiert hat. Z. bemüht sich hingegen umso mehr, eine Ideengeschichte des Konzeptes des Todes zu entwickeln, das merkwürdig jenseits aller politischen, sozialen und auch mönchtumsgeschichtlichen Entwicklungen entsteht.
Eine wirklich kritisch-analytische Qualität ist der Arbeit daher nicht zu entnehmen. Sie macht vielmehr ausschließlich deutlich, dass Johannes ältere Traditionen in kongenialer Weise in einem ausgefeilten Konzept zusammengefasst hat (vgl. bereits 4.11.183. 207.224). Dass seine »Organisation« monastischen Lebens durch »Tod« geschieht (50), asketischer Fortschritt also eng an die Erinnerung an den Tod respektive die Sterblichkeit gebunden ist (51), wird dabei sicher korrekt beschrieben.
M. E. bringt dies die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema kaum weiter. Weiterführende Fragen werden obendrein nicht behandelt, z. B. wie Johannes monastische Traditionen überhaupt kennengelernt haben konnte. Es ist wohl kaum davon auszugehen, dass ihm alle diese Traditionen schriftlich vorgelegen haben. Was monastische Tradition (28) auf dem Sinai überhaupt sein konnte und wie sie vermittelt wurde, wird von Z. historisch nicht reflektiert. Vielmehr erweckt er den Eindruck, dass Tradition in unterschiedlichen Werken schriftlich ihren Niederschlag gefunden hat und dann entsprechend von späteren Mönchsautoren verarbeitet wurde.
Einige Aporien insbesondere bezüglich der historisch-kritischen Einordnung der Klimax bleiben offen. Mir ist z. B. nicht deutlich geworden, warum Z. trotz ausgiebiger Diskussion in der neueren, auch Z. prinzipiell bekannten Literatur darüber die Leiter ganz selbstverständlich immer noch ins 7. Jh. datiert (7.33). Irritierend ist Z.s Bemerkung, dass er sich mit der Spiritualität und der Theologie in der Klimax sowie der Traditionsgeschichte beschäftige und daher Datierungsfragen eigentlich ohnehin außer Acht lassen könne (33). Ein Verständnis von Entwicklungen von Theologie jenseits von Zeit und Raum ist im Kontext wissenschaftlicher Theologie nur schwer nachvollziehbar!
Die Behauptung, dass eine kritische Edition derselben gar nicht nötig sei, weil die Handschriften kaum voneinander abweichen (8: spricht von einer »relatively stable textual transmission«), erweckt den Eindruck, dass Z. sich die unterschiedlichen Handschriftenrezensionen nie vor Augen geführt hat. Gerade die kritische Edition des Klimax-Textes stellt bis heute eines der zentralen Desiderate der Forschung dar. Z. widerspricht sich an dieser Stelle selber, indem er ein paar Seiten später davon spricht, dass die Handschriftentradition zwar »vast and complex« (10) sei, wenn auch zugleich »stable«.
Problematisch ist die Bezeichnung der Vita des Sinaiten Daniels von Raithou als »biography« (29) – hier ist wohl eher von Hagiographie zu sprechen.
Das Ideal der Alkoholabstinenz bei den Wüstenvätern (113 f.) entsprach nicht überall der tatsächlichen, noch archäologisch nachweisbaren Praxis. Dies haben vor allem die Ausgrabungen von Uzi Dahari auf dem Sinai ergeben. Ein Hinweis darauf hätte deutlich gemacht, dass Ideal und gelebte Wirklichkeit durchaus differieren konnten.
Oft stellt Z. Behauptungen in den Raum, die er nicht begründet. Mir ist z. B. nicht klargeworden, warum Mönche philosophische Begriffe wie apatheia losgelöst von ihrem philosophischen Kontext »praktisch« benutzt haben sollten (65) – trifft das für die intellektuellen Mönche so immer zu? Der Übertritt von Konzepten vom »philosophischen« ins »christliche« Denken (70) erscheint jedenfalls als eine noch genauer zu beweisende Hypothese.
Formal ist die Arbeit weitgehend gründlich gestaltet, wenn auch gelegentlich präzise Literaturhinweise fehlen (z. B. 15; 31).
Orthographisch finden sich in ihr einige Fehler, z. B. in der griechischen Akzentsetzung und Flexion (35: ποιμήν statt ποιμὴν; 38 fehlt mehrmals der spiritus, z. B. bei Ακηδία; 39: Ἀπαθεία statt Απάθεια; 43: πλάκες πνευματικοί statt πλάκες πνευματικαί; 59: ἀποθανὼν statt ἀποθανών; 82: χαρακτὴρ statt χαρακτήρ; βιός statt βίος), in der englischen (z. B. 65: Apophethgemata statt Apophthegmata; 208: orat statt or at; 222: Climacuse statt Climacus) und vor allem in der deutschen Orthographie (vgl z. B. im Literaturverzeichnis, 236: Literature statt Literatur; zum 65 statt zum 65. Ge­burtstag; Wissenschaftlichen Buchgesellschaft statt Wissenschaftliche Buchgesellschaft; 246: Sitzunsberichte statt Sitzungsberichte). Es entsteht der Eindruck, dass Z. auch rein sprachlich deutsche Se­kundärliteratur nicht wirklich zu rezipieren in der Lage ist. Auch die französische Rechtschreibung ist Z. nicht immer bekannt (vgl. 239: le problem statt le problème).
Die Ausführungen Z.s eröffnen durchaus Perspektiven auf die Betrachtung des Todes als einer zunehmend zentralen monastischen Haltung in der Spätantike. Wissenschaftliche Methodik und Präzision sowie wirklich (historisch-)kritische Auseinandersetzung mit den Quellen und der Sekundärliteratur sind in der Arbeit aber nur in eingeschränkter Weise zu finden.