Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1243–1245

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Lang, Bernhard, u. Anton Grabner-Haider

Titel/Untertitel:

Was bleibt vom christlichen Glauben?Glaubenskulturen im 21. Jahrhundert.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2015. 254 S. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-78218-2.

Rezensent:

Werner Thiede

»Was bleibet aber, stiften die Dichter« – ungefähr nach dem am Ende zitierten Wort Hölderlins verfahren die beiden Autoren, emeritierte Professoren für Philosophie einerseits, für Altes Testament andererseits, mit der Frage nach dem, was vom christlichen Glauben bleibt. Sie teilen das geschichtliche und gegenwärtige Christentum in grobe Muster von »Glaubenskulturen« ein – vor allem in Kirchenchristen und Kulturchristen. Dahinter stehen die schematischen Wahrnehmungsraster einer konsequent liberalen Theologie. Wie im Vorwort erläutert wird, beziehen sich die Autoren hierbei grundlegend und weiterführend auf Wilhelm Gössmanns Werk »Kulturchristentum. Die Verquickung von Religion und Kultur in der deutschen Literaturgeschichte« (1990).
Demgemäß zerfällt ihr Werk in zwei Teile: Der katholische Alttestamentler Bernhard Lang schreibt über »Glaubensformen in modernen Gesellschaften«, der Philosoph Anton Grabner-Haider stellt anschließend »Christliche Kultur im Buch« aus Bibel und Weltliteratur vor. Aus dem Vorgehen im zweiten Teil ist zu ersehen, wie zum Teil grobschlächtig verfahren wird. Der Philosoph, der im Epilog zu erkennen gibt, dass er die Bücher Genesis und Kohelet für die schönsten (und wohl auch wichtigsten) Bücher der Bibel hält, bringt zunächst Ausführungen bzw. Einführungen zu 16 ausgewählten Schriften Alten und Neuen Testaments. Hieran schließen sich unter der Überschrift »Das Dritte Testament« lediglich acht Skizzen über Hauptwerke der christlichen Weltliteratur vom 4. bis 18. Jh. an (die letzte davon über Defoes »Robinson Crusoe«). Viel ausführlicher geht es sodann um das »Moderne Testament: Christliche Weltliteratur vom 18. bis 20. Jahrhundert«: Unter den 14 Vorgestellten findet man merkwürdigerweise auch Voltaire, Lessing, Goethe und Thomas Mann – deren Texte zur »christlichen Literatur« zu zählen, ist selbst unter rein kulturellen Gesichtspunkten mehr als gewagt! Das Schlusskapitel umreißt noch acht Texte aus dem Bereich »Religionskritik und Abschied vom Chris­tentum in der modernen Weltliteratur«, um auch auf diese Weise zu demonstrieren, »was vom Christentum bleibt«.
Was tatsächlich bleibt, ist angeblich der »Kern des Christseins, der sich in der Vielfalt christlicher Kultur spiegelt und von ihr auf vielfältige Weise getragen wird« – so schließt das Vorwort. Aber was die Autoren für den »Kern« des Christentums halten, macht besonders der erste Teil des Buches deutlich: jedenfalls nicht den kirchlichen Glauben an Jesus Christus als Gottes Sohn, da dieser sich im Blickwinkel historisch-kritischer Methoden nicht intellektuell redlich verantworten lässt. Haben die emeritierten Herren Professoren vergessen, dass es Kolleginnen und Kollegen ihrer Zunft gibt, die sehr wohl den traditionellen christlichen Glauben intellektuell redlich zu verantworten wissen?
Seit Jahrzehnten stetig schwindende Kirchenmitgliedschaft und zu beobachtende Transformationen religiöser Inhalte sowie Dekonstruktionen bisheriger Moralnormen lassen Lang nach den Schwächen des Glaubens der Kirchenchristen fragen. Ins Auge springt dabei immer wieder die geradezu aggressiv erscheinende Unterscheidung von »Reichskirche« oder »Herrschaftschristentum« einerseits und Laienchristen oder »Verantwortungschristentum« andererseits. Unbestreitbar sei die gesamte europäische Kultur aus historischer Sicht eng mit dem römischen Reichschristentum verbunden. Vor allem in der katholischen Kirche leiste die Kirchenleitung heftigen Widerstand gegen Reformbemühungen, um am Modell der Reichskirche weiterhin festzuhalten. Man habe während des Zweiten Vatikanums Papst Paul VI. gezwungen, wieder auf diesen Kurs zurückzusteuern. Auf nicht einmal einer Seite werden die »Impulse der Reformation« vorgestellt – und als partielles »Aufbrechen der monopolhaften Herrschaftsreligion« eingeordnet, um anschließend den »Lernprozessen der Aufklärung« deutlich mehr Raum zu widmen.
Die meisten Kulturchristen schätzten als Grundwerte ihres Glaubens Solidarität mit den Schwächeren, aktive Nächstenhilfe und Versöhnungsbereitschaft, wissend, dass sie von den Einrichtungen und Werken der christlichen Kultur und Kunst geprägt sind. Lernbereite unter ihnen bemühten sich um weibliche Gottesbilder, um die Akzeptanz Homosexueller, um aktive Sterbehilfe, um Abkehr von einem zu konservativen Abtreibungsrecht, um mehr Demokratie in der Kirche und um eine »deutliche Weiterentwicklung der alten Glaubenslehren«. Nicht wenige von ihnen denken Lang zufolge dabei an eine göttliche Kraft im Kosmos, mit der sie in Verbindung treten können. Das Kontrastmodell zu diesen mehr oder weniger liberal gestimmten Christen bilden für Lang die Fundamentalisten. Zu ihnen zählt er verschiedene Formen »dieses autoritären religiösen Glaubens« (wobei er offenkundig die Vertreter der liberalen Position in fragwürdiger Pauschalität als nicht- autoritär einstuft): Neben dem Bibelfundamentalismus, den er primär der protestantischen Seite zuordnet, nennt er den eher katholischen Fundamentalismus der Dogmen, den strukturellen Fundamentalismus von Reichskirche überhaupt sowie einen kulturellen Fundamentalismus. »Fundamentalisten sehen in der ganzen Bibel, in den Dogmen der Kirche und in den Strukturen der Reichskirche unverrückbare göttliche Offenbarungen. Daher se­hen sie sich nicht berechtigt, daran etwas zu verändern.« Simplifizierend wirft Lang Fundamentalisten vor, nicht sehen zu wollen, dass auch die Bibel mit allen ihren Teilen in bestimmten Zeitsituationen und von bestimmten Personen verfasst worden ist: Alle fundamentalistischen Bewegungen wehren sich »bis heute vehement gegen die historische Erforschung der Bibel«. Mit dieser Behauptung beweist der Autor, wie wenig er den Gegenstand seiner scharfen Kritik kennt.
So mangelt es dem meinungsfreudigen Buch in mancher Hinsicht an Differenzierung; den kritisierten Positionen wird es oft nur durch oberflächlich bleibende Skizzen gerecht. Zwar wird am Schluss des I. Teils ein »Leben im Dialog« gefordert, doch sonderlich dialogfreudig ist dieses Buch nicht verfasst; dafür schlägt es einen zu penetrant besserwisserischen Ton an. Ein Register am Ende des Bandes zeigt rasch, mit welcher Literatur sich die beiden Autoren beschäftigt haben – und mit welcher nicht.