Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

860–862

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Klappert, Sebastian

Titel/Untertitel:

Das Verhältnis des Papstes zu den Diözesanbischöfen nach dem Codex Iuris Canonici von 1983.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2014. 311 S. = Kanonistische Studien und Texte, 63. Kart. EUR 89,90. ISBN 978-3-428-14378-8.

Rezensent:

Philipp Thull

Hans Barion (1899–1973) war eine schillernde Persönlichkeit. Er war ein randständiger und doch wirkmächtiger Provokateur mit problemorientierter Sicht für Detailfragen. Seine von berechnendem Scharfsinn und bestechender Klarheit geprägten Schriften sind bis heute unvergessen, sie verlangen dem Leser nicht nur ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit ab, sie fordern ihn zuweilen auch zu aktivem Widerspruch heraus. Sie, die aus heutiger Perspektive weitgehend überwunden erscheinen, finden noch oder wieder Berücksichtigung bei der Erörterung wesentlicher Grundfragen des Ka-nonischen Rechts und dienen als Angelpunkt der sogenannten »korrekten Kanonistik«.
Dieser kanonistischen Schule sieht sich auch Sebastian Klappert, derzeit Referent im deutschen Bundesministerium des In­nern, zugehörig. In seiner juristischen Dissertationsschrift versucht er jedenfalls, »dem Selbstverständnis einer strengen juris-tischen Methodik der Gesetzesauslegung [zu folgen], die die Position des Gesetzgebers und des höchsten kirchlichen Lehramtes ernst nimmt und der sich in der Kirchenrechtswissenschaft die Schule der ›korrekten Kanonisten‹ verpflichtet fühlt« (17). Schon auf den ersten Seiten seines Werkes führt er den Leser in Form eines programmatischen Bekenntnisses in seinen Denkansatz ein:
Erstens habe sich der Kanonist bei der Auslegung der kodikarischen Rechtsnormen streng am Gesetzeswortlaut zu orientieren – diese »für den weltlichen Juristen selbstverständliche Methodik« gelte für ihn gleichermaßen. – Ist das wirklich so? Gem. c. 17 CIC/ 1983 sind im Zweifel stets Parallelstellen, Zweck und Umstände des Gesetzes und die Absicht des Gesetzgebers zu berücksichtigen.
Zweitens sei es durch solcherlei Vergewisserung der »Auslegungsregeln für kirchliche Rechtsnormen« notwendig, »der im theologischen und kanonistischen Schrifttum weitverbreiteten Methode zu einer ›dynamischen‹ und ›progressiven‹ Interpretation der Kirchengesetze zu begegnen«. Eine »konzilskonforme oder konzilsnahe Interpretation der Rechtsnormen im Geiste des aggiornamento [sic!] des Zweiten Vatikanischen Konzils« lehnt K. jedenfalls ab und erklärt, die vermeintliche »Schlacht gegen den Codex« sei mit dem Konzil nicht zu gewinnen, da »der Codex das Konzil sticht«. Mittels »unvoreingenommenen und nüchternen Blicks auf den Gesetzestext« (16) will er zur »Entmythologisierung« (Lüdecke, Rezeption, 65) dieses letzten Konzils beitragen, das »vom kirchenrechtlichen Standpunkt aus nicht mehr als ein vergangenes historisches Ereignis im Leben der Kirche« sei.
In seinem grundsätzlich lobenswerten Bestreben, »Geschichte und Tradition von zwei Jahrtausenden der Kirche« (16) nicht einer Preisgabe anheimfallen zu lassen, übersieht K. offenbar, dass der 1983 von Johannes Paul II. promulgierte Codex Iuris Canonici nicht nur in »der jahrhundertlangen kanonischen Tradition der abendländischen Kirche« verwurzelt, sondern auch entscheidend »ge­prägt [ist] durch den Geist des II. Vatikanischen Konzils« (Lehmann, Geleitwort zur 5. Auflage des CIC/1983). Das letzte Konzil im Vatikan sucht K. anscheinend als einen bedauernswerten Bruch zu entlarven und seine theologisch weitreichenden Beschlüsse durch das Recht ausstechen zu wollen.
Für den »immer stärkeren Bedeutungsrückgang des Kirchenrechts an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten« macht er das seines Erachtens »einseitige Verständnis des Kirchenrechts als einer theologischen Disziplin« (17) verantwortlich. Will er nicht hinnehmen, dass man das Kanonische Recht gerade nach diesem Konzil in einem immer engeren Verhältnis zur Theologie wird sehen müssen, »weil auch es selbst«, wie Papst Paul VI. seinerzeit zu Recht bekräftigte, »eine theologische Wissenschaft darstellt«? Über so viel Eigensinn kann man sich nur wundern und antworten, dass mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gerade »jene Zeit endgültig vorbei [ist], da sich gewisse Kanonisten weigerten, den theologischen Aspekt der von ihnen vertretenen Disziplinen oder der von ihnen angewandten Gesetze in Betracht zu ziehen. Heute ist es unmöglich, Studien des kanonischen Rechts ohne ernsthafte theologische Bildung anzustellen.« (Paul VI, Ansprache v. 17.09.1973, in: AfkKR 142 [1973], 463–471, 464)
Das Verhältnis des Papstes zu den Diözesanbischöfen, wie es im CIC/1983 dargestellt wird, stellt K. nach kurzer Einleitung (15–17) in insgesamt fünf Kapiteln dar. Nachdem er die Rechtsstellung des Papstes (18–29) und des Diözesanbischofs (30–38) herausstellt, jeweils unter Berücksichtigung des Ursprungs der päpstlichen bzw. bischöflichen Vollmacht und des Umfangs der päpstlichen bzw. diözesanbischöflichen Gewalt, geht er auf das Verhältnis des Papstes zum Diözesanbischof ein (39–97). Anschließend erörtert er die Rechtsstellung des Bischofskollegiums (98–162) und bewertet abschließend das Verhältnis des Papstes zum Bischofskollegium (163–271).
Wie ein roter Faden durchzieht die von K. vertretene Auffassung, wonach die Kirche eine klerikale, vom Papst regierte absolute Monarchie sei, die gesamte Studie. Wohl müsse sich ein »Eingreifen nach päpstlichem Gutdünken« an der Berücksichtigung des ius divinum und am inneren Anspruch des Amtes messen lassen (47.51). Da es sich jedoch um zwei Kriterien handle, die einer rechtlichen Überprüfung entzogen seien, komme dem Papst aus kirchenrechtlicher Sicht im Ergebnis eine »zwar nicht willkür-liche, wohl aber freie, rechtlich nicht überprüfbare und allein dem eigenen Urteilsvermögen unterliegende Amtsgewalt […] über die diözesanbischöfliche Gewalt« (47) zu. Er dürfe »jederzeit nach Gutdünken in die diözesanbischöfliche Amtsgewalt eingreifen« (51).
Im Rahmen umfangreicher Erörterungen zum Subsidiaritätsprinzip (58-97) kommt K. dann auf die Wirkmacht des Heiligen Geistes als einem »überrechtliche[n] Kriterium« zu sprechen, welches »das grundsätzliche Problem zweier sich scheinbar ausschließender Dimensionen kirchlichen Rechts zu Tage [treten lasse]: das Verhältnis zwischen theologisch-ekklesiologischem und kanonis­tisch-juridischem Wesen kirchlichen Rechts« (92). Richtig ist zwar, dass eine voreilige Berufung auf den Heiligen Geist nicht die Ausschaltung jeglicher rechtlicher Möglichkeiten bedingen darf, allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass das Charisma neben Wort und Sakrament immerhin zu den wesentlichen Strukturelementen der Kirche gehört und seine eher stiefmütterliche Behandlung im kanonischen Recht oft genug kritisiert worden ist. Immer wieder spielt K. die Theologie gegen den Juristen oder den »juris­tisch denkenden Kanonisten« aus und wittert in der scheinbaren »Überbetonung der theologischen Elemente« gar den Hang zur »Entrechtlichung« und »Entmenschlichung des Kirchenrechts«. Eine angebliche »spiritualisierende Überhöhung des Rechts mit Verweis auf die Kategorie des Heiligen Geistes« berge die Gefahr, »verfassungsrechtliche Konfliktsituationen im Verhältnis von Papst und Diözesanbischof mit Hinweis auf die Wirkkraft des Heiligen Geistes zu verschleiern und durch moralische Appelle zu verharmlosen« (93).
Dass seine Sicht, die das »pneumatologische Element« in sehr ungebührlicher Weise als »ein außerrechtliches, nicht normatives Steuerungsmittel« (97) abtut, in Konsequenz in ein juridisch engstirniges, antispirituelles, ökumenisch fragwürdiges Konzept des Kanonischen Rechts mündet, das obendrein ein einseitiges, von der Theologie losgelöstes Kirchenbild befördert, welches das rechtliche Element und die Rolle des Gesetzes völlig übertreibt und in keiner Weise der Kirche als einer »einzigen komplexen Wirklichkeit« gerecht wird, »die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst« (LG 8, 10), scheint K. billigend in Kauf zu nehmen.
Dass er augenscheinlich zu einem rein monarchischen Modell tendiert, belegen auch seine Ausführungen hinsichtlich des Verhältnisses des Papstes zum Bischofskollegium. Unter Zurückweisung der Lehre vom Bischofskollegium mit dem Papst als Subjekt der Höchstgewalt in der Kirche kommt er u. a. zu dem fragwürdigen Ergebnis, dass der Papst nach geltendem kanonischem Recht, wie es im CIC/1983 niedergelegt sei, »absoluter und uneingeschränkter Souverän« (206) der Kirche sei, alleiniges Subjekt der höchsten und vollen Gewalt über die Kirche (vgl. 210). Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil betonte communio-Struktur der Kirche deutet er aus rechtlicher Sicht anscheinend ausschließlich als eine »communio hierarchica mit pyramidalem Aufbau« (219), ohne ihre Dimensionen als communio ecclesiarum und communio fidelium auch nur ansatzweise zu würdigen.
Störend erscheinen nicht zuletzt die durchgehende Verwendung originär juristischer Termini für kanonistische Sachverhalte und die mangelnde Differenzierung zwischen den Begriffen »juris­tisch« und »kanonistisch«.
Wer den Codex in seiner Bedeutung künstlich überhöht, indem er ihn isoliert interpretiert oder von den in ekklesiologischer Hinsicht maßgeblichen Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils löst, der muss zwangsläufig zu verfehlten, wenn nicht absonderlichen Ergebnissen gelangen – mag die Studie auch noch so sorgfältig aufbereitet sein. So gern und euphorisch K. im Vorwort seine durch das Pontifikat Papst Benedikts XVI. bestärkte »unerschütterliche Treue zur römisch-katholischen Kirche« (7) betonen mag, so viel weniger erweist sich seine Studie am Ende als »ein Beitrag […], den Dialog zwischen weltlichen Juristen und kirchlichen Kanonisten bei der Durchdringung des Rechts der Kirche fortzusetzen« (17). Vielmehr handelt es sich hier – der theologisch und kanonistisch geschulte Leser wird nicht umhin können, dies festzustellen – um einen Stolperstein, der den ohnehin schon mühsamen Weg zum besseren Verständnis der Aufgabe und Bedeutung des kirchlichen Rechts für die geistlich-sichtbare Heilsgemeinschaft, die die Kirche ist, noch beschwerlicher macht.
Ist ein solcher Ansatz wirklich im Sinne korrekter Kanonistik, die sich nicht nur um eine von juristischem Scharfsinn geprägte Objektivität, sondern immer auch um besondere Nähe zum Lehramt müht?