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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

293–296

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Lossky, André, et Goran Sekulovski[Éds.]

Titel/Untertitel:

Liturges et litur-gistes. Fructification de leurs apports dans l’aujourd’hui des églises. 59e semaine d’études liturgiques, Paris, Institut Saint-Serge.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2015. 371 S. = Semaines d’études liturgiques Saint-Serge, 59. Kart. EUR 52,00. ISBN 978-3-402-11331-8.

Rezensent:

Fritz Lienhard

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Lossky, André, et Goran Sekulovski [Éds.]: Jeûne et pratiques de repentance.Dimensions communautaires et liturgiques. 58e semaine d’études liturgiques, Paris, Institut Saint-Serge, 27–30 juin 2011. Münster: Aschendorff Verlag 2015. 332 S. = Semaines d’études liturgiques Saint-Serge, 58. Kart. EUR 47,00. ISBN 978-3-402-11330-1.


In Anbetracht der Vielfalt der Praxen ist das Ziel des ersten hier vorzustellenden Bandes, über das Fasten nachzudenken, wie es bei den verschiedenen liturgischen Familien verstanden wird. Das Buch ist eine Sammlung der Ausführungen der 58. Woche der Liturgischen Studien, die wie jedes Jahr am Institut für orthodoxe Theologie in Paris organisiert wurde. Die Einleitung warnt vor den möglichen medialen Verzerrungen des Fastens. Jenseits eines Zeichens der Identität oder einer Suche nach Wohlbefinden, das rein körperlich zu verstehen wäre, kann das Fasten eine Distanznahme gegenüber der wesentlichen lebensbewahrenden Handlung sein, um nach und nach zu entdecken, dass das Leben vor allem vom Schöpfer kommt ( Marcel Metzger, Entretenir sa forme: laquelle? Restrictions alimentaires et religions, 9–26). Diese Entdeckung kann sowohl eine Person als auch eine Gemeinschaft betreffen: Die hier dargestellten Arbeiten untersuchen lediglich die organisierten und liturgischen Arten des Fastens. Das Thema Fasten wird auch aus medizinischer Perspektive betrachtet (Marc Andronikof, Le sens du jeûne pour un médecin, 27–39). So wie die Kirchen diese Einschränkungen empfehlen, haben sie keinen negativen Einfluss auf die Gesundheit; dabei müssen jedoch manche Fehler vermieden werden.
Gemeinschaftliches Fasten war auch in Israel bekannt, oft zum Ausdruck von Reue (François Orfeuil, Le jeûne dans l’Ancien Testament, 41–64). Im Neuen Testament bleiben die Verweise auf das Fasten diskret, aber das Zeugnis der ersten christlichen Gemeinschaften relativiert dessen Bedeutsamkeit nicht (Yves-Marie Blanchard, »Pourquoi tes disciples ne jeûnent-ils pas?« (Mc 2,18); le paradoxe du jeûne chrétien, selon le Nouveau Testament, 65–77). So lässt sich auch im Buch eine Darstellung des Fastens im Islam finden (Mohammed Taleb, Le jeûne en Islam. Quête de sens et témoignage. Entre théologie et anthropologie apophatiques, 79–94). Diese religiöse Tradition unterstreicht dabei vor allem die Abwesenheit des transzendenten Gottes. In den christlichen Traditionen, die aus der Reformation hervorgehen, insistieren die Lutheraner und Reformierten insbesondere auf die Verbindung des Fastens mit dem Gottesdienst: Fern von jedem Individualismus wird die Einschränkung des Essens als gemeinschaftlicher Akt verstanden ( Jacques-Noël Pérès, Expression théologique et expérience de la foi: les liturgies luthériennes pour les jours de repentance et de jeûne, 95–104; Bruno Bürki, Un jeûne intégré au culte réformé, depuis Jean Calvin, 105–114).
Andere Ausführungen analysieren lokale Traditionen. So verläuft das Fasten in Jerusalem im 4. Jh. nach einem festen zeitlichen Ablauf, wobei jedoch in der praktischen Anwendung die Kräfte jedes Einzelnen berücksichtigt werden, ob es sich nun um Mönche oder um Pilger handelt (Pablo Argárate, Unusquisque ut potest id facit: les pratiques de jeûne à Jérusalem d’après le témoignage de l’Itinerarium Aegeriae, 115–128). Eine Untersuchung der monastischen westlichen Regeln weist die Kodifizierung einer Praxis aus, die beginnt, die Fastenpraxis der Kirche zu übernehmen, um sie im monastischen Leben anzuwenden und auf diese Weise diesem eine kirchliche Dimension zu verleihen (Bartomeu M. Ubach, Jeûne et pratiques de repentance dans les Règles monastiques d’Occident, 129–148). In der östlichen Tradition beschreiben Ausführungen die alten (Michel Stavrou, Le jeûne du Grand Carême dans les monastères byzantins aux XIe–XIVe siècles, 149–158) und aktuellen (Sophie Lossky, Présentation des usages liturgiques pratiques actuels dans le Carême orthodoxe byzantin, 159–164; Simon Marincak, Fasting Traditions in the Eparchy of Mukachevo, 181–220; André Lossky, Fête de la Croix et pratiques pénitentielles byzantines, 221–230) orthodoxen Praxen; so lässt sich eine Darstellung von Johannes dem Täufer als Modell vom Fasten finden (Nicolas Cernokrak, Une figure de repentir dans la tradition liturgique byzantine: Saint Jean-Baptiste, 165–180). Es folgen die Kennzeichen oder Beispiele aus den koptischen (Youhanna Nessim Youssef, La Bible et le Carême dans l’Église copte, 167–276), äthiopischen (Habtemichael Kidane, Fasting in the Ethiopian Orthodox ›Tâwahdo‹ Church Tradition. It’s communitarian and liturgical Aspect, 231–266), allgemein römischen (Manlio Sodi, Ieiunium et paenitentia dans les Missels romains du Concile de Trente [1570] et de Vatican II [1970], 277–282) und polnischen Kirchen, in diesem Fall mit einer Beschreibung der Feier, die die Passion bedenkt (Przemyslaw Nowakowski, Office des Lamentations amères [Gorzkie tale], célébration communautaire de la Passion, de la repentance et de la conversion dans la tradition liturgique de l’Église polonaise, 283–300). Schließlich wird, aus aktueller praktischer Sicht, das Fasten in Verbindung mit dem Kreuz untersucht, ebenso wie mit der Eucharistie (Georgios Filias, Le jeûne eucharistique: approche historique et position pas-torale dans l’Église Orthodoxe Grecque d’aujourd’hui, 301–308, und Pavlos Koumarianos, Comment expliquer la génuflexion pendant la célébration de la Sainte Eucharistie?, 309–325).
Seit ungefähr 60 Jahren bieten die liturgischen Wochen des Orthodoxen Instituts in Paris eine ökumenische Untersuchung zu liturgischen Fragen an, mit einer wissenschaftlichen Untersuchung der Dokumente und ihrer Geschichte. Auf diese Weise wird ein an­spruchsvoller Dialog geführt. Vor allem die Vielfalt der Art zu fasten wird dargestellt. Es handelt sich dabei um eine wichtige Dokumentation für Spezialisten.
Der zweite hier zu besprechende, von André Lossky und Goran Sekulovski herausgegebene Band ist aus einer Studienwoche zur Liturgie am Orthodoxen Institut der Theologie entstanden, die in Paris im Juni 2012 stattgefunden hat. Im postmodernen Umfeld, mit der entsprechenden Pluralität der Kulturen und der Strömungen, gilt es, einen Weg zu finden hin zu einer lebendigen Liturgie, die der christlichen Identität entspricht. Die Rezeption der Tradition ist dabei weder Kopie noch reine Innovation, sondern Ergebnis e iner Befruchtung, oder kreative und konkrete Anpassung von dem, was überliefert wurde. So kann ein Liturg die Arbeiten der Liturgiespezialisten aufnehmen, zwei Rollen, die in ihrer Ergänzung wahrzunehmen sind. Dieses Ergänzungsverhältnis ist das Untersuchungsziel dieses Buches.
Zunächst finden sich einige grundsätzliche Erörterungen über eine Theologie der Rezeption, wie sie sich heute im Bereich der Liturgie anwenden lässt. Liturgie wird verstanden als Offenbarung der Kirche (so Michel Stavrou, Un renouveau liturgique orthodoxe en France au XXe siècle, signe de réception de quelques principes théologiques, 11–30; Thomas Pott, La réforme liturgique comme une »idée« du XXe siècle, 31–46). Auch die reformierte Tradition kennt die Arbeiten von Liturgiespezialisten, die den Schwerpunkt auf die erste eschatologische Öffnung innerhalb des christlichen Gottesdienstes legen (Bruno Bürki, Réception liturgique protes-tante, en perspective œcuménique, 47–60). Eine allgemeine Untersuchung unterstreicht die Verbindung zwischen Rezeption und Transformation, jenseits der einfachen Kommunikation eines Erbes, da sich die Teilnehmer eines Gottesdienstes bewusst sind, dass eine liturgische Versammlung durch die Teilnahme spirituell bereichert und verändert wird (Cyrille Vael, La transmission: qui transmet, pourquoi et comment?, 61–81).
Die Vermittlung ist eine grundsätzlich biblische Redensweise, die sich schon im Alten Testament finden lässt und dann auf die christliche Initiation angewandt wurde (François Orfeuil, Ap-proche biblique: réception et transmission de l’Alliance, 81–90). Eine Untersuchung der Denkansätze von Oscar Cullmann zeigt so die Verwurzelung der johanneischen Texte in der sakramentalen Praxis der Kirchen (Yves-Marie Blanchard, Les sacrements dans l’évangile johannique: relecture et révision de la thèse d’Oscar Cullmann, 91–104).
Nach diesen zwei biblischen Erörterungen geht die Überlegung weiter mit einer Untersuchung zum Erbe anderer Liturgiespezia-listen, die als grundlegend gelten, entweder weil ihre Arbeiten ihrerseits andere Arbeiten hervorgerufen haben, oder weil weiterführende Ansätze von der Geschichte der liturgischen Feiern direkt das Verständnis der Liturgie in den Gemeinschaften geprägt haben. (Charles Athanase Renoux, Anton Baumstark: Ecclésiologie, 105–114; Nicholas Sagovsky, Gregory Dix and The Shape of the Liturgy – a Critical Assessment, 115–124; Andre Haquin, Dom Bernard Capelle [1884–1961]: de la Science biblique au Mouvement liturgique, 125–148; Paul De Clerck, Dom Bernard Botte: l’homme, son œuvre et sa réception, 149–156; Joost van Rossum, La »Théologie des mystères« de Dom Odo Casel: la notion de Mysteriengegenwart et sa réception, 157–176; Andrew Wade, La contribution liturgique de Michel van Esbroeck, 177–183).
Die untersuchten Wissenschaftler zeichnen sich insbesondere durch Sprachkompetenz, breite Rezeption der Forschung, Pluridisziplinarität und Ausführlichkeit aus. Wir finden auch eine Untersuchung der Thesen von Romano Guardini und Joseph Ratzinger, mit einer besonderen Beachtung der altkirchlichen und mittelalterlichen Tradition, aber auch der aktuellen Neuerungen in der griechischen Tradition (Manuo Sodi, Cipriano Vagaggini et Salvatore Marsili: au siècle des grands liturgistes entre le IIe et le IIIe millénaire, 185–202; Damasio Medeiros, Il contributo di Achille Maria Triacca alla teologia sacramentaria, 203–216; Przemyslaw Nowakowski, Père Michel Kordel, le mouvement liturgique en Pologne et son héritage dans l’Église contemporaine, 217–234; Viorel Sava, The Work of Fr. Dr. Ene Braniste in the Context of the Contemporary Liturgical Research, 235–256; Élie Simonopetritis, L’œuvre litur-gique de l’archimandrite Aimilianos, higoumène du Monastère de Simonos Petra [Sainte Montagne de l’Athos], 257–265).
Eine letzte Reihe von Ausführungen behandelt einige besondere Fragen wie die Leitung der Versammlung nach den neutestamentlichen und patristischen Befunden, wie sie im 20. Jh. durch unterschiedliche Forscher übernommen und vielleicht falsch verstanden wurden (Nicolas Cernokrak, Le président et les concélébrants de l’assemblée liturgique, 267–280), schließlich die Praxis einer vereinfachten Struktur der byzantinischen Morgenfeier (Élie Korotkoff, Une tentative d’application des recherches liturgiques pour un ordo de matines dominicales en paroisse, 281–294), wie sie von Juan Mateos untersucht wurde als Beispiel der konkreten Rezeption von historischen Forschungen. In der kop-tischen Tradition gilt die Verehrung des heiligen Abrahams, Bischof von Fayoum, als Beispiel für die Kanonisierung einer neueren Persönlichkeit, die auch im liturgischen Bereich aktiv war (Youhanna Nessim Youssef, La doxologie de Saint Abraham de Fayoum [† 1914], 295–320). Eine Untersuchung zeigt die musikalische und textliche Entwicklung innerhalb von griechisch-katholischen und orthodoxen Gemeinschaften in der Slowakei, die die Schwierigkeiten der Re­zeption von Mitgliedern zeigt, die für eingeführte Veränderungen in diesen Bereichen vorbereitet und erzogen werden müssen, wobei die Kraft der Gewohnheit sich oft jeder Veränderung, auch wenn sie legitim ist und begründet werden kann, entgegenstellt ( Simon Marincak, The Developments of the Prostop’enie in the 20th Century in Greek-Catholic and Orthodox Churches in Slovakia, 303–320). Die doppelte Geste vom Brechen des Brotes in der alten Liturgie in Gallien und Italien wird sorgfältig analysiert, ausgehend von den altkirchlichen westlichen Texten, wobei zwei Handlungen unterschieden werden. Die eine davon ist symbolisch sakramental, indem sie das einzige Opfer vom Kreuz aktualisiert, die andere hängt mit den praktischen Notwendigkeiten der Austeilung zusammen, bevor die Entwicklung zu einer einzigen Geste geführt hat ( Enrico Mazza, En retravaillant une étude de Louis Gougaud: le rite de la fraction dans les liturgies latines non romaines, 321–340). Die liturgische Wichtigkeit der Ikone beendet diese Reihe von Beispielen: Die Ikone hat in erster Linie, noch vor ihrer Bedeutung als Kunstgegenstand, als Ziel, die Heiligkeit darzustellen. Diese theologische Funktion ermöglicht es nicht, sie auf eine Illustration oder pädagogische Dimension zu beschränken: Die Ikone ist zunächst Betrachtung und Gebet, sowohl als Person wie als Gemeinschaft, was ihr Platz in der Liturgie zeigt ( Nicolas Ozoline, Pourquoi parlons-nous des icônes lors de nos Semaines d’Études Liturgiques?, 341–348). Schließlich beschäftigt sich eine letzte Ausführung (Marcel Metzger, L’étude de la liturgie, comme théologie pastorale, dans les Semaines d’études liturgiques de Saint-Serge, 349–364) mit der möglichen Wirkung der liturgischen Wochen auf das konkrete Leben der Gemeinschaften, auf die Verbindung zwischen Theologie und Liturgie und die mögliche Anwendung im pastoralen Bereich.
Das Buch ist für Liturgie- und Ökumenespezialisten besonders relevant. Insbesondere die Vielfalt der Praxis wird zur Geltung ge­bracht.