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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

863–864

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Neuner, Peter

Titel/Untertitel:

Abschied von der Ständekirche. Plädoyer für eine Theologie des Gottesvolkes.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2015. 288 S. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-451-31488-9.

Rezensent:

Thomas Ruster

Peter Neuner, Professor em. für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät München, hatte das Buch schon 1988 unter dem Titel »Der Laie und das Gottesvolk« veröffentlicht. Damals sollte es als fachlicher Hintergrund für die Bischofssynode über die Laien von 1987 dienen. Nun ist es in erweiterter Fassung unter einem sehr programmatischen Titel neu publiziert worden. Es geht nicht mehr nur um die Stellung der Laien, sondern grundlegend um das Verhältnis von Laien und Klerikern. Ist die anspruchsvolle Programmatik durch die Neubearbeitung gedeckt? Man würde erwarten, Antworten zu bekommen auf die Fragen nach dem Ursprung der »Ständekirche« und den theologischen Möglichkeiten zu ihrer Überwindung. Um es vorweg zu sagen: Das Buch gibt auf diese Fragen keine klaren und weiterführenden Antworten.
Den langen historischen Durchgang von den neutestamentlichen Anfängen bis zu den nachkonziliaren Entwicklungen in der Ämterfrage (Teil I–III) beobachtet N. in einer Art Dekadenzmodell: Die in der Alten Kirche noch gegebene »Gemeinschaft von Klerus und Laien« (51) bzw. die frühmittelalterliche »Harmonie von sacerdotium und regnum« (61) ist durch zunehmende Klerikalisierung zerstört worden. Ein Kulminationspunkt ist dabei der Investiturstreit und die Kirchenpolitik Gregors VII. Der Papst reklamierte einen »Überlegenheitsanspruch des Klerus gegenüber den Laien« (64), d. h. im historischen Kontext: gegenüber den Grundherren und Fürsten, die die Investitur der Amtsträger vornahmen. Als Motiv dafür führt N. nur den »Machtanspruch des Papstes« (64) an. Diese Sichtweise scheint mir wenig hilfreich zu sein, um das Phänomen der Klerikalisierung zu verstehen. Gegenüber dem Eigenkirchenwesen des 11. Jh.s bildete sich die amtstheologische Unterscheidung zwischen der mit der Weihe gegebenen Vollmacht ( po-testas) und der Erlaubnis zu ihrer Ausübung (executio potestatis) heraus, die dann in den Leitbegriffen der späteren Kanonistik (potes­tas ordinis/-iuridictionis) ihr Fortleben gehabt hat. Die Verleihung der potestas in der Weihe ohne Einweisung in ein bestimmtes kirchliches Amt stellt eine absolute Ordination dar, und erst daraus konnte sich die Lehre entwickeln, dass die Weihe einen eigenen Stand in der Kirche begründet, der dem der Laien eine sakramental begründete, d. h. von Christus selbst herkommende geistliche Vollmacht voraus hat. Erst wenn man dieses Konzept dekonstruiert, kann eine Überwindung der Ständekirche gelingen.
Das II. Vatikanum, zu dem dann die insgesamt durchaus informative Darstellung N.s führt, hat genau an diesem Punkt angesetzt. Es hat die Unterscheidung von Amt und Laien primär nicht mehr aus der sakramentalen Amtsvollmacht begründet (der Be­griff sacra potestas kommt allerdings noch vor), sondern aus der unterschiedlichen Partizipation von Bischofsamt und Laien an den drei Ämtern (Munera) Christi als Priester, König und Prophet. Dies ist ja die Systematik der entsprechenden Kapitel in der Kirchenkonstitution des Konzils: die gemeinsame Teilhabe des ganzen Gottesvolkes an den Munera (Kapitel II) und ihre Ausdifferenzierung für das Bischofsamt (Kapitel III) und die Laien (IV). Es ist höchst bemerkenswert, dass N. die auf die Tria Munera-Lehre gestützte Struktur von Lumen Gentium gar nicht erfasst, obwohl darüber theologisch schon so viel geschrieben worden ist (u. a. L. Schick, Das dreifache Amt Christi und die Kirche, 1983, sowie zahlreiche Veröffentlichungen des Leuvener »Centre for the Study of the Second Vatican Council«). Stattdessen rekurriert er nur auf die Volk Gottes-Ekklesiologie des Konzils und den apostolischen Auftrag der Laien und folgert daraus eine neue »Wertung« bzw. »Aufwertung des Laien« und das dadurch ermöglichte neue »Selbstwertgefühl« der Laien (130.137 f.). Aber mit »Aufwertung« (durch wen?) und »Gefühl« ist es nicht getan, wie nun gerade N.s Ausführungen über die nachkonziliare Entwicklung beweisen. Einen Höhe- bzw. Tiefpunkt dieser Entwicklung stellt zweifellos die interdikasterielle Instruktion »Ecclesia de Mysterio« von 1997 dar, die wieder ganz offen von der »Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester« unter Wahrung des Wesensunterschieds zwischen allgemeinem und besonderen Pries­tertum (nach LG Nr. 10) spricht und die Rechte dieser Mitarbeit (Predigt in Eucharistiefeiern, Gemeindeleitung) rigoros einschränkt (vgl. 171–176). Demgegenüber finden sich im­mer wieder auch kirchliche Verlautbarungen, die angesichts des bedrohlicher werdenden Priestermangels die Mitverantwortung der Laien, auch der hauptamtlichen Laien im pastoralen Dienst, hervorheben. Über dieses ambivalente Schwanken zwischen Betonung der priesterlichen Amtsvollmacht und Ermutigung der Laien zur Mitarbeit ist man bis heute in der katholischen Kirche nicht hinausgekommen.
N.s eigener Ansatz, den er in Teil IV nach einem Referat anderer theologischer Zugänge (Y. Congar, G. Philips, K. Rahner, E. Schillebeeckx) präsentiert, geht zuerst der Frage nach, ob es eine eigene Definition des Laien gibt. Das Ergebnis dieses Untersuchungsgangs ist negativ: Der Laie kann nicht ohne negative Abgrenzung zum Kleriker definiert werden. In diesem Zusammenhang kommt N. erstmals auf die Tria Munera-Lehre zu sprechen.
M. E. offenbart dieser Abschnitt (247–249) erhebliche Informationslücken N.s über die Entstehung und die Gestalt der Munera-Lehre. Das Resultat ist aber zutreffend. Es stimmt, »dass das Modell vom dreifachen Amt keine Basis bietet, den Laien vom Amtsträger zu unterscheiden. Hier lassen sich partielle Übereinstimmungen in Auftrag und Sendung aufzeigen, eine Definition des Laien lässt sich daraus nicht ableiten« (249). Aber das heißt doch nun umgekehrt, dass vom Munera-Modell her die Übereinstimmungen und nicht die Unterschiede zwischen Amt und Laien überhaupt erst in den Blick kommen. Dass also der »Abschied von der Ständekirche« eben hier, und zwar in engstem Anschluss an das Konzil, ansetzen kann. Die An­schlussfrage, die sich ergeben würde, wenn man dieser Linie folgt, ist die, warum das Konzil die Art der Partizipation der Bischöfe und der Laien am dreifachen Amt in so unterschiedlicher, fast schon äquivoker Weise beschrieben hat.
Aber zurück zu N. Im letzten Abschnitt seines Buches erklärt er rückblickend auf den erfolglosen Versuch, eine eigenständige Definition des Laien im Gegenüber zum Kleriker zu finden: Eine solche abgrenzende Definition ist gar nicht nötig. Alle Christen sind Laien im Sinne ihrer Zugehörigkeit zum Gottesvolk. »Dem Wort ›Laie‹ entspricht somit keine Realität, die ihn vom Christen oder vom Kirchenglied unterscheiden würde« (253). In diesem gemeinsamen Kirchenvolk muss es dennoch Ämter geben. Das durch Ordination verliehene Amt repräsentiert »das Gegenüber, […], die Kraft von außen […] Die Amtsträger sprechen und handeln im Namen der Kirche und insofern im Namen Chris­ti« (258). Das Amt hat »eine Vollmacht, die nicht in einer Delegation durch die Gemeindeglieder gründet« (259), sondern vom »Ge­genüber« kommt, im Klartext: von Chris­tus.
Mit diesen Schlusssätzen stehen wir wieder am Anfang und finden uns zurückgeworfen auf den Grund des Problems. Wenn es das intendierte vollmächtige amtliche Handeln im Namen des »Gegenübers« gibt, dann gibt es auch zwei »Stände« in der Kirche. Ein »Abschied von der Ständekirche« ist auf diesem Weg gewiss nicht in Sicht, und es fragt sich, ob N. ihn überhaupt ernsthaft im Sinn hatte.