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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1059–1061

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Børresen, Kari Elisabeth, u. Emanuela Prinzivalli [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christliche Autoren der Antike.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2015. 318 S. = Die Bibel und die Frauen, 5.1. Kart. EUR 70,00. ISBN 978-3-17-026700-8.

Rezensent:

Jochen Oldörp

Der vorliegende Band 5.1 aus der auf 22 Bände angelegten Reihe »Die Bibel und die Frauen« beinhaltet zehn Aufsätze und deckt einen Zeitraum von 500 Jahren Kirchengeschichte ab. »Untersuchungsgegenstand ist der Blick von frühchristlichen Autoren auf Frauen und ›das Weibliche‹ im Kontext ihrer Bibelinterpretation. […] Die Bibel dient hier meist als doktrinale Plattform für die Konstruktion normativer Gendermodelle.« (9) Untersuchungsgegenstand und Bibelverständnis stehen in den Aufsätzen je unterschiedlich stark im Mittelpunkt, was nicht nur der Themenwahl geschuldet ist.
Auffallend ist die Betonung selbstverständlichen wissenschaftlichen Vorgehens, wenn von »korrekter Untersuchung der Quellen«, »akribischen Analysen«, der Absicht »jegliche Verallgemeine­rung zu vermeiden« (alle Zitate: 10) die Rede ist. Woher stammt diese überflüssige nicht anders als apologetisch zu verstehende Verteidigungshaltung, derer dieser Band wirklich nicht bedarf? Für das gravierendste Manko erachte ich die nicht besonders günstige Wahl der BKV-Übersetzungen, vielleicht sollte hier verstärkt auf andere oder ggf. eigene Übersetzungen zurückgegriffen werden, was der innovativen Qualität des Bandes entspräche.
Aragione, Bibelrezeption in den Diskursen über Frauen im 1. und 2. Jahrhundert, legt überzeugend sowohl die Wechselwirkung von Fragestellungen aus den Gemeinden als auch ihre Beantwortung unter starker Berücksichtigung der paganen Umwelt und der in ihr vorherrschenden sozialen Strukturen offen; die Vfn. nennt es die »›apologetische‹ Komponente«. Es gelingt ihr nicht nur, eine geglückte Auswahl von Texten aus mehr als 100 Jahren (1Clem, Ignatiaten, Polykarp, Justin) zu bearbeiten, sondern auch die we­sentlichen Unterschiede zwischen den besprochenen Texten spannend zu präsentieren und unter Einbeziehung von Textimmanenz, interreligiösen Vergleichen und sozialem Umfeld dem Anliegen des Bandes gerecht zu werden. Eine besondere Stärke der Vfn. stellt ihre eng an philologischen Details orientierte Arbeit an den Texten dar.
Scopello, Bibelrezeption […] in einem Traktat von Nag Hammadi, wendet sich einem umfänglichen Thema, der gnostischen Auffassung über die Psyche in NHC II, 6 zu. Der Aufsatz gestaltet sich überwiegend als Zusammenfassung des übrigen Schaffens der Vfn. Leider kann sie sich an einer Stelle auch einer seltsam anmutenden Kommentierung zum Sethianismus als einer »hochspekulativen Denkweise« (66) nicht enthalten. Die innovativen Ansätze in ihrer Darlegung der ExAn – Exegese über die Seele –, sowohl andere gnos­tische Texte heranzuziehen als auch Motive aus der griechischen Romanliteratur fruchtbar zu machen, sind sehr erhellend – zu wenig bedacht sind dabei aber grundlegende Unterschiede zwischen den Romanen und der ExAn, z. B. darin, dass in den Romanen zwar die Jungfrauen immer in ihrer Jungfräulichkeit bedroht werden, sie diese aber eben nie verlieren. Am Ende bleiben Leser und Leserinnen eher etwas ratlos zurück, weil die biblischen Bezüge gering ausfallen, und das Ergebnis ist bei der Menge der angeführten Literatur und Belesenheit der Vfn. ernüchternd schwammig: Das Publikum »war in der jüdischen und christlichen Kultur gebildet, aber wusste vielleicht noch wenig über die komplexen mythischen Zusammenhänge der Gnosis.« (75)
Prinzivalli, Weiblichkeitskonstruktion […] bei Origenes, entwi-ckelt Fragestellung und Argumentation schwerpunktmäßig an den nur fragmentarisch und indirekt überlieferten Kommentaren zur Genesis und kann dabei die besondere und mehrschichtige Be­deutung der Figur der Eva als Sinnbild für die Menschheit insgesamt, für eine einzelne Seele und als zu erlösende Braut Christi zeigen. Anhand Origenes’ Auffassung arbeitet die Vfn. scharfsinnig die Unterschiede zu zeitgenössischen und Origenes rezipierenden Aussagen zu resp. über Eva heraus. In diesem Zusammenhang ge­lingt der Vfn. eine angemessene Darstellung, ja Würdigung der von Origenes in Auseinandersetzung mit – anderen – gnostischen Strömungen erprobten Allegorese.
Børtnes, Schwestern in Jungfräulichkeit, wendet sich in seinem Aufsatz der beiden unter dem Namen Gregor von Nazianz’ bzw. von Nyssas veröffentlichten Reden anlässlich des Todes ihrer Schwes­tern Gorgonia und Makrina zu. Neben einer überzeugenden inhaltlichen Analyse der beiden formal unterschiedlichen Reden arbeitet er heraus, dass beide Reden trotz verschiedener Verfasser auf dieselben biblischen Metaphern von »Jungfrau« und »Sklavin« zurückgreifen, die allerdings jeder Gregor je anders in­terpretiert.
Ashbrook Harvey, Biblische Frauen in der syrischen Tradition, widmet sich der Präsentation von (biblischen) Frauengestalten in der syrischen Tradition und hebt dabei deren Bedeutung als Frauen wie als Einzelfiguren heraus. Entsprechend der herausragenden Bedeutung der Sünderin nach Lk 7,36–50 in der syrischen Tradition erhält dabei diese Figur zentrale Beachtung. Sie wird zum Sinnbild des sündigen Menschen, der trotz aller dämonischen und gesellschaftlichen Widerstände ihrem Wunsch nach Umkehr und Buße erfolgreich nachkommt.
Moretti, Die Bibel und der Diskurs … über Frauen. Von Tertullian bis Hieronymus, geht der Auslegungstradition von Gen 1–3 und Aussagen bei Paulus über Jungfräulichkeit, Ehe und Witwenschaft bei den wichtigsten lateinischen Kirchenvätern nach. In einer differenzierenden Textanalyse, die die Vielschichtigkeit von Positivem wie Negativem herausarbeitet, weist sie nicht nur auf den aequalitas-Gedanken bei den Kirchenvätern hin, sondern macht die normative Kraft des Faktischen von realen Frauen bei der Formulierung patristischer Gedanken sehr wahrscheinlich.
Rodríguez, Soziale Veränderung und Entwicklung des Frauenbildes […]: In einem leidenschaftlichen Appell betreibt Rodriguez die von ihr geforderte fruchtbare philologisch genaue und den Texten als Ganzes gerecht werdende relecture lateinischer patristischer Texte, nicht nur um sie angemessen bewerten, sondern auch um sie unter veränderten Gegebenheiten neu lesen zu können.
Børresen, Gendermodelle bei Augustin, hebt engagiert – nicht immer angemessen, aber vielleicht notwendig – sowohl das durch Augustin vorbereitete »Inkulturationsmodell« für ein holistisches Menschenbild im 20. Jh. hervor als auch seine Sexualfeindlich­-keit als »theologische Katastrophe«. Die positiven Impulse, die von Augustin ausgegangen sind, sieht sie im gegenwärtigen vatika-nischen Lehramt nicht nur verfälscht, sondern auch missbraucht.
Militello, Johannes Chrysostomus an Olympias, behandelt von den 19 erhaltenen Briefen des Chrysostomos die Briefe 3, 5, 7–10, 13, 16 f. ausführlicher. Obwohl die Vfn. ein negatives Resümee zieht, fordert sie kämpferisch dazu auf, zu erweisen, »dass nichts an der ursprünglichen Gleichheit von Mann und Frau zu ändern vermag – und auch nicht daran, dass die beiden nur gemeinsam ›Kirche‹ sind und sein können.« (244)
Schließlich betont Boesch Gajano, Gregor der Große und die Frauen, erneut die Ambivalenz von Aussagen über Frauen. Obwohl Gregor das in seinen moralia entworfene Frauenbild nicht revidiert hat, modifiziert er die literarische Figur der Maria von Magdala, ebenso wie die historische Figur der Scholastika. Gregor wird damit zu einem Vorbild dafür, Frauen auch anders sehen zu können, als die vorlaufende Tradition sie nur allzu häufig wahrgenommen und interpretiert hat.
Die Aufsätze sind durchweg gut lesbar, eine umfangreiche Bibliographie und ein Textstellenregister machen den Band zu einer ergiebigen Fundgrube für eigene Forschungen.