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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1157–1159

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Johannsen, Friedrich, u. Wiegand Wagner

Titel/Untertitel:

Arbeitsbuch Systematische Theologie für Religionspädagogen.

Verlag:

Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2014. 278 S. m. 54 Abb. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-17-022237-3.

Rezensent:

Andreas Kubik

Die Glaubenslehre pflegt das »symbolische Kapital« (Christopher Zarnow) der christlichen Religion. Finden die Lehrerinnen und Lehrer zu ihr keinen Zugang, so bleibt der Religionsunterricht religiös sprachlos und schrumpft zu einer biblisch leicht eingefärbten Moral- und Soziallehre. Die Autoren des vorliegenden Buches, Friedrich Johannsen und Wiegand Wagner, konstatieren – m. E. zu Recht –, dass »gerade der Zugang zur Systematischen Theologie von Lehramtsstudierenden als schwieriger empfunden wird als der zu anderen theologischen Fächern« (9). Daher wollen sie eine »adressatenbezogene Einführung in diese Disziplin« (9) bieten, die vermutlich auch dem im Vergleich zum Pfarramtsstudiengang geringeren Studienumfang Rechnung tragen möchte.
Dieses Vorhaben kann nur als sinnvoll bezeichnet werden. Allerdings denke ich nicht, dass es mit diesem Werk bereits eingelöst ist. Die Schwierigkeiten beginnen beim Aufbau. Das Buch ist in fünf Hauptkapitel eingeteilt. Eine kurze »Hinführung« (I) und an sich interessante »Vorklärungen« (II) möchten zugleich traditionsbewusst als auch dezidiert zeitgenössisch sein. Neugierig macht insbesondere die Ankündigung, sich produktiv auf empirisch erhobene Meinungen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern beziehen zu wollen (vgl. 27). Das geschieht nicht ganz so oft wie erwartet; und wenn, dann häufig in der Weise, dass sie – anders als die Autoren es ankündigen – eben doch vor allem »kritisiert« (27) werden.
Kapitel III bietet einen Überblick über die dogmatische Lehrentwicklung an (29–98), wobei die Auslegung des Apostolikums im Vordergrund steht. Die weitere Lehrbildung scheint mit der Reformation weitgehend abgeschlossen zu sein; für die »Theologie nach der Aufklärung« (98 f.) stehen noch anderthalb Seiten zur Verfügung. Der IV. Hauptteil heißt »Vertiefungen«. Was wohin vertieft wird, erschließt sich mir nicht: Der Sache nach werden so heterogene Themenkreise wie Porträts einzelner systematischer Theologen, religionsphilosophische Überlegungen zu Symbol und Metapher, eine Grundlegung der Ethik und sogar ein wenig Liturgik und anderes verhandelt. Der V. Hauptteil scheint die eigentliche Dogmatik darzustellen; neben den klassischen Themen wie Gotteslehre, Christologie usw. kommen abschließend noch ein konfessionskundlicher Abschnitt und ein paar Worte zur Theologie der Religionen zur Sprache. Fallen die »Vertiefungen« also systematisch eher aus dem Rahmen, so bleibt das Verhältnis von Theologiegeschichte (III) und Dogmatik (V) ebenfalls offen.
Nun kann man einwenden, dass Aufbaufragen für ein Arbeitsbuch nicht entscheidend sind, und in der Tat sind einige der so entstehenden Miniaturen durchaus instruktiv. Meine eigentlichen Bedenken möchte ich in drei Punkten zusammenstellen.
1. Das Buch will zu viel auf einmal. Bereits das kurze Vorwort verzeichnet nicht weniger als 15 Ziele und Maximen, die die Autoren sich setzen. Prolegomena, Theologiegeschichte, Dogmatik, Ethik, Konfessionskunde sowie ›vertiefende‹ Diskurse sämtlich auf etwa 260 Seiten einleitend zu würdigen und dabei noch zugleich »Basiswissen zu vermitteln« und »zu selbstständigem […] Denken anzuregen« (9), ist ein ehrbares Ansinnen, aber doch wohl – gerade wenn man die Maximen des Buches teilt – nicht machbar. Die Dogmatik kommt vergleichsweise gut weg, die anderen Bereiche werden allenfalls angerissen.
Dabei muss es zu Verknappungen kommen, die hochschuldidaktisch als ungünstig erscheinen. Was sollen Studierende mit einem Satz wie diesem anfangen: »Der Name Karl Barth steht für eine radikale Abkehr von der Liberalen Theologie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts« (121), wenn diese sonst im ganzen Buch nicht vorkommt und auch kein Hinweis zur Weiterarbeit gegeben wird? Ist die »Frage, wie sich der verkündigte und geglaubte und der historische Jesus zu einander verhalten« (201) so simpel und verständlich, dass sie gar nicht entfaltet, sondern bloß abgeschmettert zu werden braucht?
2. Dies ließe sich verschmerzen, wenn das didaktische Grundgerüst des Buches die erhoffte selbständige Weiterarbeit fördern würde. Das ist aber oft nicht der Fall. Die einzelnen Kapitel sind didaktisch viel mehr ganz unterschiedlich gerahmt, ohne dass klar würde, warum. Mal gibt es Literaturhinweise, mal nicht; manchmal finden sich »Impulse zur Weiterarbeit« (aber selten); hier und da stehen »Thesen«, tabellarische »Übersichten« oder kurze »Quellentexte«; gelegentlich gibt es »Aufgaben«. Hier wäre ein einheitliches Arrangement zu wünschen gewesen. Die vielen an sich schönen und aussagekräftigen Bilder vor allem mittelalterlicher Herkunft sind theologisch und ästhetisch so voraussetzungsreich, dass sie in meinen Augen den Zugang zur Dogmatik eigentlich nicht erleichtern. Der Umfang der einzelnen Stücke variiert stark, die Gewichtungen leuchten oft nicht recht ein: Wieso erhält Bonhoeffer mehr Raum als Luther (und wieso bricht dessen Biographie hier 1522 ab [105])? Warum erfahren wir im Kapitel über das »Handeln Gottes« viel über liturgische Codes, wenn zugleich die Begriffe »Erlösung« und »Versöhnung« nur in einem knappen »Exkurs« (90 f.) behandelt werden?
Überhaupt gewinnt man den Eindruck einer eiligen Endredaktion. Manche Ankündigungen werden nicht eingelöst: So kommt die Orthodoxie im konfessionskundlichen Kapitel – anders, als die Überschrift verspricht – so gut wie gar nicht vor. Setzfehler (50.60 f.), die Wiederholung mancher Textpassagen (168/171) und einige das Lesen nicht erleichternde Uneinheitlichkeiten im Layout und der Überschriftengestaltung sind zu verzeichnen. Dass der Verlag den leserunfreundlichen engen Drucksatz, der schon die vorherigen Arbeitsbücher dieser Reihe kennzeichnete, nicht geändert hat, ist zu bedauern.
3. In meinen Augen werden zu häufig konkurrierende, ja miteinander inkommensurable Positionen referiert, ohne dass in ihre Abwägung und Entscheidung hinreichend eingeleitet würde (Beispiele etwa: die Auflistung verschiedener Gottesbegriffe [55], das Problem der Deutung religiöser Sprache [vgl. 142–146], die Frage nach der Heilsbedeutung des Kreuzes [vgl. 218 f.]). Im Lichte solcher Passagen fällt dann auf, dass dem Problem der Kriterien der Dogmatik und der eigentlichen dogmatischen Argumentation überhaupt sehr wenig Raum eingeräumt wird. In den Aufgaben werden häufiger – wie es an sich ja auch richtig ist – Stellung nehmende Akte wie »eine eigene Position entwickeln« (z. B. 219) gefordert. Aber wie das geht, wird kaum behandelt.
4. Das Vorwort kündigt an, »die besonderen Herausforderungen der modernen, pluralen sowie postsäkularen Gesellschaft« (9) zu thematisieren. Hier zeigt sich, dass das Arbeitsbuch von einer apologetischen Grundtendenz geprägt ist: Es will »auf die aktuelle Bedürfnisse überbietende Lebensorientierung des christlichen Glaubens« (23) aufmerksam machen. Der Gegenstand der Überbietung ist letztlich der »moderne Geist«. Dabei scheuen die Autoren nicht vor ordentlichen Vergröberungen zurück: Angeblich blende etwa »das neuzeitliche Schuldverständnis […] die strukturelle Dimension von Schuldverflechtung« (213) aus; das Bildungsdenken seit der Aufklärung beschränke sich »auf das Erlernen von sozial nützlichen und ökonomisch verwertbaren Fähigkeiten« (183); der »Mensch von heute« sei ohne Gott »gnadenlos den Instanzen innerweltlicher Tribunale ausgeliefert« (102), und überhaupt gehe es heutzutage »um die schnelle Befriedigung oberflächlicher Bedürfnisse« (142).
Die geistige Lage seit der Aufklärung kommt nur als Problem in den Blick. Aber man hat m. E. die Herausforderung durch den Geist der Moderne erst dann wirklich aufgenommen, wenn man ihn partiell selbst als Realisierungsgestalt des Christentums zu deuten und seine Abweichungen vom und Einsprüche gegen das traditionelle Christentum auch auf ihre Wahrheitsmomente hin auszulegen bereit ist – so jedenfalls verstand Tillich die heutige Aufgabe der Apologetik (GW X, 149). Im Verfahren der Autoren aber wird die Neuzeit stets in Gedanken dogmatisch »besiegt«, während sie in der Wirklichkeit weiter da ist und den Diskurs bestimmt. – Auch dies ist eventuell ein Grund dafür, warum viele Lehrer und Lehrerinnen im Religionsunterricht den Streit zu vermeiden suchen und sich lieber auf den vermeintlich sicheren Boden der Nächstenliebe und der christlichen Werte zurückziehen.