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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

221–222

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Dowley, Tim

Titel/Untertitel:

Der Atlas zur Reformation in Europa. Kartogr. v. N. Rowland. Übers. v. E. Neumann.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Aussaat 2016. 160 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. Geb. EUR 19,99. ISBN 978-3-7615-6331-1.

Rezensent:

Andreas Stegmann

Kirchengeschichtliche Atlanten gibt es leider nur wenige, und sie bieten für die Reformationsgeschichte in der Regel kaum mehr Kartenmaterial als ein umfangreicherer historischer Atlas. Der 2015 in englischer Sprache bei Fortress Press erschienene und unlängst auch auf Deutsch publizierte Atlas von Tim Dowley verspricht, diesem Mangel abzuhelfen. Mit einer Vielzahl von Karten zeichnet er Reformationsgeschichte nach und bettet sie in ihre spätmittelalterliche Vor- und ihre frühneuzeitliche Nachgeschichte ein, und zwar unter Einbeziehung der außereuropäischen Christentumsgeschichte. Die insgesamt 60 Karten finden sich in der Regel zusammen mit einer ausführlichen Erläuterung und weiteren Abbildungen auf einer Doppelseite abgedruckt.
Leider zeigt schon ein erstes Durchblättern des Bands zahlreiche konzeptionelle, inhaltliche und formale Mängel, die seine Verwendung in der akademischen Lehre nicht empfehlenswert machen. Die Übersetzung aus dem Englischen fällt manchmal etwas holprig aus und gibt die Fachterminologie nicht immer korrekt wieder (»Arminier« [140]).
Es finden sich zahlreiche Druckfehler (»1625« [59], »Reginald Poe« [88], »Jakob Andrae« [126]), Stilblüten (»Burg Ebernburg« [56]) und sprachliche Fehler (»sub utraque species« [34], »das priesterliche Zolibät« [58]). Irritierend ist die Uneinheitlichkeit in der Eindeutschung von Ortsnamen (auf derselben Karte nebeneinander »Kraukau« und »Vilnius« [105]), die Verwendung unterschiedlicher Formen von Ortsnamen nebeneinander (»Sandomir« und »Sandomierz« [92]) und die Vermischung von Territorial- und Regionalbezeichnungen. Einige Ortsnamen sind schlicht falsch geschrieben (»Bordersholm« und »Herrenburg« [29], »Rheims« [105]) und an manchen Stellen sind englische Bezeichnungen stehengeblieben (»Sardinia« [53]).
Inhaltlich erweisen sich Kartenbilder und Erläuterungen an manchen Punkten als irreführend oder sogar falsch. So wird Luthers Romreise auf 1510/11 datiert (14.54, Hans Schneider zufolge ist sie auf 1511/12 zu datieren und als Ausdruck von Luthers Gehorsam gegenüber seinen Ordensoberen zu deuten); verwundert sieht man auf der Karte der mittelalterlichen Universitäten den Eintrag »Lüneberg 1471« (25); als Datum der Vertreibung der Juden aus dem Kurfürstentum Brandenburg wird 1573 angegeben (63, tatsächlich fanden die beiden großangelegten Judenvertreibungen 1510 und 1571 statt); bei der Gliederung von Calvins Institutio wird nicht zwischen Teilen und Kapiteln unterschieden (74); die englische Reformation unter Elisabeth I. wird entgegen der neueren Forschung als via media bezeichnet (88, vgl. dagegen ThLZ 141 [2016], 589 f.).
Die Karten und Erläuterungen sind aber nicht nur im Einzelnen fehlerhaft, sondern sie können auch hinsichtlich der Auswahl der behandelten Themen und der dem literarischen Genus geschuldeten vereinfachten Darstellung nicht befriedigen. Orientiert sich der Atlas doch durchweg an der älteren populärwissenschaftlichen Reformationshistoriographie und werden neuere Erkenntnisse und Interpretationsperspektiven vielfach ignoriert. Selbst an dem Punkt, wo ein Atlas alle konzeptionelle, formale und inhaltliche Kritik relativieren könnte – nämlich wo es um die kartographische Darstellung geht –, enttäuscht er: Die Kartenbilder basieren nicht auf eigener Forschung – was für den abgedeckten zeitlichen und geographischen Raum von einem Einzelnen gar nicht zu leisten is t–, und sie sind vielfach nicht einmal gut durchdacht, sondern illustrieren lediglich aus der Sekundärliteratur übernommenes Wissen. Der Maßstab der Karten ist oftmals zu groß gewählt, so dass sich Details nicht oder nur unzureichend darstellen lassen. Die Kartenbilder sind zudem vielfach stark vereinfachend und allzu schematisierend und zugleich mit Zusatzinformationen versehen, die eigentlich in einen Text oder eine Übersichtstabelle gehören. Warum als Entfernungsmesser neben der Kilometer- auch eine Meilenskala angegeben ist, erschließt sich nicht.