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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1375–1376

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Wilkinson, Kate

Titel/Untertitel:

Women and Modesty in Late Antiquity.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2015. IX, 174 S. Geb. £ 62,00. ISBN 978-1-107-03027-5.

Rezensent:

Katharina Greschat

Das schmale Buch von Kate Wilkinson, Assistant Professor of Women’s and Gender Studies at Townson University in der Nähe von Baltimore, wagt einen ganz eigenen Blick auf die Briefe von Augustin, Hieronymus und Pelagius an die junge Demetrias, die deren durchaus unterschiedliche Vorstellungen von einem asketischen Leben erläuterten. Insofern ist »Late Antiquity« an dieser Stelle zu präzisieren, denn W. geht es um das in diesen Briefen transportierte Konzept von weiblichem Anstand in Verbindung mit Askese, das sie sowohl als innere Disposition als auch im Sinne von intensiv kontrolliertem Verhalten wie Verschleierung, sorgfältiger Kleiderwahl und einer ganz bestimmten Sprache beschreibt. Dabei geht ihr Ansatz ganz bewusst »against the grain of feminist scholarship that focuses on women’s resistances to oppressive norma-tive expectations rather than the process of embodying the cultural ideal« (2). Statt dessen orientiert sich W. am Werk der feministischen Ethnographin Saba Mahmood, die in einem anderen Kontext mit Nachdruck darauf hingewiesen hat, dass es immer auch um aktives und kreatives Handeln geht, wenn Normen eingeübt werden. Für W. ist es daher enorm wichtig, dass sich die Asketin auf performative Weise selbst versteht, indem sie im Rahmen der ihr vorgegebenen Gesellschaft handelt. Insofern ist auch die in der Auswahl ihres Quellenmaterials begründete Konzentration auf die in der pelagianischen Kontroverse geführte Debatte um die Freiheit des Willens, die sich in den genannten Briefen spiegelt, keineswegs zufällig.
Im ersten Kapitel (5–27) steckt W. den Rahmen für ihre Untersuchung ab und verortet sich in der neuesten Genderforschung, der es nicht mehr nur um »constructions of gender«, sondern auch um »operations of gender« geht. Zugleich macht sie deutlich, dass sie sich nicht mit Askesekonzeptionen der Spätantike beschäftigt, weil sie daraus Vorschläge für eine Reform der römisch-katholischen Kirche ableiten will, der sie sich selbst zurechnet. Natürlich ist ihr bewusst, dass es in den von ihr gewählten Texten um die rhetorische Konstruktion von Frauen und nicht um die Frauen selbst geht; dennoch möchte sie herausarbeiten, inwiefern der asketische Diskurs das tatsächliche Leben bestimmt haben könnte. Indem sie sich auf Anstand und Schicklichkeit und damit auf die weibliche Tugend schlechthin konzentriert, will sie Folgendes zeigen: »to reveal the creative work involved in modest living and modest self-representation in specific, daily moments« (20).
Dazu untersucht W. in den folgenden drei Kapiteln, wie sich die Asketin, was ihre Kleidung (28–57), Häuslichkeit (58–85) und Stimme (86–116) anbelangt, auf eine mehr oder weniger subtile Weise selbst formte und präsentierte. Auf den ersten Blick ist einleuchtend, dass eine bestimmte Art der Kleidung eine innere Haltung zum Ausdruck bringen kann, weswegen gerade Hieronymus der Demetrias schlichte Bekleidung empfahl. Das allein reicht W. aber nicht; ihr kommt es vielmehr darauf an, auch mit Hilfe zum Vergleich herangezogener anthropologischer Studien Demetrias gleichsam zum Leben zu erwecken, denn »living women used their clothing or adornment, or lack thereof, to create selves that represented particular moral stances, religious commitments, social status, and family reputations« (33). Gleiches gilt auch für das Thema der Häuslichkeit, bei dem W. deutlich machen kann, dass nicht der völlige Rückzug aus jeglicher Form von Öffentlichkeit gemeint sein kann; schließlich musste auch eine römische Dame ihre Askese kommunizieren und zumindest im Kontext des komplexen Gefüges einer römischen domus vermitteln. Einigermaßen unerwartet – und deshalb besonders spannend – liest sich der Abschnitt über die Stimme und das Schweigen, die gleichfalls deutlich hörbar sein mussten und des intensiven Trainings bedurften.
Konsequenterweise ist das fünfte Kapitel (117–138) der Untersuchung über die Notwendigkeit einer überzeugenden Performance gewidmet, die auch schon in den spätantiken Texten gesehen wurde, wie gerade die satirischen Episoden über heuchlerische Jungfrauen und Witwen bei Hieronymus und Pelagius veranschaulichen. Die äußere Erscheinung allein ist keinesfalls ausreichend: »The conscience of the modest woman is an interior knowledge of her self as it is in the world, a self-consciousness about how she is seen by all: community, detractors, family, self, and God« (138). Schließlich wird im letzten Kapitel (139–159) der theologische Hintergrund, der die Motivation zum asketisch bestimmten Anstand in den Briefen des Augustin und Pelagius bildet, in Augenschein genommen. W. geht es hier insbesondere um »the intelligibility of modesty-as-agency in their respective theological understanding« (141). Bei Pelagius ist es das Moment der Befreiung – nicht aus patriarchalischen oder äußeren Strukturen, sondern aus den Verkettungen in sündige Gewohnheiten aufgrund von Demetrias eigenem Willen. Augustin will diese Tugend jedoch als Geschenk der göttlichen Gnade verstanden wissen: »Since virtue is a gift rather than an archievement, the ascetic woman’s self-knowledge is a meditation on what she cannot know about herself.« (152)
Insgesamt hat W. einen spannenden Ansatz gewählt, um deutlich zu machen, wie aus einer zentralen römischen eine asketische Tugend wurde, die es Frauen ermöglichte, sich selbst auf kreative Weise anders zu sehen und vor anderen sehen zu lassen, wobei der ständige Rekurs auf zeitgenössische ethnographische Untersuchungen den Blick schärft. So bleibt nur mit W. zu hoffen, dass ihr Anliegen auch im Hinblick auf die Untersuchung anderer antiker Tugenden aufgegriffen wird.