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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1215–1217

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

White, Ellen

Titel/Untertitel:

Yahweh’s Council. Its Structure and Membership.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XV, 223 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 65. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-153293-1.

Rezensent:

Thomas Wagner

Die Publikation von Ellen White stellt die erweiterte Fassung einer an der University of St. Michael’s College, Toronto/CA vorgelegten Ph.D.-Dissertation dar. Sie behandelt einen zentralen Aspekt religionsgeschichtlicher Forschung. Einleitend nimmt die Vfn. zum Verhältnis von Altem Testament und altorientalischen Texten Stellung, indem sie fragt, ob die Texte der Hebräischen Bibel ein ge­schlossenes Konzept bilden und mit Konzepten anderer Textcorpora verglichen werden können. Die Vfn. konstatiert, dass dies möglich und nötig ist.
Nachdem im ersten Hauptteil (22–58) die Kriterien 1. JHWH als Vorsitzender des Götterrates; 2. Erteilung eines Rates, und 3. Handlung an einem heiligen Ort, bezogen auf eine breite Textbasis angewendet werden, werden im zweiten Teil (59–104) 1Kön 22,1–28; Hi 1,6–12; 2,1–7; Jes 6; Sach 3 und Dan 7 exegesiert. Die Analysen weisen als mögliche Mitglieder des göttlichen Hofstaates folgende aus: Satan, Geist, Seraph, Bote JHWHs sowie einzelne Menschen mit spezifischen Funktionen. Ihre jeweiligen Rollen werden im dritten Hauptteil (105–137) betrachtet.
Zuerst untersucht die Vfn. den Begriff Satan. Satan wird in Hi 1 f.; Sach 3 determiniert, demzufolge es sich bei ihm um eine Funktionsbeschreibung und nicht um einen Eigennamen handelt. Phänomenologisch leitet die Vfn. seine Funktion von seit persischer Zeit bekannten Spionen ab, die dem Großkönig Informationen zutrugen. Das Auftreten des Satan in Hi 1 f.; Sach 3 ist jeweils mit sechs Aspekten verbunden: 1. der Satan ist Teil des göttlichen Rates; 2. die Erzählungen stehen in einem rechtlichen Kontext; 3. seine Äußerungen stellen die Form göttlicher Gerechtigkeit in Frage; 4. er untersteht JHWH, ist folglich 5. nicht unabhängig; 6. wird die von ihm eingenommene Position als falsche aufgewiesen. Der Satan repräsentiert also nicht das Widergöttliche, sondern zeigt auf, welche Konsequenzen es für die Welt hätte, wenn Gott gerecht und ohne Gnade handeln würde (119). Als weitere Rollen identifiziert die Vfn. den Geist, der freiwillig göttliche Aufträge übernehmen kann, sowie die Seraphen, die eine rein apotropäische Funktion besitzen. Auf ihre Funktion als JHWH preisende Wesen, die in der späteren Wirkungsgeschichte auf die Keruben übertragen wird (vgl. 4Q405, 1Hen 14–16), geht die Vfn. nicht ein. Schwieriger als die Funktionen dieser Wesen ist die Rolle der Boten Gottes zu bestimmen. Während der Begriff malakh darauf hindeutet, dass die Beauftragten göttliche Botschaften übermitteln, dienen sie innerhalb der Thronratsszenen als Anwalt der Menschen und damit als Ge­genüber zum Satan. Weiterhin wird im Danielbuch der Menschensohn als Mitglied des Thronrates genannt, dessen Stellung derjenigen Jesajas (Jes 6) oder Jeschuas (Sach 3) entspricht. Diese beiden werden abschließend als Mitglieder genannt, die durch ein Reinigungsritual assoziiert werden.
Im vierten Hauptteil (138–144) abstrahiert die Vfn. und gibt eine auf drei Ebenen bezogene Funktionsbeschreibung der Ratsmitglieder. JHWH besetzt als Oberhaupt des Rates die oberste Ebene (139). Die Mitglieder, die aktiv in die Handlungen eingebunden sind, bilden die zweite Ebene (als Ankläger: Satan, Bote JHWHs; als Berater: Geist, Satan). Auf der dritten Ebene siedelt die Vfn. die Wesen an, die entweder dem Thronrat dienen (z. B. Seraphen) oder die beauftragt werden, die Ratschlüsse des Gremiums in Wort und Tat zu vermitteln. Mit den Thronratsszenen verbunden sind Beobachtende, mittelbar Vermittelnde sowie die Angeklagten. Sie gehören nicht zum Gremium.
Abschließend behandelt die Vfn. das Verhältnis der Thronratszenen zum sich ausbildenden Monotheismus. Ausgehend von der These, Jes 40–55 stelle einen intoleranten Monotheismus dar, ordnet die Vfn. die untersuchten Texte konzeptuell zu. Während Jes 6 und Dan 7 einen radikalen Monotheismus vertreten, liegt 2Kön 19 und Hi 1 f. eine liberalere Form zugrunde. Sach 3 zeigt nur eine lose monolatrische Form.
»While the path is not exactly linear and while human access is not completely revoked at the close of the Hebrew Bible, it does seem that Israelite theologians entertained the idea of very limited human participation within the Council of Yahweh (perhaps as a means of moving towards monotheism), but ultimately, began to reject this concept and resurrected the boundaries between Heaven and Earth.« (172)
Mit einer ausführlichen Zusammenfassung, Literaturverzeichnis, Stellen-, Autoren- und Sachregister schließt diese Studie.
Die Grundvoraussetzung dieser Studie, die Existenz der Vorstellung eines Thronrates JHWHs als fester Topos israelitisch-judäischen JHWH-Glaubens, stellt zugleich den Aspekt dar, der kritisch zu hinterfragen ist. Ob eine feste Vorstellung eines Thronrates JHWHs existiert, die jeweils den untersuchten Texten zugrunde liegt und die pointiert aufgenommen wird, ist fraglich. Das Motiv des Thronrates ist fest mit dem mentalen Bild der Königsherrschaft JHWHs verbunden, ohne dass sich in der Kultikonographie irgendwelche Hinweise auf die Existenz eines solchen Thronrates in der kultischen Verehrung finden würden. Vielmehr besitzen die von der Vfn. ausgewählten Texte für ihre Kontexte jeweils eine entscheidende, d. h. den weiteren Erzählverlauf begründende Funktion. Es stellt sich die Frage, ob für diese Schlüsselszenen ein traditionelles Setting gewählt und bezogen auf die Botschaft verändert wurde, ohne dass die Wesen, ihre Rollen und die mit ihnen verbundenen Funktionen fester Bestandteil eines göttlichen Thronrates waren. Hinweise darauf können sowohl die Integration des Propheten Jesaja in den Thronrat (Jes 6) als auch die Begründung des Hohepriestertums als Teil des göttlichen Rates (Sach 3) sein. Zwischen den Texten ergaben sich traditionsgeschichtlich unterschiedliche Verbindungen. Dies würde erklären, warum ein insgesamt inkonsistentes Gesamtbild des Thronrates Gottes entstehen konnte, das sich auch im Rahmen der vorliegenden Studie nicht letztgültig auflösen ließ.