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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

35–36

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Collins, John J.

Titel/Untertitel:

Apocalypse, Prophecy, and Pseudepigraphy. On Jewish Apocalyptic Literature.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2015. 399 S. Kart. US$ 34,00. ISBN 978-0-8028-7285-2.

Rezensent:

Florian Förg

Bei dem 2015 erschienenen Band handelt es sich um eine Sammlung von früher veröffentlichten Aufsätzen John J. Collins’ aus den Jahren 1998–2014.
In »The Genre Apocalyptic Reconsidered« definiert C. Apokalyptik als Genre. Apokalyptik sei »revelatory literature with a narra-tive framework, in which a revelation is mediated by an otherworldly being to a human recipient, disclosing a transcendent re-ality which is both temporal, insofar as it envisages eschatological salvation, and spatial insofar it involves another, supernatural world« (4 f.). Die Festlegung formaler und inhaltlicher Kriterien kann eine Unschärfe am Rand des Genres aber nicht vermeiden (20).
»The Eschatology of Zechariah« eröffnet den ersten Abschnitt (I. Apocalypse and Prophecy) – Die Kronen in Sach 6,11 sind für Jeshua und Serubbabel gedacht. Der »Spross« aus Sach 6,12 ist Serubbabel, nicht eine zukünftige Gestalt. Da Serubbabel aus unbekannten Gründen nie gekrönt wurde, rechnet C. mit einer Tilgung seiner Krönung aus dem Text. Da für Sach die Erfüllung der Ge?schichte unmittelbar bevorstand, ist seine Zukunftser-wartung rein innerweltlich, nicht apokalyptisch.
»The Beginning of the End of the World in the Hebrew Bible«: Die in Jes 24–27 (exilische oder persische Zeit) beschriebene Zerstörung der Welt mit Babylon als Zentrum sei Durchgangsphase zu ihrer Neuschöpfung. Zudem liege hyperbolische Sprache vor, um die Neuschöpfung (Zentrum Jerusalem) hervorzuheben. Jes 26,13–15.19 beziehen sich auf die Erneuerung Judas nach dem Exil, nicht auf eine Auferstehung der Toten.
»Apocalypticism and the Transformation of Prophecy in the Second Temple Period«: Seltene direkte Rede, häufige Berichte von Himmelsreisen, größeres Interesse an Kosmologie (weisheitlicher Einfluss, 58), an Metahistorie sowie Periodisierung des Geschichtslaufes (61 f.) und der häufige auslegende Rückgriff auf frühere prophetische Worte (63) machen die Apokalyptik gegenüber der klassischen Prophetie zu einem Novum (69).
Als Fazit der ersten Studie im zweiten Buchteil (II. Variations on a Genre) »Enochic Judaism: An Assessment« betont C., dass es viele Traditionsströme waren, die auf die Qumran-Gemeinschaft eingewirkt haben, einer unter ihnen die Henoch-Literatur (neben Weisheit, Daniel und der Mose-Tora). Es sei eine Vereinfachung anzunehmen, die Siedler von Qumran seien allein von der Henoch-Literatur geprägt worden (82, so Boccaccini).
»The Genre of the Book of Jubilees«: Das Jubiläenbuch habe sich vor allem an der Henochliteratur orientiert, besonders an 1Hen 6–11. Übernatürliche Mächte als Mittler, Erwartung einer endgültigen Strafe sowie einer neuen Schöpfung sind apokalyptische Elemente in Jub. Sie wurden mit dem deuteronomistischen Geschichtsbild und seiner Betonung von Tora-Observanz verbunden.
»The Sybil and the Apocalypses«: Die sibyllinischen Orakel wurden nicht am Vorbild der Apokalypsen herausgebildet. Dem ältesten Kern (3,97–349 und 489–829; Mitte 2. Jh. v. Chr.) fehlen spezifisch apokalyptische Kennzeichen wie apokalyptische Eschatologie, Zerstörung der Welt, Auferstehung der Toten sowie Geschichtssystematik. Die Verfasser der Sib waren mit griechischen und persischen (Sib 1–2 und 4) Quellen ebenso vertraut wie mit biblischen und außerbiblischen Quellen (vgl. 1Hen 6–11 mit Sib 1,87–103).
»Gabriel and David: Some Reflections on an Enigmatic Text«: Es liege nur ein sehr unvollständiger Text vor, der ein Zeuge sei für die Bedeutung des davidischen Messias (jedoch nicht eines leidenden und sterbenden) um die Zeitenwende.
»The Idea of Election in 4 Ezra«: Im Dialog zwischen Esra und Uriel mani-festieren sich Spannungen in der jüdischen Weisheits-Tradition ab dem 2. Jh. v. Chr.: Esra betont Gottes Erwählung und den Bund mit Israel. Uriel vertritt Gottes Gericht am Einzelnen nach dem Tod. Als Lösung wird nur ein Rest des erwählten Volkes gerettet.
»Jerusalem and the Temple in Jewish Apocalyptic Literature of the Second Temple Period« lautet der erste Beitrag im dritten Teil des Buches (III. Themes in Apocalyptic Literature): Als Reaktion auf drei große Krisen (Tempelzer-störung 586 v. Chr., makkabäische Krise um 167 v. Chr., Zerstörung des Tempels 70 n. Chr.) haben die apokalyptischen Visionäre entweder einen idealen Tem-pel in der Zukunft erwartet oder sich auf den transzendenten Tempel konzentriert.
»Journeys to the World Beyond in Ancient Judaism«: Alle Reiche, mit denen die Juden in Kontakt kamen, kannten Visionäre, die in den Himmel aufstiegen, und C. rechnet mit vielfältigen Einflüssen auf die frühjüdische Apokalyptik (196 f.). Die Berichte stützen die Autorität der Visionäre, erst ab den Henoch-Büchern zeigt sich ein Interesse am Leben nach dem Tod.
»The Afterlife in Apocalyptic Literature«: Der Glaube an ein Gericht nach dem Tod dient dazu, die Gerechtigkeit Gottes aufrechtzuerhalten: Die leidenden Gerechten erhalten ihren Lohn nach diesem Leben. Solche Ideen waren in Ägypten und in Griechenland bekannt, neu ist aber in Israel die Erwartung eines Endes der Welt verbunden mit einer Auferstehung der Toten (persischer Einfluss).
Mit »Pseudepigraphy and Group Formation in Second Temple Judaism« beginnt der vierte Teil der Aufsatzsammlung (IV. Pseudepigraphy). Pseudepigraphie hat auch den Zweck, das Entstehen einer Gruppe von Auserwählten zu legitimieren. Insgesamt ergibt sich das Bild von verschiedenen Gruppierungen in der makkabäischen Zeit mit teils überlappenden, teils entgegengesetzten Ansichten.
»Enoch and Ezra«: In der Wahl Henochs als Pseudonym zeigt sich die Sehnsucht nach einer geordneten Welt, die Erwartung auf einen Einbruch der Transzendenz in das Diesseits und die Hoffnung, am Ende des Lebens von Gott aufgenommen zu werden. Esra wird in der Zeit des Zusammenbruchs zum Modell, eine Glaubenskrise durch Hinwendung zur apokalyptischen Theologie zu überwinden (248–249).
»Sibylline Discourse«: Die halb göttliche, halb menschliche Prophetin Sibylle war eine bedeutende Stimme in der hellenistischen Welt. Jüdische Autoren benutzten das Genre ihrer Orakel, um sich Beachtung zu sichern, und ahmten die literarische Form der Orakel nach. Neu sind in den Sib (ab 2. Jh. v. Chr.) jedoch Geschichtsüberblicke (Sib 4 und 1–2) und scharfe Zurückweisungen heidnischer Sitten (vor allem in Sib 5; 3,350 ff.).
»Ethos and Identity in Jewish Apokalyptic Literature« leitet den letzten Teil des Werkes ein (V. Ethics and Politics): Apokalypsen offenbaren eine geordnete, transzendente Welt über der sichtbaren und relativieren so die Werte der sichtbaren Welt. Die neue Offenbarung überbietet die Tora-Offenbarung. Nach der makkabäischen Zeit gewann die Tora an Bedeutung für apokalyptische Literatur (Jub). Die Suche nach höherer Offenbarung zeigt sich auch in Qumran, wird dort aber vom Lehrer der Gerechtigkeit durch Interpretation der Schriften vermittelt.
»Apocalypse and Empire«: Nicht alle Apokalypsen rufen zum bewaffneten Widerstand auf (wie 1Makk). Die Lösung in der gegenwärtig bedrückenden Situation finden die Autoren in einer Hoffnung auf Erneuerung der Welt und in einem Leben jenseits dieser Welt. Besonders in den Apokalypsen aus der Zeit nach 70 n. Chr. führt das zu einem Verstummen des Widerstandes, zur Resignation.
»Cognitive Dissonance and Eschatological Violence: Fantasized Solutions to a Theological Dilemma in Second Temple Judaism«: Die These, Monotheismus fördere die Gewaltbereitschaft, kann nicht mit dem Hinweis auf die Apokalyptik begründet werden. Denn einerseits drücke sich in der Apokalyptik oft ein dualistisches Gottesbild aus und andererseits verweisen die Gerichtsvorstellungen auf Gottes eschatologisches Handeln, das menschliche Gewalt obsolet mache (Trostfunktion).
»Radical Religion and the Ethical Dilemmas of Apocalyptic Millenarianism«: Die These, dass radikale Religion nichts anderes als intolerante Hingabe an Phantasien von Gewalt sei, hat zwar einen gewissen Anhaltspunkt in antiken apokalyptischen Texten. Apokalypsen dürfen aber nicht auf eschatologische Phantasien von Gewalt z. B. in Form eines Weltunterganges reduziert werden. Vielmehr gehe es um die Hoffnung auf eine neue, gerechte Welt – in den Evangelien das Reich Gottes.
Auch wenn das letztere Thema (Reich Gottes) und die Frage nach Messiasvorstellungen – beides wichtige Themen der Apokalyptik – kaum behandelt werden, stellen die Beiträge des Buches eine überaus lesenswerte Einführung in den aktuellen Stand der Forschung dar. Die ausführliche Bibliographie sowie Autoren- und Stellen-register regen zum Weiterlesen und Weiterarbeiten an.