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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

689-690

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Stosch, Klaus von [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wirtschaftsethik interreligiös.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 176 S. m. 2 Abb. = Beiträge zur Komparativen Theologie, 12. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-506-77283-1.

Rezensent:

Arne Manzeschke

Der Wirtschaftsethik wird bisweilen attestiert, sie sei ein »Fach mit Konjunktur, aber ohne Wirkung« (Priddat). Angesichts der massiven globalen Auswirkungen der Finanz- mit nachfolgender Staatenkrise in den Jahren 2008 ff. erscheint nicht nur eine saubere Analyse der Vorgänge selbst, sondern auch eine »normative Reaktion« darauf angezeigt. Welche Analyse- und Orientierungsleistung vermag hierbei die Wirtschaftsethik zu erbringen? Und welche Rolle kommt in diesem Rahmen den Religionen zu, die global gesehen zu den normativen Institutionen par excellence gehören?
Klaus von Stosch, Professor für Systematische Theologie und ihre Didaktik, Leiter des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn hat den anzuzeigenden Band herausgegeben. Er versammelt die Vorträge einer Ta­gung, die vom genannten Zentrum und dem Verein Paderborn überzeugt im Juni 2012 veranstaltet wurde. Ziel sei es, »zu untersuchen, inwiefern Religionen Impulse für eine Neuausrichtung der Wirtschaftsethik enthalten, die bei der Lösung der gegenwärti-gen globalen ökonomischen und humanen Probleme helfen können« (17).
Einführend rekapituliert von Stosch die deutschsprachige De­batte der letzten 20 Jahre und zeichnet hier die Rolle der Religionen ein. Nicht die wirtschaftliche Rahmenordnung, sondern die kritische Öffentlichkeit sei »Ort und Ursprung der Moral«. Hier hätten die Religionen »einen unverzichtbaren Beitrag zu leisten« (13). Was Religion ist und wer im Namen welcher Religion sprechen kann, wird nicht weiter erörtert, vielmehr werden neben den Vertretern der abrahamitischen Religionen (Christentum, Judentum, Islam) eine hinduistische sowie eine buddhistische Stimme aufgerufen und durch einen (christlichen) Praktiker und eine wirtschaftswissenschaftliche Perspektive ergänzt. Die hochrespektierten Vertreter ihres Faches können hier nicht alle gewürdigt werden, auch lassen sich die Beiträge nicht ohne Weiteres vergleichen.
Anregend sind die interreligiösen Bezüge, wenn z. B. die Rabbinerin Elisa Klapheck die übliche christliche Interpretation des Zinsverbotes aus jüdischer (liberaler) Sicht kontrastiert. Hier sind vertiefte interreligiöse Gespräche und Forschungen notwendig, um die Stimmen der Religionen profiliert in den öffentlichen Diskurs einzubringen.
Idris Nassery bietet einen Einblick in die »Grundlagen des islamischen Finanzwesens und der islamischen Wirtschaftsethik«, die semantisch eine gewisse Nähe zum Judentum aufweisen, aber aufgrund des Zusammenfalls von Recht und Ethik im Islam doch wieder fundamentale Differenzen markieren, welche im interreligiösen und öffentlichen Diskurs konsequent beachtet werden müssen.
Chandrashekhar Pandey (Indien) sucht in der vedantischen Philosophie nach Antworten und Impulsen für das steigende Bedürfnis nach Spiritualität auch und gerade unter Managern. Seine am Bild des tugendhaften Rajarshi, des idealen Königs, gewonnenen Einsichten in ein spirituell getragenes Management sind anregend. Es bleibt jedoch zu fragen, ob nicht zu sehr auf individualethische Tugendhaftigkeit gesetzt wird, die angesichts der wachsenden Bedeutung von Strukturen (technisch, ökonomisch, national, transnational) unterkomplex bleiben muss.
Karl-Heinz Brodbeck, Wirtschaftswissenschaftler aus Schweinfurt und Kritiker der mainstream-economics beschreibt, wie ein sozial engagierter Buddhismus eine kritische Position gegenüber den von dieser Ökonomie verbreiteten Geistesgiften, Nichtwissen, Gier und Hass gewinnen könne. Es gehe darum, die »fundamentalen Denkgewohn­­heiten, die an das Geld geknüpften Illusionen« (127) zu durchschauen, konstruktiv darauf zu reagieren und in geschwisterlicher Toleranz mit den christlichen Kirchen (besonders in den USA und Europa) eine menschendienliche Wirtschaftsform aufzubauen.
Der Begriff der Menschendienlichkeit zieht sich implizit durch alle Beiträge des Bandes und markiert gewissermaßen eine moralische Intuition, dass nämlich der Markt sich nicht verselbständigen und zum Selbstzweck in Form reiner Gewinnerzielung setzen dürfe. Im Einspruch gegen eine sich verabsolutierende Logik des Marktes treffen sich säkulare wie religiöse Wirtschaftsethik. Die Religionen liefern – insbesondere durch heilige Texte – Impulse zu einer hermeneutischen Selbstbesinnung des Menschen, d. h. qualitative Beschreibungen möglichen Menschseins, das variantenreicher ist als der von Hobbes perhorreszierte Krieg aller gegen alle und die reibungsfreie wirtschaftliche Kooperation. Der Mensch, das Wesen mit Eigenschaften, ist in einer vornehmlich quantitativ operierenden Ökonomik jedoch nur schwer zu operationalisieren. Gegenwärtig geht das schlecht für den Menschen aus. Wie aber kann die ökonomische Theoriebildung für qualitative Momente geöffnet werden? Hier liegt eine wesentliche Herausforderung jeder Wirtschaftsethik, will sie wirksam sein.