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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1014–1017

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Best, Ernest

Titel/Untertitel:

A Critical and Exegetical Commentary on Ephesians.

Verlag:

Edinburgh: Clark 1998. XXIX, 686 S. 8 = The International critical Commentary on the Holy Scriptures of the Old and New Testament. Lw. £ 39.95. ISBN 0-567-08565-1.

Rezensent:

Gerhard Sellin

In den letzten Jahrzehnten ist international eine Reihe vorzüglicher Kommentare zum Epheserbrief erschienen, von denen der vorliegende nicht nur der ausführlichste, sondern auch einer der hervorragendsten ist, was Genauigkeit, Begründung der exegetischen Urteile und - vor allem - Lesbarkeit betrifft.

Die Einleitung (94 Seiten) hat selber schon monographisches Format. Ihr Aufbau ist am klassischen Ideal der "Einleitung" ausgerichtet: Nacheinander werden Adressaten, Verfasser, Ort und Zeit der Abfassung, Theologie, literarische Gestalt (Gattung, Rhetorik), Intention und Anlaß, vorgeformtes Material, Background (Sozial- und Religionsgeschichte) und Textüberlieferung jeweils in der Perspektive des Ergebnisses dargestellt. Die Reihenfolge der Themen steht freilich neueren "analytischen" Anordnungen entgegen, die - mit guten Gründen - mit dem "Text" beginnen und über Form und Gattung sowie Literarkritik zur Situation (Anlaß und Intention) und schließlich zur Theologie gelangen. Dieser "Einleitung" läßt sich bereits entnehmen, wo der Kommentar seine Schwerpunkte hat und zu welchen Ergebnissen bezüglich übergreifender Themen sein Verfasser gelangt.

Zu den Schwerpunkten hat B. Aufsätze verfaßt, die als Begleitband für den Kommentar erschienen sind (Essays on Ephesians, Edinburgh 1997): u. a. zur Adresse (1,1), zur Verwendung von liturgischem und bekenntnishaftem Material, zum Verständnis des Judentums in 2,11-22; zur Paränese, zur Haustafel. Ein wichtiger Aufsatz, der nicht mehr in diesen Band aufgenommen wurde, befaßt sich mit dem Verhältnis des Eph zum Kol und damit zur Verfasserfrage: Who Used Whom? The Relationship of Ephesians and Colossians, NTS 43, 1997, 72-96.

Aufgrund der Textüberlieferung von 1,1 setzt B. voraus, Eph sei ein überregionales Schreiben. Die Nähe zum Kol spreche für Kleinasien. Die These, es richte sich an Neophyten, wird zu Recht abgelehnt. Größten Umfang hat die Klärung der Verfasserfrage, bei der das Verhältnis zum Kol eine Rolle spielt. B. ist der Meinung, Eph und Kol seien unabhängig von zwei unterschiedlichen Vertretern der Paulus-Schule verfaßt worden. Ihre Verwandtschaft sei nicht literarkritisch, sondern traditionsgeschichtlich zu erklären. Diese - mich nicht überzeugende - These von zwei parallelen Deuteropaulinen hat zur Folge, daß z. B. die Exegese der Haustafel und der "Tychikus-Notiz" (6,21f.) erheblichen Aufwand zur Abwehr der näherliegenden Erklärung literarischer Abhängigkeit vom Kol erforderlich macht (B. verweist dafür auf seinen oben genannten Aufsatz). - Äußerlich bezeugt werde Eph erstmals von Polykarp (möglicherweise auch schon von Ignatius; B.s eigene Argumentaion spricht eigentlich dagegen: S. 16). Die Datierung in die Zeit zwischen 80 und 90 ist plausibel (spricht aber auch dafür, Eph für tritopaulinisch zu halten). Kenntnis echter Paulinen bestehe sicher im Falle von Röm und 1Kor, vielleicht auch von Phlm und 2Kor. Einen bisher kaum beachteten Unterschied zur Situation des realen Paulus entdeckt B. an Hand der Haustafel. Diese setzt voraus, daß die Gemeinden nur aus rein christlichen Haushalten bestehen (35.44.75.525.625), was für die Gemeinden der genuinen Paulusbriefe (und faktisch auch für die Gemeinden der realen Adressaten des Eph) nicht zutrifft. Seine Erklärung finde das im Kirchenkonzept des Eph, der nur am "inneren Leben" der Kirche interessiert sei ("a ’church ethic’"), woraus sich das Fehlen missionarischer und organisatorischer Aspekte beim Kirchenbegriff (635 ff.) und das Übermaß an binnenbezogener Paränese (642 ff.) erkläre - eine beachtliche These. - Inhaltliche Schwerpunkte der Theologie liegen entsprechend im Konzept der Kirche und in der Ethik, die jeweils die beiden Hauptteile des Eph prägen und die von B. separat in zwei angehängten Essays behandelt werden (622 ff.). Damit wird die paränetische Hälfte des Eph aufgewertet. Der theologische Teil der Einleitung ("Thought": 46 ff.) stellt den kosmisch-heilsökonomischen Rahmen vor (angelegt in der Eulogie 1,3-14, gipfelnd im Abschnitt von der einen Kirche aus Juden und Heiden: 2,11-22).

Erst im Anschluß hieran behandelt B. den literarischen Charakter - mit gewisser Reserviertheit gegenüber rhetorischen, epistolographischen und gattungskritischen Theorien. Eine eingehendere Analyse des formalen Aufbaus des ganzen Briefes fehlt überhaupt. Eph sei am ehesten als Homilie aufzufassen, die sich liturgischer und paränetischer "minor genres" bediene, woraus sich auch die situative Abstraktheit erkläre. Der briefliche Rahmen sei lediglich Reminiszenz an die Paulusbriefe. - Einen dritten Schwerpunkt der Einleitung (neben Verfasserfrage und Theologie) bilden die Abschnitte über Anlaß, Intention, "preformed material" und Hintergrund. B. vermutet, daß der Autor den aus unterschiedlichen Vereinen, Kulten und Ethnien stammenden Christen eine generelle theologische und ethische Orientierung geben wollte (75). Insoweit es sich um Heiden handelt, gehört dazu auch die Frage des Verhältnisses zu Israel, die in 2,11-22 paradigmatisch für das Thema der neuen "Einheit" behandelt wird. In der Tat erklärt das nicht nur die Dominanz des "Einheits"-Themas, das also nicht nur eine "Kontrafaktur" zur römischen Reichsideologie darstellt (dieser These von E. Faust steht B. eher zurückhaltend gegenüber: 235.251 f.), sondern auch die durchgehende ekklesiologische Binnenperspektive im ethischen Teil.

Abgesehen von AT- und (wenigen) urchristlichen Zitaten (4,4-6; 4,8; 5,14; Haustafel) findet B. keine vorformulierten Texte wie z. B. "Hymnen", was seiner Abneigung gegenüber jeglicher Literarkritik entspricht. Hierin steht dieser Kommentar durchaus im Trend der neuesten Eph-Exegese. - Das gilt auch für die religionsgeschichtliche Frage: Gnosis, Mysterienreligionen, Magie, Stoa, Qumran, rabbinisches Judentum hätten gar keinen oder nur peripheren Einfluß. Wichtiger sei das hellenistische Judentum (Philo). B. betont im Essay über die Kirche (622-641) und im Exkurs "Leib Christi" (189-196) zu Recht die ontologische Konstitution und Präexistenz der Kirche (vgl. 630.634 ff.), ohne aber hier die platonisch-philonischen Denkmuster heranzuziehen. Die "Bilder" des Eph stehen ja auf der Grenze zwischen Metapher und Symbol (vgl. 653); letzteres aber verlangt eine diachrone Verortung. Insgesamt wird auch die religionsgeschichtliche Fragestellung auffallend zurückgehalten. Das hat sicher einen beachtlichen Grund: Die Aussagen des Eph sollen für sich sprechen und weder durch formale noch konzeptionelle Filter fremdbestimmt werden. Ob das möglich ist, darüber müßte eine hermeneutische Diskussion geführt werden, was in diesem Rahmen nicht möglich ist.

Die sorgfältige und anregende Exegese, die in diesem Kommentar durchgehend musterhaft praktiziert wird, kann nur exemplarisch vorgeführt werden. Ich habe dazu Beispiele gewählt, wo mir eine Diskussion der Lösungen möglich ist.

1,1: Nicht überzeugt hat mich die textkritische Lösung des Adressenproblems. Den seiner Meinung nach ursprünglichen Text gewinnt B. durch eine Auslassungskonjektur: "den Heiligen und Gläubigen in Christus" (eine "katholische" Adresse). "Die da sind in Ephesus" sei erst sekundär vom Außentitel ins Präskript geraten. Das usin fehlt freilich in keiner Handschrift. Und daß aus der Textform mit dem Namen Ephesus dann wieder (durch Erinnerung daran, daß "in Ephesus" ursprünglich nicht im Präskript gestanden hätte) die Textform ohne "in Ephesus" entstanden sei, ist wenig einleuchtend.

1,3-14: Das "Tor" zur Welt des Eph ist die Eulogie. Neben überzeugenden Beobachtungen zur Gattung und zum literarischen Stil hebt B. zu Recht hervor: "The eulogy is not ... a thematic introduction" (112), also keine "Ouvertüre", denn ihre Themen erstecken sich nicht einmal auf die Hälfte des Schreibens. Freilich wird nicht ganz deutlich, was sie dann ist. Da B. (ebenfalls zu Recht) in dem Text keinen zitierten oder vom Eph-Vf. konstruierten Hymnus sieht, zieht er den Schluß, die Struktur des Textes liege nicht in der Form, sondern im Inhalt. Damit gewinnt er zwar die weiterführende Erkenntnis, daß die Eulogie als Prolog den heilsökonomischen Rahmen absteckt (von der vorzeitlichen Erwählung bis zur Vollendung), doch ist die Alternative von Form und Inhalt nicht befriedigend. B.s strophischer Gliederung nach den Relativsätzen (ev lo) wäre eine nach den Partizipien (ho eulogesas ... proorisas ... gnorisas) vorzuziehen, was der Gattung der Eulogie entspricht. Wichtig für das Verständnis des ganzen Eph ist aber B.s Erkenntnis, daß "in Christus" instrumentale und lokale Bedeutung zugleich hat.

1,23: Dieser Vers ist ein "Brocken" an dem sich jede Kommentierung abarbeiten kann: (Gott gab ihn als Haupt über das All der Kirche) "which is his body, the fullness of him who is being totally filled". Das Partizip plerumevu ist damit in passivischem Sinne übersetzt (als Medium hätte es aktivische Bedeutung - was jedoch selten ist und im NT [und LXX] sonst nie vorkommt). Ta pauta en pasin muß dann adverbial übersetzt werden ("totally", bei aktiver Bedeutung des Mediums wäre ta pauta direktes Objekt). To pleroma (die Fülle") ist Apposition zu "Leib" (die Kirche) und wird passivisch interpretiert. B.s Deutung ist konsistent: Die Kirche (als Leib Christi) ist von Christus "angefüllt", der wiederum von Gott "angefüllt" ist. Das heißt: Gott ist in Christus, und Christus ist in der Kirche. Das entpricht Kol 1,19 und 2,9. - Von V. 22 her liegt eine andere Deutung aber näher, bei der plerumevu aktivisch und ta pauta en pasin wörtlich als direktes Objekt aufzufassen sind. Die Kirche ist von dem "angefüllt", der selber das All in allen seinen Teilen "anfüllt". Die Funktionen Christi als Kosmokrator und als Herr der Kirche wären dann zwei parallele Sachverhalte. Beide Deutungen sind möglich, haben aber unterschiedliche Konsequenzen für die Sicht des Verhältnisses von Kirche und Welt.

2,11-22: Zu Recht stellt B. heraus, daß das Verhältnis Israel-Heiden bzw. Juden- und Heidenchristen keine aktuelle Bedeutung zur Zeit des Eph mehr hat. Dies Thema dient vielmehr der Konstituierung der kosmischen Kirchen-Universalität unter Christus als Haupt. Um so überraschender ist, daß B. dem Christustitel in 2,12 "a clear messianic reference" zuschreibt (241). Zu Recht bestreitet er, daß der Artikel über die Bedeutung des Titels entscheide (er fehlt hier, steht aber in 1,10, wo jede messianische Komponente auszuschließen ist; für 1,12, wo er ebenfalls steht, weshalb diese Stelle vielfach messianisch gedeutet wird, schließt B. sie aber ebenfalls aus). Auch in 2,12 scheint mir die messianische Bedeutung unwahrscheinlich zu sein: "ohne Christus" ist zunächst Gegenbildung zu "in Christus", in dem die Heiden ja "einst" noch nicht waren. Damit ist aber der Gedanke der Heils-Prärogative Israels keineswegs abgetan, denn im Hintergrund steht Röm 9,4: Den Heiden fehlten, solange sie nicht "in Christus" waren, die Verheißungen, die Israel besaß. Mit diesen Vorzügen Israels hat aber die Messias-Idee unmittelbar nichts zu tun. B. möchte allerdings das Christusprädikat "Frieden" (2,14) aus Jes 9,6 (einem "messianischen" Text) ableiten, was aber im Hinblick auf die LXX-Fassung unwahrscheinlich ist. Davon abgesehen ist B.s Beschreibung der Position des Eph zum Verhältnis Kirche-Israel zuzustimmen: Israel hat den Heiden die Verheißungen und das familiare Gottesverhältnis voraus.

Die Exegese der Haustafel (5,22-6,9) stellt einen weiteren Höhepunkt des Kommentars dar. B. nimmt an, daß Kol und Eph unabhängig voneinander eine noch nicht christliche, aber wohl bereits jüdisch adaptierte Ur-Haustafel zugrundegelegt hätten, die aus drei Doppelgliedern bestanden hätte. Die Voraussetzung von "unmixed households" erkläre sich durch die jüdische Herkunft bzw. Vermittlung. Der Eph-Vf. hat aus der Eheparänese zugleich eine Belehrung über das Verhältnis von Christus und Kirche gemacht (5,22-33), d. h. der Text hat zwei Referenzebenen. Das ist im Grunde ein allegoretisches Verfahren - doch selbst für 5,31 f. möchte B. nicht von Allegorese, sondern nur von Metaphorik sprechen und bleibt in der Deutung sehr zurückhaltend. Das Zitat aus Gen 2,24 läßt sich aber m. E. auf der Linie von 5,23c.28a.29.32 im Sinne von Phil 2,6 ff. deuten. Ich vermute jedoch, daß dieser Vorschlag dem Vf. dieses Kommentars zu weit gehen würde.

Insgesamt erfüllt dieser Kommentar fast alles, was man von einem idealen Kommentar erwartet: erschöpfende Information, ausführliche und immer nachvollziehbare Begründungen, kritische Disziplin, hermeneutische und methodologische Reflexion, vorzügliche Lesbarkeit. Autoren- bzw. Quellen-, Sach- und Stellenregister machen ihn bequem handhabbar.