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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1121–1122

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Knott, Marie Luise, Brovot, Thomas, u. Ulrich Blumenbach [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Denn wir haben Deutsch. Luthers Sprache aus dem Geist der Übersetzung.

Verlag:

Berlin: Matthes & Seitz 2015. 334 S. Geb. EUR 24,90. ISBN 978-3-95757-145-8.

Rezensent:

Bernd Janowski

»… denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden wollen«, so lautet Luthers Übersetzungsmaxime im Sendbrief vom Dolmetschen. Dass es zwischen Luthers Bibelübersetzung und der Entstehung bzw. Schaffung der neuhochdeutschen Schriftsprache einen ursächlichen Zusammenhang gibt, ist sattsam bekannt und immer wieder herausgestellt worden. Der vorliegende Sammelband, darin besteht sein Reiz, wendet sich dieser Frage aus der Perspektive von 15 Schriftstellern und Übersetzern zu und erkundet die »sinnliche Kraft von Luthers Sprache« (14), die nach wie vor mitreißt und begeistert. Nach einem Vorwort der Herausgeber (7–14) wird der Reigen der Aufsätze im ersten Teil »Dem Luther aufs Maul geschaut« durch einen schönen Beitrag von S. Lewitscharoff (»Von der Wortgewalt«, 19–30) eröffnet, die sich an der »parataktischen Schwärze« (23) von Luthers Bibelübersetzung delektiert. Luther, diesem »sprachlichen Urviech« ist es gelungen, das Deutsche von der Vorherrschaft des Lateinischen zu befreien und etwas Neues, ja geradezu Unwahrscheinliches zu erreichen: »die Rede der Gebildeten, die immer einen Hang zur Sterilität hat, mit den deftigen Ausdrücken des Volkes zu würzen. Umgekehrt: die Sprache des Volkes zu öffnen für eine subtilere Metaphorik, für Gedankenaufschwünge, die auch ein wenig ins Abstrakte trudeln, ohne sich von einer habhaften Sprachfolie zu lösen« (20).
Dieser Spur folgt J. Winiger (»Luthers Übersetzungskunst – klassisch und revolutionär«, 31–62), indem er an das Übersetzungsprinzip aus dem Sendbrief vom Dolmetschen erinnert – »man mus die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen Mann auf dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetzschen« – anhand schlagender Vergleiche zwischen den vorlutherischen Bibelübersetzungen und derjenigen Luthers wie Gen 1,1–5; Ps 23; Hi 3,1–12; Lk 2; Röm 3,21–28 u. a. durchspielt. »Auf das Maul sehen« heißt nicht »nach dem Mund reden«, sondern die Sprache der Mutter, der Kinder, des Fleischermeisters zu kennen, um beim Übersetzen die Zielsprache und ihren Geist zu treffen. Bis auf Ph. Schönthalers änigmatischen Text (»Luthers Neffe«, 117–128) nehmen die übrigen Beiträge diesen Faden auf und spinnen ihn weiter: K.-H. Ott (»So will er’s haben, so und nicht anders«, 63–73: zum Wörtchen sola), M. Kempter (»Die Luther-Stelle – ihr Sitz im Leben und ihr Sitz im Text«, 74–102: zu biblischen Anspielungen in fremdsprachigen Texten wie dem Namen der Rose von U. Eco u. a.) und A. Birkenhauer (»Luthers 23. Psalm – ein Glücksfall für Übersetzer aus dem Hebräischen«, 103–116: Präsenz der Luthersprache bei Übersetzungen aus dem Hebräischen).
Der zweite Teil »Und haltet mir meinen Groove zugute!« – oh, wie chic! – enthält fünf Beiträge, von denen diejenigen von S. Lange (»Die entfesselte Syntax. Luthers komponierte Satzgefüge«, 131–164: zur poetischen Form von Luthers »biblischer« Sprache; »Lu­thers Bibelübersetzung verdankt wesentliche Stilmerkmale der Tatsache, dass sie auch der Mündlichkeit verpflichtet war« [135]), von E. Passet (»›Da sprach der Herr‹ – wie aber redet Gott?«, 179–208: Beantwortung der Frage, wie Gott und wie der Prophet redet, am Beispiel des Hoseabuchs und seiner Übersetzer) und von P. Waterhouse (»Was alles heißt und wie alles heißt. Über Martin Luthers Übersetzungen der 150 Psalmen«, 209–243: mit vielen Beispielen aus der Übersetzungspraxis am Psalter) besonders empfohlen seien. Was die Texte von M. Rinck (»Duende, Luther, Duende!«, 165–173) und von U. Stolterfoht (»sola scriptura«, 174–178) zum Thema beitragen sollen, hat sich dem Rezensenten leider nicht erschlossen.
Mit Luthers grandioser – wenn auch philologisch nicht immer sattelfesten – Psalmen- und Hiobübersetzung geht es im dritten Teil »Wie eine Rohrdommel in der Wüsten« weiter, der in hervor-ragender Weise von J. Wagner (»Die geborgte Zither. Von Luthers Psalmenübersetzung und seinen Psalmenliedern«, 247–277: »Es galt, den Psalter verständlich zu machen, dabei aber dessen ›edlen geruch‹ zu bewahren« [265]) und Chr. Hansen (»Rechtsweg ausgeschlossen. Zur Rhetorik überwältigender Gnade in Luthers Hiob-Übersetzung«, 293–320) gestaltet wird. Und schließlich: Während K. Schmidt (»Das Boot setzt über«, 278–292) einen Sonettenkranz auf das Übersetzen/Hinübersetzen beisteuern möchte, versucht sich M. Beyer (»De monstro alio«, 321–322) versdichtend am Missbrauch der Deutschnationalen, die sich angeblich auf Luther berufen (aber tun sie das auch?); gelungen kann man das jedenfalls nicht nennen.
Beschlossen wird der Band, der zehn vorzügliche bis ansprechende und fünf ärgerliche bis unpassende Beiträge enthält, durch eine instruktive Zeittafel zu »Luthers Übersetzerleben« (323–330, von J. Winiger) sowie bibliographische Hinweise zu den Herausgebern und Autoren (331–335). Ein Register der besprochenen Bibelstellen wäre wünschenswert und nützlich gewesen.