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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1145–1147

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Werbick, Jürgen

Titel/Untertitel:

Theologische Methodenlehre.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2015. 646 S. Geb. EUR 49,99. ISBN 978-3-451-33629-4.

Rezensent:

Otmar Meuffels

Der emeritierte Münsteraner katholische Fundamentaltheologe Jürgen Werbick legt eine umfassende theologische Methodenlehre in neun Kapiteln vor, um einer gesamttheologischen Verantwortung Rechnung zu tragen, die verschiedene Disziplinen (11) in korrelativen Diskursen (132) mit spannungsvoller Semantik (Metaphern: 456 f.) innerhalb aktueller Lebenszusammenhänge umfasst, und zugleich die Glaubensquellen und -zeugnisse im Verhältnis der Überschreitungsdynamik (407) zu rechtfertigen. Um sich nicht in diesem theologischen Hochgebirge mit Hauptwegen und noch mehr Abzweigungen zu verlieren, sei hiermit ein Standort und Kompass an die Hand gegeben: Die ersten drei Kapitel sind mit philosophischen und theologischen Methoden (z. B.: Thomas von Aquin, Melchior Cano, Luther, Kant, Schleiermacher, katholische Neuscholastik) und entsprechenden Optionen (Hermeneutik, Korrelationsmethode, transzendentale Methode: Rahner, Henrichs, K. Müller, Verweyen, Pröpper [161 f.168 f.]) gleichsam die vorbereitete Vermessung und Verortung, um den eigenen Zugang W.s freizu-legen, wozu einerseits der schwierige transzendentale Höhenweg umgangen wird (174) und andererseits nur transzendentale Grundbegriffe (175) Verwendung finden, wie: die »Hermeneutik des Un­bedingten« (180) in verantwortlicher Verantwortung (174), der Überschritt zum Anderen hin in neuen Perspektiven, ohne einem göttlichen Über-Blick zu verfallen (440.444).
Zwei wichtige Markierungen zur Orientierung auf dem mehrfach verzweigten, theologischen Gang (mit den verschiedenen Disziplinen) sind hier zu benennen: 1. Markierung: Kapitel 4 entfaltet eine hermeneutische Vernunft in der Theologie, um Zeugnisse des Glaubens im Glaubensfluss von der Quelle bis zum Strom exegetisch, historisch, systematisch sowie praktisch kontextuell und in gesellschaftlicher Relevanz unter dem Kriterium des Vernunftanspruches zu begründen (226 f.; biblisch: 252 f.). Dabei ist die Identität des Christlichen im Dialog mit Anderen grundgelegt, nämlich im Herkunftszusammenhang, Geltungszusammenhang, Wirkungszusam- ­menhang, schließlich Verantwortungs- und Kommunikationskontext (235). Hier zeigt sich die (vorgreifende) 2. Markierung zum besseren Lektüre-Verständnis: In Rekurs auf das Proslogion von Anselm von Canterbury wird die höchste Vollkom­menheit Gottes als Herausforderung für die dynamisch-differenzierte Rationalität des Menschen benannt (430 f.), die aber noch weiter im trinitarischen Transzendieren (Überschreiten) der göttlichen Agape in Offenheit für Anderes zu interpretieren ist. Die Unbedingtheit der Liebe Gottes bis zum ganz Anderen hin (Kreuz, Auferstehung) provoziert »das begriffliche Denken, sich dessen eingedenk zu bleiben, dass es dem Unendlichen, dem geschehenen und geschehenden unendlich Größeren und Besseren nur in Selbstüberschreitung hinterher denken kann« (440). Das zeigt sich in spannungsvollen Sprachfiguren, besonders in Metaphern, indem Altgegebenes aufgebrochen wird für Neues und Anderes. Solche semantischen Innovationen fordern in einer Sprach-Gemeinschaft mit aktiven Teilnehmern in veränderten Gesellschaftsumbrüchen heraus (448 f.). So lebt eine differenzierte Theologie im Inneren sowie zum Außen hin in der Bewegung der Überschreitung, wozu einerseits das zu selbstverständlich Gewordene neu zu verstehen ist (461) und zugleich der Glaube biblisch, historisch, kulturell an den konkreten Orten (Topoi) zu praktizieren ist (418 f.). So formuliert W. folgende Kernaufgabe der Theologie: Es geht »primär darum, dass Zeugniskommunikation und Zeugnispraxis heute sich in einem nachvollziehbaren Sachzusammenhang mit den authentischen Ur-Zeugnissen der Bibel und der kirchlichen Glaubensgeschichte halten und zugleich in der gegenwärtigen Lebens- und der Argumentationspraxis fachlich einschlägiger Diskurse verantworten können. Es geht ihr also um die Nachvollziehbarkeit eines Bezeugungs- und Lebenszusammenhangs, der die Identität des Christlichen bestimmt« in einer kommunizierend-dialogischen Sprache im Überschreiten (412 f.). Mit Hilfe der beiden Markierungszeichen ist der »Hauptweg« ausgezeichnet, um auf weiteren Wegen die theologische Landschaft (die verschiedenen Disziplinen) zu sichten und das Ganze der Theologie in den Blick zu nehmen. In strukturaler, korrelativ-kommunikativer Methode und unter dem Anspruch der Rationalität ist ein perspektivischer Dialog zu führen.
So analysieren dann Kapitel 5 die biblische Theologie, Kapitel 6 die historische Theologie, Kapitel 7 systematische Geltungsreflexionen, Kapitel 8 eine praktisch-theologische Hermeneutik in welthafter Verortung, um diese Reflexion im Kapitel 9 in einem trinitarischen Rahmen nochmals zu konzentrieren.
Exemplarisch wird der historische Weg (Kapitel 6; 325-383) als Zeugen- und Bezeugungsgeschichte in eigener Perspektive kurz beschritten: Historische Quellen mit eigener Autorität und »Vetorecht« (Koselleck) (338) erlauben »Konsulationen der Loci theologici« (332), um Rezeptions-, Transformations- oder Distanzprozesse in Zeugnisgestalten zu analysieren, was eine christliche Identität in Wirkungsgeschichte und Bezeugungsgeschichte mit Geltungsanspruch ausmacht (334 f.341.343). So ist eine historische Theologie keineswegs eine unengagierte Wissenschaft; vielmehr bewegt sie sich zwischen einer Teilnehmer- und Beobachterperspektive, um sich vom Ursprung her zu verstehen und um zugleich im Sich-selbst-Verstehen in dialogisch-kommunikativen Vollzügen ausgesetzt zu sein (359). Im umfassenden historischen Zusammenhang wird die Frage von Gültigkeit im Verhältnis zu Identitätskonzepten in geschichtlichen Situationen gestellt (364), indem geschichtliche Topoi in Lebens- und Verstehens-Zusammenhänge kontex­tualisiert werden. »Refigurationen« sind dabei keineswegs Be­stätigungen des Alten, vielmehr sind es »Öffnungs-Funk­tion­[en]« (378) für zu kritisierende Schwachpunkte der Gesellschaft, die zur Sprache zu bringen sind, wobei auch Worte der Hoffnung zu artikulieren und zu realisieren sind. Solche Aussagen aus dem Bereich der historischen Theologie korrelieren einerseits mit biblischer Exegese und andererseits mit Praktischer Theologie.
Jedenfalls können gläubige Menschen in jeweiligen (theologischen oder weltbezogenen) Perspektiven (Kapitel 9) darauf vertrauen, dass Gottes Ewigkeit und Konkretheit im inkarnierten Logos und seine Präsenz im agierenden Geist, als Vollzug der Liebe, inmitten der kontingenten Geschichte waltet, indem menschliche Erkennt-nisse in Liebe dem Anderen gegenüber (zuhöchst: dem ganz Anderen) in unbedingter Geltung überschritten sind (606 f.611). Am Ende des Opus zeigt sich die theologische Methode nochmals in Entsprechung den christlichen Inhalten gegenüber, was Christen im Bekenntnis bezeugen und zugleich in die Tat zu überführen haben.
Diese umfassende Arbeit des Emeritus ist eine gute Grundlage für interdisziplinäre Kommunikations-Formen und Foren des Wirkungszusammenhangs theologischer Geltungen. Inhaltlich würde es für alle Leser wünschenswert sein, dass die grundlegende »Polarität der Geschehenshermeneutik und Kohärenzhermeneutik« (226) nicht erst in Kapitel 7 (Systematik), sondern bereits im Kapitel 4 (Hermeneutik; Zeugnisse) deutlicher ausgeführt wird, damit die Leser dann auf den vielen theologischen Wegen besser navigieren können. Formal sind zwei Bemerkungen festzuhalten: Die kumulierten, rhetorischen Fragen stören im Lesefluss; beim Umfang der Arbeit mit 613 Seiten könnte man etliche inhaltliche Ausführungen kürzen, da manches bekannt ist, um stattdessen die Argumentationslinie auf die notwendigen Inhalte zu konzentrieren. Dennoch: Diese Publikation ist lesenswert und bietet einen bedeutsamen Diskursinhalt.