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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1045–1047

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mühling, Markus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott und Götter in den Weltreligionen. Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Konfuzianismus, Buddhismus.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 288 S. = Grundwissen Christentum, 5. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-525-56853-8.

Rezensent:

André Ritter

»Dieser Band gibt eine Einführung in die Gottes- und Göttervorstellungen einiger der wichtigsten Religionen«, schreibt der Herausgeber Markus Mühling, Professor für Systematische Theologie und Wissenschaftskulturdialog an der Leuphana Universität Lüneburg. »Zu fragen ist dabei, was überhaupt unter einer ›Theologie‹, einer Lehre, die sich auf ›Gott‹ oder ›Götter‹ bezieht, zu verstehen sein soll, und ebenso die nicht minder wichtige Frage, was unter ›Religion‹ zu verstehen ist.« (7 f.) Bemerkenswert ist allerdings, dass unter ausdrücklichem Hinweis auf Martin Luther die Begrifflichkeit recht weit gefasst wird: »Worauf du nun […] dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott.« (9) Eben unter dieser Prämisse soll es also gelingen, die verschiedenen in diesem Band repräsentierten Religionen mit ihren vielfältigen Vorstellungen von »Gott« bzw. »Göttern« zur Darstellung zu bringen. Doch kann und wird es am Ende wirklich überzeugend sein?
Nachweislich ist unsere gegenwärtige Lebenswelt insbesondere durch gesellschaftlichen und religiösen Pluralismus geprägt. Doch die Fragen, worum es in den unterschiedlichen Religionen jeweils geht, welche Vorstellungen sie von Gott bzw. von den Göttern haben und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, sind den Zeitgenossen oft nur unzureichend bekannt. Mehr denn je stellt sich Mühling zufolge die Frage des friedlichen und toleranten Zusammenlebens der Religionen: »Ob und in welcher Form […] Toleranzprinzipien in den einzelnen Religionen vorliegen, hängt wiederum vom Gottesverständnis ab.« (23) Die Beiträge von David A. Gilland, Daniel Krochmalnik, Lai Pan-hiu, Christian Meyer, Markus Mühling, Perry Schmidt-Leukel, Klaus von Stosch, Hans Waldenfels und Donald A. Wood wollen diesbezüglich nun Abhilfe schaffen, indem sie die Verständnisse von Gott und den Göttern in den Religionen bewusst in den Mittelpunkt stellen. Konkret stellen sie aus je eigenem Blickwinkel ihre »Theo-logie« von Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Konfuzianismus, chinesischem Buddhismus und Zen-Buddhismus vor.
Mit Blick auf das christliche Verständnis von Gott ist es gerade die kirchliche Trinitätslehre, die auf exemplarische Weise verdeutlichen hilft, was auch unter den Bedingungen eines religiösen Pluralismus zur Geltung kommen soll: Trinitarisches Denken und Reden von Gott ist – als Hoffnung und im Vertrauen auf die Verheißungen Gottes – offen für die zukünftigen Erfahrungen und die Umgestaltung der Welt vom versöhnenden Handeln Gottes her. Gerade darin wird die Konkretheit wie auch die Erfahrungsbezogenheit christlichen Redens von Gott deutlich. Im Kontext des interreligiösen Dialogs stellt sowohl die Konkretheit als auch die Erfahrungsbezogenheit dieser Denk- und Redeweise eine (selbst-)kritische Herausforderung christlicher Theologie und Kirche im Horizont anders geprägter Gotteserfahrungen dar. In diesem Sinne wird sich der jeweilige Wahrheitsanspruch also stets konkret zu bewähren und – auf Erfahrung bezogen und zugleich im Sinne von Daseins- und Handlungsorientierung verstanden – als dialogfähig zu erweisen haben (vgl. André Ritter, Der Monotheismus als ökumenisches Problem. Eine Studie zum trinitarischen Denken und Reden von Gott im Kontext des christlich-muslimischen Dialogs, Hamburg 1998).
Davon ausgehend lassen sich nun bekenntnisgemäße Wechselwirkungen von Gotteslehre einerseits und Weltverständnis andererseits aufweisen, wie auch gleich der nächste Beitrag nachzuweisen bemüht ist. So zeigen die beiden Theologen Donald Wood und David A. Gilland in ihrem dogmengeschichtlich bzw. systematisch-theologisch orientierten Beitrag zur Entwicklung der kirchlichen Trinitätslehre auf, dass das Verhältnis von Gott und Welt seit der Zeit der Alten Kirche stets als eine Verschränkung von Gottes trinitarischem Leben und seinem schöpferischen wie rettenden Handeln in der Welt zu verstehen ist (vgl. 66). »Eine unhintergehbare Voraussetzung des Unternehmens, von Gott in der Situation des religiösen Pluralismus zu sprechen, besteht für die christliche Theologie in einer intensiven Beschäftigung mit der Geschichte der christlichen theologischen Reflexion über die Identität Gottes […]« (69 f.).
Ganz anders geht die an den biblischen Schriften orientierte Abhandlung des jüdischen Religionspädagogen Daniel Krochmalnik vor, indem sie auf die Fragen 1. Gibt es Gott? 2. Wer ist Gott? 3. Was will Gott? 4. Wo wohnt Gott? und 5. Wo bleibt Gott? aus jü-discher Perspektive nun eigene Antworten zu geben sucht – unterbrochen vom nachdenklich stimmenden Exkurs über »Sklavenmoral« und »Herrenmoral« und der kritischen Besinnung »Gegen Gott«; »Es ist bestimmt kein Zufall, dass der moderne Sklavenstaat mit der Auslöschung jenes Volkes begann, das die Sklavenbefreiung zum Kernpunkt seiner Religion und zum Hauptattribut seines Gottes gemacht hat.« (89 f., über Erfahrungen und Einsichten des Holocausts) Und nicht zuletzt deshalb wird folgendes Fazit gezogen: »So universal die biblische Botschaft auch ist, ihre Ge­schichte geht durch das winzige Nadelöhr Israel.« (90) Leider fehlt eine sich daran anschließende Reflexion auf Fragen des interreligiösen Dialogs mit den »Tochterreligionen« (100).
Nochmals ganz anders fällt der Beitrag über »Gott im Islam« aus, denn hier referiert und interpretiert Klaus von Stosch als katholischer Fundamentaltheologe. Vielleicht erklärt sich von da­her sein bemerkenswertes Fazit am Schluss: »So wie JHWH aus christlicher Sicht als der Gott Jesu Christi identifiziert wird, ohne dass man Juden ein Bekenntnis zu Christus abverlangen könnte, wäre es bei einer derart gestalteten islamischen Theologie möglich, auch den Gott des Korans als Gott Jesu Christi zu identifizieren.« (140) Nota bene! Diese Schlussfolgerung lässt die in diesem Beitrag ausführlich diskutierte Frage nach dem Offenbarungsverständnis bzw. der Schriftauslegung gerade aus komparativer Sicht spannend wie spannungsvoll erscheinen.
Mit dem religionswissenschaftlichen Beitrag von Perry Schmidt-Leukel über »Gott im Hinduismus« wird dann schließlich die Frage erörtert, wie sich nun Monotheismus bzw. Monismus und Polytheismus zueinander verhalten. Zwar lasse der in den vedischen Texten begegnende Polytheismus »weder eine eindeutig abgegrenzte Anzahl noch eine systematische Ordnung der verschiedenen Gottheiten erkennen« (145), doch »sehr oft wird die Einheit des Göttlichen in der Vielfalt seiner Erscheinungen auch durch die Konstruktion weitreichender und keineswegs immer einheit-lich dargestellter Verwandtschaftsbeziehungen zum Ausdruck ge­bracht« (149). Damit stellt sich pointiert die Frage nach religiöser Vielfalt: »Die immense Vielfalt an unterschiedlichen Gottheiten, heiligen Schriften, religiösen Ideen, rituellen Vollzügen und kul-tischen Gemeinschaften in Indien konnte nur dadurch mit dem Gedanken versöhnt werden, all dieses gehöre zu einer einzigen Re­ligion, nämlich der Religion des Hinduismus […]« (169), worunter z. B. auch Chris­tentum und Islam subsumiert werden. Ob nun hinduistische Konzeptionen eines religiösen Pluralismus oder ihre praktizierte »Vereinnahmung« anderen und fremden Glaubens, hier wie dort gibt es Anlass zu grundlegender theologischer Kritik im Verständnis von Einheit, Gemeinschaft und Vielfalt der Religionen. Dialogverweigerung und Dialogbemühung sind auf beiden Seiten zu finden, sowohl in spiritueller als auch in philosophisch-theologischer Hinsicht (vgl. 174).
Auch die übrigen Beiträge über Konfuzianismus und Buddhismus setzen die vielfältige Spurensuche in diesem Band fort, wobei zugleich deutlich wird, dass die Frage der Begrifflichkeit – mit Blick auf »Gott« bzw. »Götter« ebenso wie hinsichtlich von »Religion« bzw. »religiös« – aktuell und brisant bleibt. Gleiches gilt z. B. für das jeweilige Verständnis von »Einheit«, »Pluralität« und »Wahrheit« in den verschiedenen Religionen und Kulturen. Angesichts einer hier und heute kaum noch zu überschauenden, ja weitgehend diffusen Pluralität von Einstellungen und Lebensformen besteht die theologische Herausforderung mehr denn je darin, mögliche Übereinstimmungen mit der christlichen Überlieferung sowie fortbestehende Hürden und Grenzen sachgemäß auszuloten, argumentativ zu entfalten und plausibel darzulegen.