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Ausgabe:

Juli/August/2016

Spalte:

828–830

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Pietrowski, Damian

Titel/Untertitel:

Alles, was ist, ist auf etwas aus. Die schöpfungstheologischen Prämissen der Philosophie Robert Spaemanns.

Verlag:

Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2015. 232 S. = THEOS – Studienreihe Theologische Forschungsergebnisse, 120. Kart. EUR 88,90. ISBN 978-3-8300-8073-2.

Rezensent:

Alexander Loichinger

Die an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn im Fach Dogmatik erstellte Promotionsarbeit von Damian Pietrowski beschäftigt sich mit dem renommierten Münchener Philosophen Robert Spaemann. Spaemanns Gesamtwerk enthält kein fertiges System, galt sein Philosophieren doch aktuellen Ta­gesfragen. Verdienstvoll ist es, wenn der Vf. Spaemanns Einzelbeiträge auf deren fundierende Prämissen untersucht, diese im Schöpfungsdogma findet und mit diesem »Schlüssel« die Genese und Systematik der Spaemann’schen Philosophie zu erschließen sucht. Insofern Spaemann das modern/nachmoderne Denken vor die radikale Entscheidungsalternative zwischen sinnvoll und absurd bzw. zwischen Zufall und Gott gestellt sieht, erweist sich seine schöpfungstheologische Denkvoraussetzung kaum als Kategorienfehler, da die philosophische Sinnoption nur im Gottesgedanken Halt finden kann. Die Überzeugung, dass es eine letzte Wahrheit des Universums, ein göttliches Gemeintsein der Wirklichkeit gibt, identifiziert Spaemann mit der Vernunfttradition abendländischer Kultur.
In Form von zwei Gedankenkreisen, einem theoretischen und einem praktischen, bewährt die Monographie diese Eingangsthese. Der erste Kreis entwirft ein modernes Profil christlich-philosophischen Wirklichkeitsverständnisses und Menschenbildes. Aufgezeigt wird, wie Spaemann die großen Motive abendländischen Denkens aufnimmt. Ebenso wie die prinzipielle, gerade auch ma­thematisch-naturwissenschaftliche Erkennbarkeit der Wirklichkeit allein durch deren göttliches Gedachtsein erklärbar erscheint, hängt der Zuspruch der unveräußerlichen Menschenwürde vom Postulat der Gottebenbildlichkeit des Menschen ab. Vermittels dieser Begründungslinie kritisiert Spaemann alle vorschnellen Re­duktionen der Realität auf rein antiteleologische Zufallsdynamiken, ebenso den Verlust der Kategorie des Unbedingten, Absoluten bzw. Heiligen aus dem modernen Gegenwartsbewusstsein. Wenn Verstehen bedeutet, den Grund von etwas zu kennen, dann liefert erst der jüdisch-christliche Gottesgedanke ein umfassendes Verständnis der Wirklichkeit, die dann als von Gott (voraus-)gedachte und bejahte Realität erklärbar wird. Schöpfung bedeutet eine Wertzusage, zu der ein reiner Naturalismus nicht fähig ist. Wenn es Gott nicht gibt, ist alles egal, zitiert Spaemann Dostojewski, erst im Gottesgedanken kommt die philosophische Wahrheitsfrage zum Stehen, erst in der Anerkenntnis des Unbedingten gewinnen Begriffe wie Wahrheit und sittliches Sollen einen Sinn und lässt sich überhaupt ein kulturunabhängiges rationales Unterscheidungskriterium für gut und böse, wert und un­wert gewinnen. Dem hypothetischen Denkzugriff des modernen Lebensgefühls so­wie dessen Streben nach Maximierung angenehmer Zustände ist diese Erfahrung verpflichtender Wahrheit und Werte weitgehend verloren gegangen, so Spaemanns kulturkritischer Seitenblick.
Der zweite Kreis zeigt die damit verbundenen Konsequenzen für eine tragfähige Ethikkonzeption auf. Wenn Schöpfung Gottgewolltheit besagt, dann ist nicht nur jedem Ding von Natur aus ein Sinn eingestiftet, sondern allem Lebendigen inhäriert dann eine natürlich-sinnvolle (Selbst-)Entfaltung. Erst recht gilt das für den Menschen als Ebenbild Gottes. Diese schöpfungstheologische Be­gründung der Menschenwürde hat für Spaemann die wesentliche Konsequenz, dass dem Menschen seine Würde weder zugesprochen noch aberkannt werden kann, jeder Mensch besitzt sie rein aufgrund seiner Zugehörigkeit zur biologischen Spezies Mensch. Das beeindruckende Erklärungspotential dieser (reformulierten naturrechtlichen) Sicht führt Spaemann anlässlich so heikler Themen wie Abtreibung und Euthanasie, im weiteren Sinn der Bewah-rung der Schöpfung, des ethischen Umgangs mit Atomwaffen und -energie vor Augen, die verwirrend-komplexe Problematik synthetischer Biologie, Medizintechnik, Hirnforschung u. ä. könnte hinzugefügt werden. Die Argumentationsfigur bleibt dieselbe. Trifft zu, dass der Mensch Person von Natur aus ist und nicht werden kann (etwa sukzessiv durch die Phasen embryonaler Entwicklung), dass man das Personsein und die damit verbundene Personwürde auch nicht verlieren kann (etwa durch Krankheit, Persönlichkeitszerfall), dann finden die oben genannten Fragen eine zügige Beantwortung, dann ist der Wert des Lebens in jeder (Entwicklungs- bzw. Krankheits-)Phase unantastbar. Wo diese Unantastbarkeit außer Kraft gesetzt wird, wird die Solidarität aufgekündigt, die für jede humane menschliche Gemeinschaft essentiell ist.
Mit diesen Spaemann’schen Klärungen nimmt die Arbeit einen notwendigen Erinnerungseintrag in den Diskurs der Gegenwart vor. Philosophien, Theologien, Kulturen und Gesellschaften, die den (theologisch-religiösen) Glauben an und die (wissenschaftlich-rationale) Suche nach objektiver Wahrheit und Richtigkeit aufgegeben haben, sind, rein evolutiv betrachtet, auf Dauer nicht überlebensfähig. Sie haben ihren Kompass verloren und leisten in Fragen menschlicher Orientierung und Existenzerhellung keine Arbeit mehr. Unter diesem Zentralaspekt stellt die Promotions-arbeit einen das Nachdenken fördernden, lesenswerten Beitrag dar.