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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

132–134

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Friesen, Hans, u. Markus Wolf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ökonomische Moral oder moralische Ökonomie?Positionen zu den Grundlagen der Wirtschaftsethik.

Verlag:

Freiburg: Verlag Karl Alber 2014. 239 S. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-495-48635-1.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Der hier vorgelegte Sammelband geht überwiegend auf Vorträge zurück, die im Rahmen der Ringvorlesung »Moral und Kapital« im Wintersemester 2010/11 an der BTU Cottbus gehalten wurden.
Nach der Einleitung von Markus Wolf (9 ff.) folgt der Beitrag von Ingo Pies, nach dem sich der »wirtschaftsethische Imperativ« als »Denkfehler vermeiden!« formulieren lasse (16). Damit betont er zweifellos zu Recht die hohe Bedeutung der Vernunft in der wirtschaftsethischen Reflexion. Auf den Beitrag christlicher Ethik hierzu geht er jedoch kaum ein. Ebenso wenig auf den Einfluss christlicher Nächstenliebe in dem folgenden Abschnitt über den »Trend zu räumlicher und zeitlicher Inklusion aller Menschen« (24) und der Tendenz »zugunsten der Verletzlichen, Armen und Schwachen, Hilfsbedürftigen und in Not Geratenen« (25). Ein wichtiger, von ihm als »Personalistischer Fehlschluss« bezeichneter Denkfehler mag sodann besonders im Rahmen beruflichen Ausbildung von Bedeutung sein: Denn er kritisiert zu Recht, dass vielfach, statt »das Ergebnis auf die Anreizwirkungen des Sozialkapitals zurückzu-führen«, ein Fehlschluss »auf die Präferenzen bzw. auf das Humankapital« erfolge (29). Damit wendet er sich berechtigt gegen die »verbreitete Tendenz, wirtschaftliche Erfolge den besonderen Eigenschaften von Führungspersonen zuzuschreiben« (30), eine Tendenz, gegen die in der christlichen Tradition immer die Wirkung des »Segens« in Erinnerung gehalten wurde. Nach der Diagnose eines »moralistischen« und eines »normativistischen Fehlschlusses« schließt er seinen Beitrag mit einer berechtigten Warnung vor »verkantetem« Denken, d. h. unqualifiziertem Bezug auf Kant (46 f.).
Michael S. Aßländer wendet sich in seinem Beitrag der Beziehung von Corporate Social Reponsibility (CSR) und der ISO 26.000 zu (51 ff.). Angesichts der dabei unterstellten Freiwilligkeit der Verantwortungsübernahme moniert er jedoch sofort, dass man entweder für das eigene Handeln und dessen Folgen verantwortlich sei oder nicht (51.70). Konkret fällt dann hinsichtlich des Verantwortungsbegriffs auf, dass Aßländer als Verantwortungsinstanz zwar Gerichte, Standesorganisationen oder das Gewissen anspricht, nicht jedoch Gott (54) – und das trotz der immer noch bestehenden Präambel des Grundgesetzes. Bezüglich der CSR streicht er sodann zu Recht heraus, dass im Gegensatz zu angloamerikanischen Verhältnissen vieles bereits »in der deutschen Tradition der Sozialen Marktwirtschaft« diskutiert worden sei (60) als bleibende Differenz zur angloamerikanischen Diskussion (62). Ferner erläutert Aßländer im Blick auf die ISO 26.000 ihre »sieben Grundprinzipien sozialer Verantwortung«, wobei es sich allerdings meist um Verhaltensstandards handele, wie sie bereits in zahlreichen internationalen Grundsatzdokumenten festgehalten würden. Jedoch gehe die ISO 26.000 in den Details weit über die bisherigen Standards hinaus (80). Am Ende bleibt trotzdem Aßländers berechtigter Einwand, inwieweit es überhaupt möglich sein kann, »Verantwortung zu normieren« (80).
Karsten Berr und Hans Friesen beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit dem Thema »Monistische Wirtschaftsethik und pluralis?tische Ethik« (87 ff.) und plädieren am Ende für ein Offenhalten der Situation. Denn sie sähen es als einen Fehler mit möglicherweise schwerwiegenden Konsequenzen an, wenn der Gegensatz von Theorie-Monismus und Theorien-Pluralismus »zugunsten einer der beiden Seiten entschieden oder der Gegensatz wie auch immer aufgelöst werden würde« (126).
Sodann will Thomas S. Hoffmann in seinem Beitrag »Lebenswelt– Ethos – Ökonomie« zeigen, dass »ein Rekurs auf die Wirtschaftsethik als Nothelferin aus allerlei Misshelligkeiten alleine entschieden zu kurz« greife (135 f.). Er wendet sich berechtigt ge?gen ein Verständnis der Ökonomik als »politische Leitwissenschaft in nachmetaphysischen Zeiten« (139). Vielmehr sei sie auf andere Sinnhorizonte zu beziehen bzw. mit diesen erst zu vermitteln und nicht zuletzt durch sie zu beschränken (141 f.). Darum fordert er eine Eindämmung des »Ökonomismus«. Denn es seien nun einmal die unterschiedlichen Sinnhorizonte menschlicher Existenz wie etwa Recht, Moral, Religion, Kunst und Wissenschaft »ökonomisch nicht verrechenbar«, sondern hätten sich insbesondere auf dem Wege philosophischer Reflexion »mit dem eigenen Sinnhorizont des Ökonomischen ins Verhältnis zu setzen« (150), was aber genauso für die theologische Reflexion gelten dürfte.
In ihrem Beitrag »Zum normativen Fundament der Finanzökonomik« beschäftigen sich Andreas Georg Scherer und Emilio Marti mit »Wissenschaftstheoretischen Überlegungen zum Verständnis von finanzökonomischen Theorien und ihren Implikationen für die Verantwortung von Finanzökonominnen und Finanzökonomen« (152 ff.). Sie stellen sich dabei der Kritik, dass die »Finanzökonomik nutzlose oder sogar schädliche Theorien« hervorgebracht habe (152). Angesichts der begrifflichen Unklarheiten gehen sie daran, Erkenntnisinteressen und philosophische Grundannahmen verschiedener finanzökonomischer Theorien zu analysieren (152), und votieren für eine »Konstruktivistische Finanzökonomik« (172 ff.). Hinsichtlich der Verantwortung in der Finanzökonomik monieren sie etwa die unkritische Übernahme der »Effizienzmarkthypothese« (184). Dabei wäre verantwortlich gewesen zu reflektieren, welche Probleme am Ausgangspunkt der Theoriebildung stünden und dass »bei unterschiedlichen Problemen unterschiedliche Theorien erforderlich sein« könnten, um dadurch letztlich »einen Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft (zu) leisten« (187).
Anschließend sucht Andreas Suchanek in seinem Beitrag nach einer »Alltagstauglichen Unternehmensethik« (192 ff.), da oft Unternehmensethik wegen Trivialität (192), Gehaltlosigkeit (193) oder mangelnder Umsetzbarkeit im Alltag nahezu keine Bedeutung habe (193). Dagegen hält er letztlich die Goldene Regel (201) für hilfreich und führt als Beispiele gelebter »Unternehmensverantwortung« im Rahmen alltagstauglicher Ethik u. a. eine »Lieferkette mit ökologischen Standards« (206) oder die »Unterstützung von Zulieferern bei einer Etablierung besserer Standards« (206) an. Aus christlicher Perspektive ist dazu jedoch zu fragen, ob solche Erwartungen an die Goldene Regel angesichts der Sündhaftigkeit der Welt nicht zu idealistisch sein könnten.
Unter dem metaphorischen Titel »Dreifelderwirtschaft« widmet sich sodann Klaus Kornwachs der »Neuen Bewirtschaftung von Geld, Vertrauen und Wissen« (211 ff.). Dazu erläutert er zunächst den Begriff des »Wissens« im Zeitalter der neuen Informations-systeme (216), und erläutert erhellend im nächsten Abschnitt mit dem Titel »Ohne Vertrauen läuft nichts« (222) – wobei es aus theologischer Sicht spannend würde, wenn man statt »Vertrauen« den Terminus »Glauben« bemühte –, dass ohne einen gewissen Vertrauensvorschuss »keine Beziehung, keine Gemeinschaft, kein ge?sellschaftlicher Teilbereich« funktionieren würde (22 2 f.). Zum Be?griff des Geldes beklagt er u. a. die Abkopplung der Geldwirtschaft von der Realwirtschaft (227) sowie den »Verlust der Transparenz an Proprietät bei Daten-, Geld- und Informationsströmen«, was zum Verlust des Vertrauens führe (230). Darum fordert er zu Recht auf, die »Kapitalien Wissen, Vertrauen und Geld« neu zu »bewirtschaften« (231), und verweist etwa auf das »Bild des ehrbaren Kaufmanns, auf den man sich verlassen kann«. Das zeige, dass es einer Gemeinschaft besser gehe, wenn sie auf Vertrauen aufgebaut sei (232). Un? verantwortlich sei dagegen die ungefragte Hinnahme der Macht computergetriebener Finanzsysteme und ihre unbeherrschbare Komplexität (233 f.).
Insgesamt geben diese nachdenklichen Beiträge hilfreiche wirtschaftsethische Impulse, wenn auch aufgrund des leitenden philosophischen Ansatzes aus theologischer Sicht der eine oder andere blinde Fleck auftaucht. Dennoch kann die Lektüre nur empfohlen werden.