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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

135–137

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Klein, Rebekka A.

Titel/Untertitel:

Depotenzierung der Souveränität. Religion und politische Ideologie bei Claude Lefort, Slavoj ?i?ek und Karl Barth.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XII, 307 S. = Religion in Philosophy and Theology, 85. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-154353-1.

Rezensent:

Jochen Bohn

Rebekka Klein legt hier eine überarbeitete und erweiterte Fassung ihrer Habilitationsschrift vor. Teile des Textes gehen auf andernorts publizierte Vorarbeiten zurück. Das Buch will einen Beitrag leisten zur aktuellen »Debatte über einen Abschied oder eine Transformation des politischen Konzepts der Souveränität« (1). K. nimmt Souveränität nicht als theologisch-metaphysisches Erbe der säkularen Moderne in den Blick. Souveränität gilt ihr vielmehr als »imaginäres Produkt der politischen Einbildungskraft« (2). Das bedroh liche Potenzial dieses Produkts liegt »in der Ideologisierbarkeit der politischen Imagination« (5). Dass K. diesen Zugriff wählt, ist durchaus geschickt: Einerseits kann sie so die christlich-theologische Tradition vom Verdacht entlasten, für totalitäre Eskalationen der Souveränität verantwortlich zu sein, andererseits eröffnet sie sich die Möglichkeit, die christliche Theologie in einer ideologiekritischen Variante neu ins politische Spiel zu bringen. Und gerade darauf ist K. zuletzt aus: Sie will das Souveränitätskonzept nicht überwinden, sondern theologische »Wege zu einer ideologiekritischen Depotenzierung der Souveränitätsfigur aufzeigen«. Es geht ihr also nicht um »Ausstieg«, sondern um theologische »Arbeit am Politisch-Imaginären« (5).
K. selbst leistet diese Arbeit im Rückgriff auf die Souveränitätskritiken bei Claude Lefort, Slavoj ?i?ek und Karl Barth. Hier wird die Produktion politischer Imaginationen nicht »durch die Bildlosigkeit der Vernunft« überwunden. Die Produktion wird lediglich neu orientiert. Lefort, ?i?ek und Barth versuchen, »an der Figur der Souveränität imaginativ weiterzuarbeiten, indem sie diese ideologiekritisch analysieren, entschärfen, ihre Wirksamkeit subversiv durchbrechen oder sie durch emanzipatorische Souveränitätsfiguren umbesetzen« (16). Dabei greifen sie je unterschiedlich auf Potenziale der Theologie zurück. Diese Potenziale will K. freilegen und damit an der Vorbereitung einer »zukünftigen Theologie depotenzierter Souveränität« (272) mitwirken.
Das Buch zerfällt in zwei große Hauptteile, in denen K. zunächst »Radikal-Politische Lektüren der Souveränität« bei Lefort und ?i?ek (17–178), dann »Radikal-Theologische Lektüren der Souveränität« bei Barth (179–272) rekonstruktiv sichtet. Das angefügte Literaturverzeichnis (287–302) zeugt von informiertem Anhalt im Diskurs, Namen- (303–304) und Sachregister (305–307) erleichtern den Zugang zu wesentlichen Gehalten. Im Ergebnis fordert K., eine »ideologiekritische Intervention gegen die herrschende Ideolo-gie der Souveränität« habe »einerseits der Unausweichlichkeit der menschlichen Einbildungskraft Rechnung zu tragen«, müsse aber »andererseits deren ideologische Auswüchse zu begrenzen und zu durchbrechen« versuchen (282). Lefort, ?i?ek und Barth scheint dies zu gelingen, indem sie – religionsphilosophisch oder theologisch gegründet – »den politischen Ideologien der Souveränität einen anderen Ort oder ein neues Subjekt der Souveränität oder ein hu?maneres Modell der Macht entgegensetzen« (282). Hier muss kom?mende, ideologiekritische Theologie ansetzen – nicht, indem sie ein neues »Forschungsprogramm einer ›Politischen Theologie‹« aufsetzt, sondern indem sie die »ideologiekritische Fragestellung im Sinne der neueren politischen Philosophie aus Frankreich« (284) aufgreift und diese theologisch zu bearbeiten beginnt.
Mit ihrer Habilitationsschrift bestätigt K. erneut ihren Seltenheitswert in der deutschen Theologie: Sie verfügt über eine trennscharfe theologische und philosophische Zweisprachigkeit. Ihr Zugang zur (linken) französischen (und italienischen) politischen Philosophie erlaubt ihr ein »radikal unkonventionelles Denken« (VIII), das ihr hinter die Fassade des säkularen politischen Projekts der Moderne zu blicken hilft. Es gelingt ihr, sich den gerade in Deutschland so dominanten Allgemeinheiten des Guten zu entziehen. Dabei ist sie offenbar getragen von einem existenziellen Mo?tiv: von dem Wunsch, »inmitten eines nicht-souveränen Le?bens« Wege zu finden, »souverän zu widerstehen und das unmöglich Geglaubte wirklich werden zu lassen« (VIII). K.s »Depotenzierung der Souveränität« macht Hoffnung auf mehr, auf den Mut zu radikalem Weiterdenken, der nicht durch die Rücksichtnahme auf eine mögliche Berufbarkeit gedämpft wird.
Beherzt nähert sich K. einem nervösen Zentrum des Denkens, das in der Krise der Moderne und ihrer Politik rücksichtslos angetastet werden muss. K. nähert sich einer Neubestimmung des Verhältnisses von Imaginärem und Politik, oder fundamentaler: einer Neubestimmung des Verhältnisses von Interpretation und Macht. In postsäkularer Zeit muss hier Neuland betreten werden. K. sucht dieses Neuland im Anschluss an Lefort, ?i?ek und Barth. Ob diese Auswahl tatsächlich geeignet ist und ob K.s kritisch-heuristische Rekonstruktionen durchweg überzeugen können, ist letztlich un?erheblich. Entscheidend ist, dass sie informiert und selbständig dazu beiträgt, einen Übergang zu schaffen in ein Jenseits der Moderne und ihrer Politik. Dabei folgt sie der Intuition, dass sich dieses Jenseits nicht etwa in einer vollständigen Überwindung der Theologie finden lässt. Im Gegenteil: Es bedarf einer radikalen Er?neuerung der Theologie, einer Neuinterpretation und eines veränderten, auch wieder politischen Gebrauchs von Theologie.
Für die andrängende Erneuerung der Theologie fehlt K. allerdings (noch) der letzte Mut. Oder anders: Ihr Zugriff in »Depotenzierung der Souveränität« verhindert die Radikalität, die notwendig wäre. Mit dem französischen (und italienischen) Denken bleibt K. in ihrem emanzipatorisch-theologischen Bemühen zu sehr fixiert auf das Politische. Das ist zu kurz gesprungen. Jenseits der Moderne ist mehr vonnöten. Notwendig ist eine Theologie der Emanzipation vom Weltwirklichen überhaupt. Diese Theologie wird allerdings zurücklassen müssen, was K. noch zu retten versucht: die Imaginationen, die Bilder, die Repräsentationen. Bloße Umbesetzungen und Schwächungen werden nicht ausreichen. Kommende radikale Theologie wird jenseits der Repräsentationen neu ansetzen müssen, also auch jenseits der traditionellen christlichen Theologie.
Christliche Theologie muss überholt werden durch eine radikal nach-repräsentative Theologie. In der französischen und italienischen politischen Philosophie der vergangenen drei Jahrzehnte werden dazu erste Vorbereitungen getroffen, vor allem durch vergegenwärtigende Neuaneignungen vor-christlich paulinischen Denkens. Neu sind hier allerdings weniger ereignispositivistische Interpretationen, wie sie von Alain Badiou und seinem eigenwilligen Schüler Slavoj ?i?ek in struktureller Analogie zur dialektischen Theologie Karl Barths vorgelegt werden. Deutlich näher an dem, was notwendig gewesen sein wird, ist der dekonstruktive Messianismus jüdisch imprägnierten politischen Denkens nach Auschwitz. Jacques Derridas Messianismus ohne Messias, insbesondere aber Giorgio Agambens paulinische Theologie des als ob nicht öffnen den Zugang zu einer radikal transformierten Wirklichkeitsinterpretation. Vorformen dieser Interpretation lassen sich in Dietrich Bonhoeffers Erkundungen eines religionslosen Christentums entdecken.
Was jenseits von Derrida und Agamben nun ansteht, ist ihre auferstehungstheologische Aufklärung. Damit wäre die alte, repräsentative Souveränität nicht bloß depotenziert. Sie ließe sich in einer neuen, nach-repräsentativen Souveränität überwinden. Und gerade darauf scheint K.s Denken hinauszuwollen: auf eine entmachtend-mächtige Souveränität im Weltwirklichen für das Weltwirkliche.