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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

651-654

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Jacobi, Friedrich Heinrich

Titel/Untertitel:

Werke – Briefwechsel – Nachlaß – Dokumente.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog. Bd. 7: Briefwechsel November 1787 bis Juni 1788. Nr. 1903–2151. Gefördert v. d. Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. v. J. Weyenschops. Unter Mitarbeit v. A. Mues, G. Schury u. J. Torbi. 2012. XLIV, 290 S. m. 3 Abb. Lw. EUR 298,00. ISBN 978-3-7728-2271-1. Bd. Briefwechsel, Reihe I: Text. 9: Briefwechsel Januar 1791 bis Mai 1792. Nr. 2739–2952. Gefördert v. d. Gerda Henkel Stiftung. Hrsg. v. W. Jaeschke u. R. Paimann. 2015. XXXIV, 352 S. m. 2 Abb. Lw. EUR 298,00. ISBN 978-3-7728-2610-8. Bd. 10: Briefwechsel Juni 1792 bis September 1794. Nr. 2953–3328. Nachtrag zum Briefwechsel 1769–1789. Gefördert v. d. Gerda Henkel Stiftung. Hrsg. v. W. Jaeschke u. R. Paimann. 2015. L, 418 S. m. 2 Abb. Lw. EUR 298,00. ISBN 978-3-7728-2664-1.

Rezensent:

Wolfgang Sommer

Zwischen den schon besprochenen Bänden des Briefwechsels von Friedrich Heinrich Jacobi Reihe I, Bd. 6 (vgl. meine Rezension in der ThLZ 137 [2012], 1097–1098) und Reihe I, Bd. 8 (vgl. meine Rezension in der ThLZ 140 [2015], 1251–1252) ist hier zunächst auf den siebten Band der Reihe I zu verweisen, der aus technischen Gründen für eine Besprechung bisher unberücksichtigt geblieben ist. Das wird jetzt nachgeholt. Die Briefe des siebten Bandes setzen die Korrespondenzen des vorausgegangenen sechsten Bandes in inhaltlicher Hinsicht unmittelbar fort. Vor allem der Briefwechsel mit Johann Georg Hamann ist wieder die Mitte dieses Bandes. Der plötzliche Auszug Hamanns aus dem Hause Js. nach Münster hatte zur Verletzung bei seinem gastgebenden Freund geführt. War schon diese »Flucht« Hamanns für J. persönlich bitter, so war sie doch zugleich das offenkundige Eingeständnis dafür, dass die gegenseitige geistige Beförderung der in vielen Briefen erörterten Schriften der beiden Freunde nun beendet und nicht mehr zur abschließenden Publikation gebracht werden konnte. J. hatte gehofft, eine überarbeitete und erweiterte Auflage seiner Briefe »Über die Lehre des Spinoza« mit Hamanns Hilfe fertigstellen zu können, und Hamann seinen »Fliegenden Brief« unter Mithilfe seines Freundes. Die besonders von Hamanns Seite oft geübte scharfe Kritik an Js. Schriften hatte die beiden Freunde nicht von der Hoffnung gegenseitiger Beförderung ihrer literarischen Produktion abhalten können. In einem Brief Hamanns an J. wird deutlich, warum Hamann aus dem Hause Js. so plötzlich abgereist war. Er vermisste bei J. eine »männliche Freundschaft«, eine »so heilige Leidenschaft«, die auch mit deutlichen Widerworten nicht spart (Brief vom 17.11.1787; 17). Aber Hamanns Anteilnahme und kritische Würdigung der Schriften Js. ging bis zu seinem Tod am 21. Juni 1788 unvermindert weiter. Und J. äußerte in einem Brief an Johann Kaspar Lavater nach der Abreise Hamanns: »Es hat mich gekostet, ihn zu lassen. Von einer andern Seite mag es gut seyn, daß er mir entzogen wurde, damit ich einmal wieder mich ganz sammeln und unzerstreut arbeiten könne. Seiner Kunst zu leben und glücklich zu seyn, bin ich nicht auf den Grund gekommen, wie sehr ich es mir auch habe angelegen seyn lassen.« (Brief vom 14.11.1787; 10 f.)
Die Briefe dieses guten halben Jahres geben abgesehen von Nachrichten über Js. persönliche Lebensverhältnisse vor allem Einblicke in sein philosophisches Denken, weniger über sein politisches und ökonomisches. Die Auseinandersetzung mit Kant hatte er schon in seiner Schrift »David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch.«, Breslau 1787, intensiv geführt. Jetzt kommt seine Verteidigung des vielfach kritisierten Johann Kaspar Lavater (1741–1801) hinzu. Über den sogenannten Kryptokatholizismus, Mystizismus und Magie wurde in verschiedenen Zeitschriften seit 1770 ausführlich diskutiert. J. hatte sich zu Beginn des Jahres 1788 mit Beiträgen in der Zeitschrift »Deutsches Museum« für Lavater und Johann August Starck engagiert, wo-mit er die heftige Kritik der Berliner Aufklärer heraufbeschwor. In seiner Schrift »Einige Betrachtungen über den frommen Betrug und eine Vernunft, welche nicht Vernunft ist. In einem Brief an den Herrn geheimen Hofrath Schlosser« im »Deutschen Museum«, 1788, wandte sich J. gegen eine blinde, sogenannte aufklärerische Vernunft, die zu Despotismus und Unvernunft ausarten kann. An den Grafen zu Stolberg schreibt J.: »Ganz bin ich […] mit Ihnen einig, daß die Berliner eigentlich nur bemüht sind, die Sache des Christenthums und des Aberglaubens in Eins zu werfen, und den Geist aller Offenbarung verdächtig zu machen.« (7. u. 9.5.1788; 203)
Drei Abbildungen sind dem Band beigegeben: ein Kupferstich mit dem Porträt Friedrich Heinrich Jacobis auf dem Blatt vor dem Briefwechsel und ein farbiges Porträt Johann Kaspar Lavaters nach S. 46 sowie ein Kupferstich mit einem Porträt Johann Georg Schlossers, nach S. 202. Einleitung und ein chronologisches Verzeichnis der Briefe sowie ein Personenverzeichnis beschließen diesen siebten Band.
Im neunten Band des Briefwechsels von Friedrich Heinrich Jacobi stehen zunächst einige literarische Projekte im Vordergrund, von denen er seinen Briefpartnern berichtet. Gegenüber Matthias Claudius löst er ein schon länger ihm versprochenes Vorhaben im Herbst 1791 ein: eine Epistel über die Kantische Philosophie. Aber an seinen eigenen Arbeiten war J. mehr gelegen. Im März 1791 schreibt er an Johann Kaspar Lavater: »Ich schreibe itzt an ein paar Bogen wider die Philosophie du jour im weitesten Verstande …« (7.3.1791; 21), womit er an eine Neubearbeitung seines Briefromans »Allwill« denkt. Unter dem Titel »Vermischte Schriften« kommen im Frühjahr 1792 drei Abhandlungen in Form von Neuausgaben des »Allwill« und auch noch die Überarbeitung des »Woldemar« heraus – eine Zeit reicher literarischer Produktivität.
Den Mittelpunkt des Bandes bilden jedoch die Reiseberichte des Sohnes von J., Georg Arnold, die dieser aus der Schweiz und Italien in das väterliche Haus nach Düsseldorf geschrieben hat. Sie haben als italienische Reiseberichte des späten 18. Jh.s einen besonderen Reiz, da sie gut zwei Jahrzehnte vor Goethes »Italienischer Reise« geschrieben wurden (Goethe hatte sie jedoch schon 1786–1788 un­ternommen.). Sie wurden nicht nur im Hause J., sondern auch von vielen weiteren Verwandten und Freunden begeistert gelesen. Mit Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg war J. schon länger freundschaftlich verbunden. Im Sommer 1791 unternahm Stolberg mit Gattin und einem weiteren Reisegefährten eine längere Reise nach der Schweiz und Italien. Sie machten zunächst in Münster Station bei Amalia Fürstin von Gallitzin und kamen dann nach Pempelfort zu J., wo sich der Freundschaftsbund Js. mit Stolberg nochmals vertiefte. Von hier aus ging die Reise weiter gen Süden. Stolberg berichtet in seinem Tagebuch nach der Abreise: »Wir trennten uns nicht ganz von Pempelforts Bewohnern, Jacobi ge­währte unseren Bitten die Gesellschaft eines Sohnes, welcher uns die schöne Reise noch angenehmer machen wird.« (Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien, 4 Bde., Königsberg und Leipzig 1794, Bd. 1, 21.) Die Briefe von Georg Arnold Jacobi z. B. aus Rom und Neapel haben einen beträchtlichen Umfang und sind auch von durchaus literarischer Qualität. Sie lesen sich auch heute noch recht amüsant, so z. B. sein Bericht über die Feier des Osterfestes auf dem Petersplatz in Rom (Brief von G. A. Jacobi an J. vom 15.4.1792; 267).
Wie der vorangehende achte Band ist auch dieser neunte an der Jacobi-Forschungsstelle im Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum erarbeitet und von der Gerda Henkel Stiftung in Düsseldorf getragen worden. Dem Band sind zwei farbige Abbildungen beigegeben: »Ansicht des Englischen Gartens von Caserta aus« von Jakob Philipp Hackert (1737–1807) zwischen den Seiten 212 und 213. Das zweite Bild zeigt den Ausbruch des Vesuvs zwischen den Seiten 246 und 247, gemalt Ende des 17. Jh.s von einem unbekannten Künstler. Der von Georg Arnold Jacobi beschriebene Ausbruch des Vesuvs vom März 1792 ist nicht gemalt worden.
Der zehnte Band beginnt zunächst mit den letzten Reiseberichten des Sohnes Georg Arnold an den Vater J. aus Sizilien. Die Zeit von Mitte 1792 bis September 1794 ist von der Ausbreitung revolutionärer Ideen und Reformen in Frankreich und dem Vormarsch der französischen Revolutionsheere in das Rheinland bestimmt. Es ist eine politisch unruhige und auch persönlich für J. recht wechselvolle Zeit, an deren Ende er schließlich sein stattliches Haus in Pempelfort durch die französische Besetzung des Rheinlandes verlassen muss.
Ein Augenleiden führt J. zu einer Kur nach Aachen, wo er mit Johann Gottfried Herder und dessen Frau Caroline zusammentrifft. Herder besucht J. auch in Pempelfort, und die Freundschaft zwischen J. und Herder dauert bis zum Tod Herders fort, die durch unterschiedliche Denkweisen und Ansichten beider nicht gelitten hat. Zurückgekehrt nach Pempelfort, hat J. die Freude eines längeren Besuches von Goethe bei ihm. Die drohende französische Besetzung von Aachen und des linken Rheinlandes lässt J. und seine Familie für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Ende Januar 1793 erreicht ihn die Nachricht von der Hinrichtung König Ludwigs XVI., die ihm die letzte Hoffnung auf eine politische Verständigung mit dem revolutionären Frankreich raubt. In Düsseldorf erlebt er sehr problematische Erfahrungen mit französischen Emigranten im Rheinland. An Karl Leonhard Reinhold schreibt J. am 11.3.1793, dass er wegen der »heiligen Citoyens« seit vielen Monaten keine recht frohe Stunde mehr haben konnte (223).
Doch inmitten dieser unruhigen Zeiten kann J. dennoch an seinem umfangreichen Roman »Woldemar« weiterarbeiten, was einer direkten Neubearbeitung gleichkommt. Im Herbst 1792 ist die abgeschlossen und am 12. Januar 1794 widmet er den »Woldemar« Goethe mit großer Erwartung: »Ich widme Dir ein Werk, welches ohne Dich nicht angefangen; schwerlich ohne Dich vollendet wäre: es gehört Dir; ich übergeb’ es Dir: Dir, wie keinem Andern.« (301) Doch Goethe reagiert erst spät, zwar freundlich, aber doch kaum so, wie J. es erwartet hatte. Bei Herder und Wilhelm von Humboldt findet der »Woldemar« aber ein sehr positives Echo. W. von Humboldt übersendet J. seine ausführliche Rezension des »Woldemar« für die »Allgemeine Literaturzeitung«, zunächst in handschriftlicher Form (373–392). Matthias Claudius jedoch kritisiert am »Woldemar« die Figur der Henriette und Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg vermisst am »Woldemar« den »warmen, belebenden Hauch des Christenthums« (Brief vom 19.2.1794; 331). Der spätere Bruch zwischen Stolberg und J. im Jahr 1800 ist damit schon vor-bereitet.
Die Briefe J.s des Jahres 1794 an Wilhelm von Humboldt, den Freiherrn vom und zum Stein, an den preußischen Minister Christian Konrad Wilhelm von Dohm, an Johann Heinrich Pestalozzi und Johann Kaspar Lavater berichten von Freud und Leid im persönlichen Leben Js. und von den unruhigen politischen Zeiten. Durch Goethe erhält J. Ende Mai 1794 Fichtes Schrift »Über den Begriff der Wissenschaftslehre«, die bei J. einen sehr positiven Eindruck hervorrief.
Dem Band, der wie die beiden vorhergehenden Bände an der Jacobi-Forschungsstelle im Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum erarbeitet wurde, sind zwei Abbildungen beigegeben: ein farbiges Porträt von dem preußischen Minister Christian Konrad Wilhelm von Dohm (1751–1820) zwischen den Seiten 234 und 235 und ein Kupferstich über die Hinrichtung von König Ludwig XVI. von 1793, zwischen den Seiten 190 und 191, ein Bild, das wohl zeitgenössisch, aber kaum historisch ist. J. hatte die Hinrichtung tief verabscheut.