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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

39–42

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lange, Melanie, u. Martin Rösel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der übersetzte Gott.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. 189 S. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-374-04155-8.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Im Vorfeld des Reformationsjubiläums 2017 rückt eine Übersetzungsleistung in den Blick, ohne die der Erfolg jenes denkwürdigen Wittenberger Aufbruchs kaum vorstellbar wäre: die Lutherbibel. An der Revision dieser epochalen Übersetzung, die im September 2016 erschienen ist, sind die Herausgeber des vorliegenden Bandes intensiv beteiligt gewesen. Die Lutherbibel bleibt darin freilich ganz im Hintergrund. Denn das Abenteuer des Übersetzens greift weit über den Umgang mit Texten hinaus und betrifft den Lebensvollzug von Religion überhaupt. Religionen, die über lange Zeiträume mit Überlieferungen umgehen, sind darauf angewiesen, deren Inhalte immer wieder zu adaptieren, zu transformieren und zu aktualisieren – kurz: zu übersetzen.
»Übersetzung bedeutet in diesem Zusammenhang keineswegs nur die Übertragung von einer Sprache in eine andere. Auch Inhalt, Form und die Orientierung an den Adressaten spielen eine bedeutende Rolle bei der Übersetzung von Religion/en.« (5)
Diesem weiten Horizont sind die hier versammelten neun Beiträge verpflichtet, die auf ein Rostocker Symposium der dortigen »Interdisziplinären Fakultät« und ihres Forschungsschwerpunktes »Übersetzen« im Oktober 2014 zurückgehen. Sie spannen den Bogen von der Welt hellenistischer Religiosität bis hin zum interreligiösen Diskurs der Gegenwart. Dass die Auswahl der Themen dabei exemplarischen Charakter hat, versteht sich von selbst. Hier geht es nicht um einen systematischen Entwurf, sondern um die Beschreibung von Facetten eines großen Themas, das die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Religion in ihrem Kern be?rührt.
Anke Ilona Blöbaum, »Der übersetzte Gott? Transfer von theologischen Konzepten zur Legitimierung von Fremdherrschaft im pharaonischen Ägypten«, nimmt den Zeitraum zwischen 8. und 3. Jh. v. Chr. in den Blick. Aus verschiedenen Epochen von Fremdherrschaft (etwa der kuschitischen, makedonischen oder persischen) greift sie vor allem das Beispiel des Dareios I. auf, dessen in Susa gefundene Statue nicht nur ägyptischen Ursprung, sondern auch alle Kennzeichen einer Adaption ägyptischer Herrschaftstitulatur erkennen lässt.
Die Inschriften sind in mehreren Sprachen verfasst und erweisen sich als Ausdruck bewusster Redaktionsprozesse. Dareios I., der sich für die Sicherung seiner Herrschaft die administrativen und religiösen Strukturen Ägyptens zunutze macht, verfügte offensichtlich über Spezialisten, »die nicht nur in der Lage waren, von einer Sprache in die andere zu übersetzen, sondern auf höchstem Niveau interkulturelle Transferleistungen zu erbringen und sowohl kulturelle als auch theologische Konzepte und Prinzipien zu adaptieren, zu transformieren und miteinander zu verbinden.« (32)
Stefan Pfeiffer, »Interpretatio Graeca. Der ›übersetzte Gott‹ in der multikulturellen Gesellschaft des hellenistischen Ägypten«, untersucht das bekannte Phänomen, Gottheiten verschiedener Religionen miteinander zu identifizieren, an einem besonders aufschlussreichen und kontroversen Beispiel: Wie gingen Griechen in dieser Hinsicht gerade mit den Tierkulten Ägyptens um?
Der Befund erweist sich als ambivalent. Einerseits tragen auch Griechen keine Bedenken, in verschiedenen ägyptischen Tierkulten ihre eigenen Kulte wiederzufinden. Andererseits empfinden sie die Verehrung von Tiergottheiten auch weiterhin als fremdartig. Da, wo auf politischer Ebene Ägypten zum Gegner wird, fungiert die Polemik gegen die theriomorphen Gottesvorstellungen der Ägypter als Propagandamittel. In Friedenszeiten indessen bleibt es bei einer erstaunlich unkomplizierten Bereitschaft, sich die ägyptische Götterwelt auf griechischer oder römischer Seite zu eigen zu machen.
Martin Rösel, »›Du sollst die Götter nicht schmähen!‹ (LXX Ex 22, 28[27]). Die Übersetzung Gottes und der Götter in der Septuaginta«, beschreibt den für die Bibelwissenschaften klassischen Fall der griechischen Übersetzung des hebräischen »Alten Testamentes«.
Hier stehen die Übersetzer vor einer doppelten Aufgabe. Einerseits sind sie bemüht, den einen Gott Israels durch neue Epitheta zu universalisieren und damit seine Zuständigkeit für Welt und Menschheit deutlich zu machen. Andererseits bringen sie ihre Abgrenzung gegenüber einer polytheistischen Umwelt dadurch zum Ausdruck, dass sie fremde Gottheiten sprachlich herabwürdigen – trotz aller grundsätzlichen Toleranz, wie sie in Ex 22,28 anklingt. Die Vorstellung von dem einen Gott aber wird gerade durch die griechische Übersetzung auf verstehbare und eindrückliche Weise vermittelt und bereitet schließlich auch der christlichen Mission den Boden. »Insofern hat die LXX wie jede gute Übersetzung neue Horizonte geöffnet.« (66)
Michael Altripp, »›Der übersetzte Gott‹. Anmerkungen zum Einfluss synodaler Beschlüsse auf die Bildkunst im Allgemeinen und die Darstellung Gottes im Besonderen in Spätantike und Mittelalter«, führt den diffizilen Bereich ikonographischer Traditionen vor Augen.
Hier geht es vor allem um die Übersetzung christlicher Gottesvorstellungen in ein anderes Medium – das des Bildes. Die Schwierigkeiten, die sich dabei ergeben, verdeutlicht Altripp an fünf folgenreichen Synodalbeschlüssen: der Bezeichnung Marias als »Theotokos« (Ephesus 431), der Einfügung des »filioque« in das Credo (Toledo 589), dem Verbot einer Darstellung Christi als »Lamm« (Konstantinopel 691/692), der Beendigung des Bilderstreites (Konstantinopel 787) sowie der Zustimmung zur Lehre des Gregorios Palamas vom »Tabor-Licht« (Konstantinopel 1351). Den Abschluss bildet die Symbolisierung der abstrakten »Dreifaltigkeit« durch das Motiv der Philoxenia, wie es in der Vätertheologie vorbereitet, von Andrej Rubljow eindrücklich gestaltet und von der »Hundertkapitelsynode« (Moskau 1551) letztlich sanktioniert worden ist.
Melanie Lange, »›Wir waren Lehrer, bevor wir Schüler waren‹. Das Ringen um die hebräische Sprache in Sebastian Münsters Übersetzung des ›Sefer ha-Bachur‹ Elia Levitas«, blättert ein bedeutsames Kapitel christlicher Hebraistik auf. Im Mittelpunkt steht dabei das grammatische Lehrwerk des jüdischen Gelehrten Elia Levita, das von dem christlichen Hebraisten Sebastian Münster 1525 ins Lateinische übersetzt wurde.
Dieses Werk leitet nicht nur zur Übersetzung des Hebräischen an, sondern ist selbst schon lebendiger Ausdruck jener Problematik, die es behandelt. Es belegt auf anschauliche Weise jenes »Wechselspiel von Religion und Sprache, von Sprache und Religion«, das für die Entstehung der christlichen Hebraistik charakteristisch ist.
Rafael Arnold, »Aus eins mach drei. Die Pessach-Haggada (Venedig, 1609) in Ladino, Italienisch und Jiddisch«, präsentiert ein Beispiel, bei dem die Übersetzungen zwar innerhalb der jüdischen Religion verbleiben, dennoch aber unterschiedlichen Methoden folgen. Dabei ist auch der jeweilige Textcharakter ausschlaggebend: Der Bibeltext wird sehr viel genauer übersetzt als Texte mit liturgischen Anweisungen oder mit Erläuterungen der Holzschnitte.
Die Spannweite reicht von extremer Texttreue über Paraphrasen bis hin zu freien Neuformulierungen des dargestellten oder vorgegebenen Sachverhaltes. Vor allem aber spiegelt sich in dieser dreisprachigen Ausgabe der rege Kulturaustausch wider, wie er in der Gemeinde von Venedig zu Beginn des 17. Jh.s gerade eine geschichtliche Blütezeit erlebte.
Albrecht Buschmann, »Die ›Nachreife auch der festgelegten Worte‹. Konzepte des Religiösen in Walter Benjamins ›Die Aufgabe des Übersetzers‹«, referiert und analysiert mit Benjamins Essay (1923) den »vermutlich meistzitierten modernen Text zum Übersetzen« (134).
Erwachsen aus der praktischen Übersetzungstätigkeit, zeigt der Aufsatz freilich kaum Interesse daran, solche Erfahrungen auch in Form einer Handreichung oder methodischer Anleitungen weiterzugeben, und bewegt sich im Prinzipiellen. Dabei ist ihm vor allem an der strukturellen Entsprechung gelegen: »nicht die Ähnlichkeit der Oberfläche wäre demnach anzustreben, sondern die Nachbildung der sprachlichen Zusammenfügung« (138). Dass sich ein Werk durch die Übersetzung ändert, sichert ihm zugleich sein Überleben. »Das Original ist kein statischer Ausgangstext, wie ihn die Translatologie annimmt, sondern ein des Weiterschreibens bedürftiger Text …« (145). Sprache aber ist zugleich »das einzige Medium, mit dem das Transzendente in der menschlichen Existenz erfasst werden kann«.
Martina Kumlehn, »Religionspädagogik im konfessionslosen Kontext. Eine Kunst im Spannungsfeld von hermeneutischer Übersetzung und Transformation«, spielt den kulturwissenschaftlich bestimmten Übersetzungsbegriff durch im Blick auf die Herausforderungen der gegenwärtigen Religionspädagogik.
»Was tritt für Menschen, die den Deutungshorizont der Gottesvokabel nicht mehr teilen, an deren Stelle, um die Fragen, für die die Gottesbeziehung in religiöser Rede und in der Rede über Religion steht und die als exis?tenzielle vorausgesetzt sind, nämlich der Umgang mit der eigenen Vergänglichkeit, der Umgang mit Glück und Schuld usw., zu bearbeiten?« (161)
Klaus Hock, »Hegemonialität, Vernakularität, Transkulturation. Zur His?torisierung der Übersetzung von Religionen«, packt das Thema des Bandes noch einmal bei der Wurzel an.
Er setzt ein mit einem kurzen Überblick über verschiedene Modelle, die die Begegnung von Religionen im Kontext verschiedener Kulturkontakte zu kategorisieren versuchen. Im Blick auf die Situation in Afrika entfaltet er sodann die im Titel genannten Stichworte: unter Hegemonialität lässt sich dabei das Problem traditioneller Bibelübersetzung erfassen; unter Vernakularität tritt der Ansatz bei einer afrikanischen Theologie in den Blick; unter Transkulturation wird der Prozess wechselseitiger Übersetzungsprozesse beschrieben. Die abschließende Perspektive aber richtet sich auf die Übersetzung von Religion »durch Aushandlungsprozesse im Raum (deutungs)mächtiger Diskurse« (181). Deren Ausrichtung verschiebt sich zunehmend »weg vom Vorgang des Übersetzens hin zu Rolle und Bedeutung der Übersetzenden selbst« (183). »Damit träte die Kommunikation zwischen den Übersetzenden ins Zentrum des Interesses an Übersetzung.« (184)
Für alle, die mit der Lust und der Mühsal von Übersetzungsaufgaben konfrontiert sind, öffnet dieser Band einen denkbar weiten Horizont. Übersetzung kommt hier vor allem als ein Phänomen von Transformationsprozessen in den Blick, das über jede philologische Kleinarbeit hinaus die Dynamik von Kultur- und Religionskontakten zum Gegenstand hat. Ohne die Wahrnehmung dieses weiten Horizontes würde sich auch die konkrete Textarbeit (etwa an der Lutherbibel) kaum ihrer methodischen Probleme in angemessener Weise bewusst – zum eigenen Nachteil. Dafür ist den Autorinnen und Autoren dieses Bandes zu danken!