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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1125–1126

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Steiger, Johann Anselm

Titel/Untertitel:

Ikonographie und Meditation des Hohenliedes in der Barockzeit zwischen Konfessionalität und Transkonfessionalität. Die »Göttliche Liebesflamme« (1651) Johann Michael Dilherrs und Georg Philipp Harsdörffers sowie das Bildprogramm an der Patronatsempore in Steinhagen (Vorpommern).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. 128 S. m. Abb. = Theologie – Kultur – Hermeneutik, 19. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-374-04289-0.

Rezensent:

Christian V. Witt

Die schmale Monographie Steigers nimmt vordergründig ein zwar bemerkenswertes, aber eben randständiges Phänomen an der Schnittstelle von Theologie-, Medien- und Kunstgeschichte in den Blick: Im Jahr 1651 erscheint die Göttliche Liebesflamme, ein An­dachtsbuch zum Hohenlied. Es ist »mithin als ein Gemeinschaftswerk des führenden Nürnberger Theologen Dilherr und des ebenfalls tonangebenden Nürnberger Poeten Harsdörffer anzusehen, von dem sämtliche lyrischen Beiträge in diesem Andachtswerk stammen« (12). Somit legt die Göttliche Liebesflamme »exemplarisch Zeugnis ab von der im barocken Luthertum äußerst intensiven exegetischen, homiletischen und frömmigkeitstheologischen Befassung mit dem Hohenlied Salomos« (ebd.).
Das Werk beinhaltet dabei neben Andachten Dilherrs, denen Gedichte Harsdörffers nachgestellt sind, die ihrerseits wahlweise auf bestimmte Kirchenliedmelodien gesungen und musiziert werden können, ein reiches Bildprogramm aus der Hand des Künstlers Georg Strauch. Die Göttliche Liebesflamme realisiert folglich »eine geistliche Medienvielfalt, die typisch für den Nürnberger lutherischen Kulturraum ist« (19). Mit ihrer Medienvielfalt, die »auf eine pluriforme, nicht nur kognitive, sondern auch affektive Aneignung und Einübung des […] behandelten Stoffs in unterschiedlichen Situationen der häuslichen praxis pietatis« zielt (20), diente sie auch als Vorlage des Bildzyklus’ zum Hohenlied an der Patronats­empore der Kirche zu Steinhagen in Vorpommern, dessen genauer Entstehungszeitraum genauso unbekannt ist wie der verantwortlich zeichnende Künstler (24). »Da die Kupferstichserien bzw. Ra­dierungen in Dilherrs geistlichen Werken im 17. Jahrhundert an zahlreichen Orten als Vorlagen für Bildzyklen in Kirchenausstattungen genutzt wurden, ist damit zu rechnen, daß diejenigen Maler, die die betreffenden Bildwerke schufen, Dilherrs Publikationen gewissermaßen als Musterbücher mit sich führten […].« (26)
Nun stellt S. die insgesamt elf Ölgemälde der Patronatsempore zu Steinhagen vor (28–83), vergleicht sie mit ihren Vorlagen in Dilherrs Andachtsbuch und kontextualisiert sie in demselben durch Anführung beispielsweise der entsprechenden erläuternden Verse Harsdörffers. Doch damit nicht genug: Als ausgewiesener Kenner der sogenannten Orthodoxie zeichnet S. die herausgestellten Motive oder Inhalte ein in die Konfessionskultur des Luthertums des 17. Jh.s. Dahinter steht die zutreffende Annahme, »daß man das Steinhäger Emporenbildprogramm nur dann historisch und sachlich angemessen wird dekodieren können, wenn man 1. den Kontext beachtet, in dem die jeweiligen Bilder in Dilherrs Andachtswerk stehen, und man 2. den exegesehistorischen weiteren Kontext mit im Blick hat« (28). Das gesamte von S. so interpretierte Bildmaterial ist dankenswerterweise in guter Qualität mitabgedruckt; die elf Ölgemälde der Patronatsempore sind dem hier anzuzeigenden Buch zudem als Farbtafeln beigegeben (117–128).
Allerdings ist der Fall der Patronatsempore und der Göttlichen Liebesflamme als ihrer Vorlage doch komplexer. Denn einige der Radierungen Strauchs gehen auf Vorlagen zurück, die in den Pia Desideria des flämischen Jesuiten Hermann Hugo zu finden sind. »Hugos Pia Desideria […] und ihre von Boetius van Bolswert […] geschaffenen Emblemradierungen prägten die geistliche Emblematik der Barockzeit auf tiefste – und dies konfessionsübergreifend sowohl im römischen Katholizismus wie im Luthertum. Die Pia Desideria dürften das erfolgreichste emblematische Erbauungswerk der Frühen Neuzeit darstellen und wurden in fast alle europäischen Sprachen übersetzt« (36).
Da nun die Gemälde der Steinhäger Empore auf die Bildausstattung des Dilherr’schen Andachtsbuches zurückgehen, diese sich partiell jesuitisch-katholischen Vorlagen verdankt, hat grundsätzlich jesuitisches Gedankengut mehr oder weniger vermittelt Einzug gehalten in die frühneuzeitliche Ausgestaltung lutherischer Kirchen. Dieser Befund verdeutlicht exemplarisch den transkonfessionellen Einfluss jesuitischer Publizistik in ihrer ganzen Me­dienvielfalt im 17. Jh. Doch dieser Befund sagt zugleich auch etwas über Grenzen jenes Einflusses: Denn die Vorlagen Hugos gingen eben nicht eins zu eins in die Göttliche Liebesflamme über; vielmehr nahm Strauch bei ihrer Einarbeitung in das lutherische Andachtswerk entscheidende Modifikationen vor, die die konfessionell-theologischen Aussagen der betreffenden Radierungen entscheidend veränderten und sie so gleichsam konfessionell markierten (vgl. z. B. 38–41). Die von Hugo übernommenen Motive wurden somit in dezidiert protestantischer Überarbeitung Teil der Ausgestaltung der Steinhäger Kirche, was belegt, »daß die Transkonfessionalität eines gemeinsamen Bildmotivs einhergehen kann mit jeweiliger Konfessionalität der Bildkomposition« (40).
Entsprechend kommen sowohl die Göttliche Liebesflamme als auch die Empore mit ihren Ölgemälden einerseits zu stehen als »wichtige Zeugnisse eines Konzepts lutherischer Glaubenskultur, die darauf zielte, die kognitive, affektive und visuelle Aneignung des biblisch bezeugten verbum dei in der zu Gebote stehenden Medienvielfalt zu ermöglichen und die sich bietenden Potentiale geistlicher Intermedialität auszuschöpfen« (85). Andererseits erhellen sie die Notwendigkeit einer sensiblen Umwertung bestimmter Narrative zur Orthodoxie insgesamt, weshalb S. nur beizupflichten ist, wenn er erklärt, derartige Phänomene sprächen »für einen weiten Wahrnehmungshorizont der in Rede stehenden Rechtgläubigkeit, wahrlich aber nicht gegen sie« (86).