Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1241–1243

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Kuropka, Joachim

Titel/Untertitel:

Galen. Wege und Irrwege der Forschung.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2015. 457 S. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-402-13153-4.

Rezensent:

Hans Galen

Das Buch ist eine Sammlung von 26 Vorträgen und Beiträgen Joachim Kuropkas für Zeitschriften und Zeitungen aus den letzten 25 Jahren zur Diskussion über Clemens August Graf von Galen. Von 1933 bis 1946 war Graf Galen Bischof von Münster; sein Episkopat deckte sich zeitlich weitgehend mit den Jahren von Hitlers Diktatur. K. lehrte von 1982 bis 2006 Neueste Geschichte an der Universität Vechta. Wie er im Vorwort zu dieser Sammlung ausführt, haben alle hier im Zweitdruck vereinigten Beiträge ein und dasselbe Thema, nämlich den Bruch in der öffentlichen Meinung von allgemeiner Bewunderung zu Kritik und Herabsetzung.
Die allgemeine Bewunderung erlebte ihren Höhepunkt 1946 bei der Erhebung des Bischofs zum Kardinal, als die Römer ihm als dem »Löwen von Münster« applaudierten. Sie währte aber noch bis in das zeitliche Vorfeld seiner Seligsprechung 2005. Seit den 1970er Jahren aber begannen Kritik und Herabsetzung zunächst von politisch links, dann aber zunehmend auch allgemein und selbst von katholischen Amtsträgern. Für den Vf. war dieser Wandel in der öffentlichen Meinung Anlass zur Suche nach der historischen Wahrheit, und zwar auf dem Wege, der seit Leopold Ranke als der einzig richtige gilt: die Suche nach den historischen Quellen und ihre Kritik. Nun stehen seit Jahrzehnten historische Quellen in großer und wachsender Zahl zur Verfügung. Erinnert sei an die zweibändige Spezialedition von Peter Löffler von 1996, an die Sammlung des Vf.s unter dem Titel »Meldungen aus Münster 1924–1944«, wobei es sich um »geheime und vertrauliche Berichte von Polizei, Gestapo und NSDAP und ihren Gliederungen, staatlicher Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wehrmacht …« handelt. Die deutsche Wiedervereinigung öffnete die Archive der ehemaligen DDR. Sehr wichtig ist auch die Öffnung der einschlägigen Archive des Vatikans 1996, und nicht zuletzt das Quellenmaterial aus privaten Beständen. Wesentlich besser als in den ersten Nachkriegsjahren lässt sich deshalb die Ge­schichte von Clemens August Graf von Galen erarbeiten. Das hat der Vf. mit sorgfältiger Quellenkritik getan. Die in diesem Sammelwerk vereinigten Beiträge bezeugen das. Exemplarisch soll im Folgenden ein Beitrag ausführlich dargestellt werden.
Exemplarisch ist die gegen Bischof Graf von Galen vorgebrachte Kritik, aber auch die kritische Untersuchung dieser Kritik. Es handelt sich um den Beitrag »Der Galen-Skandal: Eine Fälschung. Anmerkungen zum Galen-Film des Landesmedienzentrums« (215–219). Der Sachverhalt ist dieser: Das Medienzentrum des Landschaftsverbandes Westfalen in Münster hatte einen Film für den Unterricht in Schulen über Clemens August Kardinal von Galen produziert. Er sollte im zeitlichen Vorfeld der Seligsprechung des Kardinals zur Verfügung stehen. Die Uraufführung geschah vor einem geladenen Kreis, zu dem der Vf. und auch der Rezensent gehörten. Die Veranstaltung war am 9. September 2005 im sogenannten Heimathaus neben der Wallfahrtskapelle in Telgte. In der Einladung hieß es, dass der Film »auch jene Seiten der Weltanschauung (des Bischofs) in den Blick« rücke, »die uns heute befremden: seine Ablehnung der Demokratie ebenso wie die öffentliche Unterstützung des deutschen Angriffskrieges gegen Polen und die Sowjetunion«. In der mündlichen Begrüßung hieß es, es sei den Autoren darum gegangen, einen kritischen Film zu produzieren, der in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu Diskussionen Anlass geben solle. Im Vorspann des Films wurde Thomas Flammer als Berater der Autoren für historische Aspekte genannt. Herr Flammer war damals Mitarbeiter von Professor Dr. Hubert Wolf, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Die negativ gemeinte Behauptung des Films, Galen sei erst vom Domkapitel zum Bischof gewählt worden, »nachdem andere Kandidaten das Amt abgelehnt haben«, lässt dem Vf. nach außer Acht, dass die Ablehnung der beiden anderen Kandidaten wegen der politischen Situation – d. h. der Machtergreifung Hitlers – erfolgte. Graf Galen stellte sich also als Einziger der Gefahr. Es wimmelt dann weiter von Unrichtigkeiten über das Verhältnis zwischen von Galen und dem Nazi-Regime, die der Vf. in seinem Beitrag richtigstellt. Zum Skandal aber werden Film und Text bei der Darstellung des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Jahr 1941. Man sieht in einer filmischen Überblendung Galen im geistlichen Habit mit erhobener Hand neben deutscher Artillerie, die auf russische Bauernhöfe zielt, also gleichsam »Feuer frei« kommandierend. Der Text des Films bei dieser Darstellung und die glänzende Kritik des Vf.s seien hier wörtlich zitiert (218 f.):
Zum Angriff auf die Sowjetunion formuliert der Film vor dem Hintergrund von abgefeuerten Geschützen und brennenden Häusern: »Die Deutschen Bischöfe […] heißen den Angriff in einem Hirtenbrief gut. Auch Galen steht hinter diesem Hirtenbrief«. Zitiert wird dann das Folgende:
»Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler hat den Anmarsch des Bolschewismus von weitem gesichtet und sein Sinnen und Sorgen darauf gerichtet, diese ungeheure Gefahr von unserem deutschen Volk und dem gesamten Abendland abzuwehren. Die deutschen Bischöfe halten es für ihre Pflicht, das Oberhaupt des Deutschen Reiches in diesem Abwehrkampf mit allen Mitteln zu unterstützen, die ihm aus dem Heiligtum zur Verfügung stehen«.
Das also soll in einem Hirtenbrief im Sommer 1941 von den Bischöfen veröffentlicht worden sein. Will man sich über den Text vergewissern, so sucht man in der umfangreichen Edition der Akten deutscher Bischöfe von 1933 bis 1945 vergeblich. Der Text findet sich nicht im Hirtenwort des deutschen Episkopats vom 26. Juni 1941. Es bedarf schon eines gewissen Aufwandes, ihn ausfindig zu machen, denn er stammt aus dem Gemeinsamen Hirtenwort der deutschen Bischöfe über die Abwehr des Bolschewismus – vom 30.12.1936! Um es noch einmal deutlich zu sagen: Als Beleg für eine Behauptung der Filmemacher zu Galens Haltung im Jahre 1941 wird ein Zitat von 1936 verwendet, das zudem noch für das Gegenteil dessen in Anspruch genommen wird, was in dem Hirtenbrief von 1936 stand. Dem zitierten Text folgt dort nämlich die Feststellung:
»Den Bischöfen liegt es ferne, die Religion in das politische Gebiet zu tragen oder gar zu einem neuen Krieg aufzurufen. Wir sind und bleiben Sendboten des Friedens. Gegen den Bolschewismus soll mit den Waffen des Glaubens, des Wortes, des Gebets und des Sühne-Eifers vorgegangen werden.«
Der Hintergrund dieses Hirtenbriefes ist u. a., dass der Kirche da­mals von der NS-Presse Zusammenarbeit mit dem Bolschewismus vorgeworfen worden war. Die Bischöfe formulierten in ihrem Hirtenbrief deutliche Kritik am NS-Regime, das die Kirche nach dem Bolschewismus als zweiten »Staatsfeind« bekämpfe.
Im Film wird also ein Hirtenwort der Bischöfe von 1936, das ausdrücklich den Krieg ablehnt und auf Glauben, Wort, Gebet und Sühne setzt, ausgegeben als Hirtenbrief von 1941 und durch die sinnentstellende Zitierung als Befürwortung eines Krieges gegen die Sowjetunion verwandt! – Das wird man nicht mehr allein als grobe Fahrlässigkeit bezeichnen können. Kaum vorstellbar ist es, dass die Zitate in einem Film, der in tausendfacher Auflage verbreitet werden soll, nicht in den wissenschaftlichen Editionen überprüft wurden. Wie dem auch immer sei, der fachlich nicht Eingearbeitete muss sich getäuscht fühlen und diese Art der Verwendung von Zitaten als Verfälschung empfinden.
Der Rezensent möchte sich ein Schlusswort gestatten: Heute, nach 30 Jahren der Wege und Irrwege historischer Forschung zum Leben und Wirken des Seligen Clemens August Kardinal Galen, gilt ohne Einschränkung der Ruf der Römer im Petersdom bei der Erhebung des Bischofs zum Kardinal 1946: »Der Löwe von Münster!«