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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1221–1224

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Puig i Tàrrech, Armand, Barclay, John M. G., and Jörg Frey[Eds.]

Titel/Untertitel:

The Last Years of Paul. Essays from the Tarragona Conference, June 2013. Ed. with the assistance of O. McFarland.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. IX, 608 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 352. Lw. EUR 164,00. ISBN 978-3-16-153346-4.

Rezensent:

Oda Wischmeyer

Der Band dokumentiert in 29 Beiträgen die Tarragona-Tagung von 2013 über die letzten Jahre und das Ende des Paulus. J. M. G. Barclay führt mit seinem kurzen Essay: The Last Years of Paul’s Life: What are the Issues? (1–14) in den Band ein und setzt die Agenda. Er akzentuiert die altbekannten Fragen zum Thema noch einmal: Was geschah mit den Geldern der Kollekte? Welche historische Realität steht hinter Apg 23–27? Was geschah in Rom? Wie ist Apg 28,30 f. zu beurteilen? Kam Paulus nach Spanien? Was können wir über den Tod des Paulus wissen? Wichtig sind Barclays eigene Überlegungen zu den verschiedenen frühen Paulusbildern einerseits und unseren exegetischen Fragestellungen andererseits. Letztere sind durchweg historisch bestimmt, wobei zwei Gesichtspunkte die Diskussion der letzten Jahre geprägt haben: erstens das Verhältnis des Paulus zu »his fellow Jews« (10) und zweitens sein Verhältnis zu den »Roman authorities«. Barclay schließt mit folgender eigenen Hypothese: »The last years of Paul’s life could […] be categorized as a saga of disappointment and failure« (14). Dabei stützt Barclay sich auf die Vermutung, der Philipperbrief sei aus Rom geschrieben worden. Leider vertieft Barclay seine Perspektive nicht im Rahmen eines längeren Beitrages.
Barclays Fragen finden sich großenteils in den sieben Teilthemen wieder, denen sich die Beiträge zuordnen lassen: 1. die Kollekte und die Mission im Westen, 2. römische Juden und Christen in der Mitte des 1. Jh.s, 3. Paulus und die Roman authorities, 4. Prozess und Todesstrafe, 5. die verschiedenen literarischen Nachrichten über das Ende des Paulus, 6. Paul’s literary activity während seiner römischen Zeit, 7. Spanienmission. Die beiden nachgestellten Beiträge von A. di Bernardino: Roman Tradition on Paul’s Death (521–532) und R. Penna: The Death of Paul in the Year 58. A Hypothesis and Its Consequences for His Biography (533–552) gehören sachlich noch zum fünften Themenkomplex. J. Frey gibt eine anschließende Zusammenschau: Paul the Apostle. A Life Between Mission and Captivity (553–577).
R. Bieringer untersucht die Kollekte: The Jerusalem Collection and Paul’s Missionary Project: Collection and Mission in Romans 15,14–32 (15–31) und kommt zu dem Ergebnis: »It seems […] likely that Paul wants to use the collection de-livery to give ›his‹ churches their independence so that they can run their own affairs when he will be far out of reach in the remote areas of Spain« (31). Der entsprechende Beitrag von M. Quesnel dokumentiert noch einmal die mög-lichen jüdischen und paganen Parallelen (Tempelsteuer, epídosis, leitourgía).
Der zweite Themenblock wird von Überlegungen N. T. Wrights zum Thema: Paul’s Western Missionary Project: Jerusalem, Rome, Spain in Historical and Theological Perspectives (49–66) eingeleitet. Wright verortet Paulus in der – von Christus als dem Messias her neu konzipierten – jüdischen Apokalyptik, die notwendigerweise eine Konfrontation mit dem Römischen Reich einschloss. Die geplante Spanienmission ist Ausdruck seines Plans, wie ein Herold im gesamten imperium Romanum von Osten bis Westen das Evangelium von Jesus, dem Messias, zu verkündigen: »Spain was […] the end of Caesar’s ›earth‹« (61). Die folgenden Beiträge beschäftigen sich mit den Juden und den entstehenden christlichen Gemeinden in Rom zur Zeit Neros.
K.-W. Niebuhr stellt das bekannte prosopographische, archäologische und theologische Material noch einmal zusammen (Roman Jews under Nero: Personal, Religious, and Ideological Networks in Mid-First Century Rome, 67–89). Er möchte den Juden in Rom eine »considerable role« zubilligen (88), während die Christusbekenner noch nicht von den römischen Behörden als solche identifiziert wurden. Anders setzt E. S. Gruen die Akzente (The Jews of Rome under Nero, 91–109). Er setzt sich mit der Frage auseinander, weshalb die nachneronischen jüdischen Quellen Nero so negativ beurteilen. Gruen argumentiert, es habe unter Nero zwar keine Judenverfolgung gegeben. Deshalb habe Paulus auch relativ unbedenklich an den Caesar appellieren können. Bei der Christenverfolgung nach dem Brand von 64 n. Chr. seien allerdings nicht nur Christen, sondern auch viele Juden umgekommen, da die römischen Behörden Christen und Juden noch nicht sorgfältig unterschieden. Dies sei Josephus und den Sibyllinischen Orakeln im Gedächtnis geblieben. Historisch interessant ist Gruens Hinweis auf die Mission des jungen Josephus in Rom, die fast gleichzeitig mit der Überstellung des Paulus nach Rom erfolgte und zur Freilassung der inhaftierten jüdischen Priester führte (Vita 14–15).
P. Lampe fasst seine früheren Untersuchungen zu den Christen in Rom zusammen: Roman Christians under Nero (54–68 CE) (111–129). Er setzt den Akzent in der Frage der neronischen Christenverfolgung noch einmal etwas anders: »In 64, even Nero’s administration […] could distinguish the Christians from the Jews in the city« (117). Die Trennung der Christusgemeinden von den Synagogalgemeinden sei um 50 n. Chr. herum im Zusammenhang mit dem Claudiusedikt erfolgt. Lampe stellt Überlegungen zu topographischen Aspekten (Christen in Trastevere, an der via Appia und Nomentana) und zu dem schlechten Ruf der Christen an, der durch den neronischen Vorwurf der Brandstiftung noch verstärkt wurde. Im Anschluss an Martin Hengel verortet er das Markusevangelium im nachneronischen Rom: »Narrating his gospel, he [Markus] gave it a counter-imperial slant, which is critical of the Vespasian imperial propaganda in particular.« (120) Auch P. Oakes richtet sein Interesse weniger auf Paulus als auf das christliche Leben im neronischen Rom: Using Historical Evidence in the Study of Neronian Christian Groups and Texts (131–151). Oakes fasst zunächst einige sichere Informationen über die römischen Christengemeinden in neronischer Zeit zusammen und kommt zu dem Schluss, dass die Christen im Jahre 64 in Rom bereits identifizierbar waren, führt das aber nicht auf das Claudiusedikt, sondern eher auf den Umstand zurück, dass es sich bei den Gemeindegliedern mehrheitlich um sogenannte Heidenchristen handelte (142). Oakes entwirft dann aus einer sozialgeschichtlichen Lektüre des Römerbriefes eine »social description of model craftworker house-church in Rome« (148), weist aber darauf hin, dass dies Modell nichts über die ethnische Zusammensetzung der römischen Christengemeinden aussagt.
Im dritten Themenblock schreiben L. Alexander über: Silent Witness. Paul’s Troubles with Roman Authorities in the Book of Acts (153–173), und A. Borrell über: Paul and the Roman Authorities (175–185).
L. Alexander arbeitet die Unterschiede in der Wahrnehmung von Christen zwischen der Zeit des Claudius und des Plinius heraus: unter Claudius keine Verfolgung des nomen und Christentum noch kein flagitium, sondern »nur« Verfolgung von tarachos. Aber schon mit dem Jahr 64 setzt die Verfolgung des Namens ein. Daher schließt Alexander mit dem Hinweis: »Whether or not Nero actually executed Paul, his persecution must have made it much harder for Paul to duck under the radar and continue his mission (in Spain or anywhere else) with the relative freedom that had been possible under Claudius« (173). A. Borell weist darauf hin, dass Paulus die römischen Behörden nicht kritisiert oder polemisch attackiert, sondern die existierenden sozio-politischen Umstände als Chance verstanden wissen will, in den Gemeinden ein christliches Leben zu führen (184).
Dem vierten Themenblock, Prozess und Todesstrafe, gelten die Beiträge von H. Omerzu, F. W. Horn, B. Santalucia, J. Chapa, V. Marotta und J. G. Cook.
H. Omerzu (The Roman Trial Against Paul according to Acts 21–26, 187–200) hält die Darstellung der Apostelgeschichte weiterhin in großen Zügen für historisch zutreffend und geht davon aus, dass Paulus unter Nero den Tod gefunden habe. F. W. Horn (The Roman Trial Against Paul according to Acts 21–26. Response to Heike Omerzu, 201–212) unterzieht Omerzus Argumente einer kritischen Prüfung. Sein wichtigster eigener Beitrag besteht in der Exegese von Röm 15,14–21 (Heidenchristen als Opfergabe). Horn nimmt die Opfermetaphorik in ihrer theologischen Bedeutung ernst. Er weist darauf hin, dass jüdische Parallelen fehlen, und schließt auch nicht aus, dass Paulus tatsächlich Heidenchristen in den inneren Tempelbezirk gebracht habe. B. Santalucia zieht den lateinischen Papyrus BGU II 628 recto sowie Texte von Dio Cassius (60.28.6) und Sueton (Claud 15.2) zum römischen Prozessrecht und zur Frage nach der Dauer der Gefangenschaft des Paulus heran. Als Grund für die Verurteilung sieht er »offending the maiestas principis for inciting the crowds« (225). Im Übrigen betont er zu Recht, dass es keine irgendwie gearteten sicheren Nachrichten über die Art der Strafe und über den Tod des Paulus gebe. J. Chapa (Paul’s Social Status: 231–245) weist auf die Bedeutung des sozialen Status für die Strafe hin und erwägt wie Santalucia die aqua et igni interdictio für Paulus. Dies hätte ihm die Möglichkeit zu weiterer Missionstätigkeit gegeben. Auch V. Marotta untersucht »St. Paul’s death: Roman Citizenship and summa supplicia« (247–269). Dasselbe Thema behandelt J. G. Cook: »Roman Penalties Regarding Roman Citizens Convicted of Heavy Charges in I CE« (271–303). Cook bietet eine umfangreiche, sehr nützliche Tabelle römischer Bürger, die zum Tode verurteilt wurden (mit der jeweiligen Hinrichtungsart).
Die fünfte Abteilung widmet sich den Darstellungen der letzten Jahre und des Endes des Paulus in der frühchristlichen Literatur:
D. Marguerat zu Apg 28,16–31; T. Nicklas zu den Paulusakten; G. E. Snyder zum Paulusmartyrium und den Paulusakten (»The Martyrdom of Paul may […] be a generally reliable source about the end of Paul’s life«, 372); W. Grünstäudl zu 1Klem 5,5–7; R. Riesner zu 2Tim, 1Klem, Canon Muratori und den apokryphen Actus Vercellenses; J. Herzer zu denselben Texten (kritischer als Riesner: Paulus kam wahrscheinlich nicht nach Spanien, 431).
Im sechsten Block führt U. Schnelle in »Paul’s Literary Activity during his Roman Trial« ein: in Phil und Phlm, die er beide nach Rom setzt (433–451). Diese Zuordnung sieht D. Gerber in seinem Response kritisch (453–468). Allerdings stellen weder Schnelle noch Gerber die Frage, wie entscheidend die geographische Zuordnung der Briefe über das rein Biographische hinaus ist. Hätte Paulus aus Ephesus anders als aus Rom geschrieben?
Siebentens geht es um die Spanienmission des Paulus. A. Puig i Tàrrech beschäftigt sich in einem umfangreichen Beitrag, der das Herzstück des gesamten Bandes darstellt, mit »Paul’s Missionary Activity during His Roman Trial: The Case of Paul’s Journey to Hispania« (469–506). Er geht davon aus, dass Paulus zur relegatio verurteilt wurde, so dass es historisch plausibel ist, dass er einige Zeit in Spanien zubrachte.
Der Vf. bearbeitet weiterhin unter neun einzelnen Punkten die Frage, wieweit es plausibel zu machen ist, dass Paulus seine Spanienmission mit Tarragona (und nicht mit Gades/Cadiz) verbunden habe. Puig i Tàrrech votiert für Tarragona (497) und untersucht dann die möglichen Gründe für »the lack of results for Paul’s mission in Tarragona« (500). Er nennt die fehlende Unterstützung durch die römische Gemeinde, das Fehlen eines Missionsteams sowie die besondere Stärke des Kaiserkults in Tarragona und weist auf die fehlenden bzw. spärlichen Nachrichten von Missionserfolgen in Spanien in den beiden ersten Jahrhunderten hin (505). Insgesamt stellt der Beitrag eine willkommene Zusammenfassung zum Thema »Paulus und Tarragona« dar. Interessant ist der Hinweis auf J. J. Spiers Historia Critica de Hispanico Pauli Apostoli Itinere von 1742 (469). Sind wir wirklich über Spier hinausgekommen? Ch. Karakolis jedenfalls bleibt in seinem Response auf Puig i Tàrrech skeptisch.
Nachgestellt wirken die Beiträge von A. di Bernardino zur archäologischen Tradition der römischen Verehrung der Märtyrer Petrus und Paulus und zu der These R. Pennas, Paulus sei im Jahre 58 hingerichtet worden – was natürlich einen Spanienaufenthalt ausschlösse.
Der Essay von J. Frey über »Paul the Apostle: A Life Between Mission and Captivity« (553–577) gibt eine eigenständige Interpretation der Person und des Wirkens des Paulus in der Spannung zwischen Erfolg und Misserfolg, zwischen jüdischer Identität und Christusbekenntnis sowie zwischen Wirkung und Missverständnissen. Freys Überlegungen zum Ende des Paulus, gegliedert in sein physisches Ende, seine kanonische Nachgeschichte und seine eschatologische Hoffnung, schließen die Aufsatzsammlung ab.
Nach der Lektüre von 577 Seiten, die im Einzelnen viel Wissens- und Bedenkenswertes enthalten, ohne dass aber belastbare neue Antworten gegeben würden oder wenigstens ein Resumee versucht würde, das den state of the art in der Themenfrage formulieren könnte, bleibt die Frage: Haben wir etwas Neues erfahren? Sind immer wieder neu gestellte Fragen schon Antworten? Sind wir über die Ergebnisse der bereits vorhandenen Sammelbände und Monographien (F. W. Horn [Hrsg.], Das Ende des Paulus, Berlin 2001; H. Omerzu, Der Prozess des Paulus, Berlin 2002; J. M. Gavaldà et al. [eds.], Pau. Fructuós i el criszianisme primitiu a Tarragona [segles I–VIII], Tarragona 2010) wirklich hinausgekommen? Müssen wir zum wiederholten Mal fragen, ob Paulus in Tarragona war, wenn wir doch wissen, dass wir keine sichere Antwort darauf haben? Wie weit sollen lokalpolitische Interessen und sogenannte historische Plausibilitäten, d. h. bloße Möglichkeiten, unsere Forschungen bestimmen? Diese durchaus nicht einfach zu beantwortenden Fragen gehen an die Herausgeber.