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Ausgabe:

Juni/2016

Spalte:

628-630

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Cameron, Averil

Titel/Untertitel:

Dialog und Debatte in der Spätantike.

Verlag:

Stuttgart: Franz Steiner 2014. 121 S. m. Abb. = Spielräume der Antike, 3. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-515-10797-6.

Rezensent:

Wolfram Kinzig

Das vorliegende Bändchen enthält die Margarete-Häcker-Vorlesung, die die britische Althistorikerin Dame Averil Cameron im Jahre 2011 in Heidelberg gehalten hat. (Die englische Originalfassung ist im selben Jahr wie die deutsche Übersetzung unter dem Titel »Dialoguing in Late Antiquity« vom Center for Hellenic Studies der Universität Harvard veröffentlicht worden.) Schon länger beschäftigt sich C. mit der Frage nach einer spezifisch christlichen Rhetorik und deren historischen Rahmenbedingungen. Hier richtet sie nun das Augenmerk auf eine Literaturgattung, die sie in diesem Rahmen für besonders vernachlässigt hält: den christlichen Dialog in Spätantike und Byzanz. Die drei Vorträge beinhalten »vorläufige Überlegungen und Vorschläge« (10) zu der Frage, in welche Richtung sich die Forschung auf diesem Gebiet bewegen müsste. Es handelt sich also eher um einen Werkstattbericht als um eine abschließende Synthese.
Mehr als 200 Beispiele für christliche Dialoge hat C. eruiert, die sie in der Einleitung grob in drei Kategorien (dramatischer, erzählter und gemischter Dialog) einteilt (14 f.). Allenthalben unterstreicht sie die Vitalität der Gattung noch zu dieser Zeit, womit sie sich insbesondere von Simon Goldhills These von einem »Ende des Dialogs in der Antike« abhebt. Goldhill vertritt eine politische Deutung der Gattung: Seine Entstehung und Blüte sei eng an die Geschichte der athenischen Demokratie geknüpft. Das Christentum habe hingegen im Zuge der Ausbildung einer Orthodoxie und – damit einhergehend – autoritärer Strukturen den diskursiv offenen Dialog aufgegeben. Demgegenüber weist C. (in teilweiser Revision eigener älterer Thesen) in ihrem ersten Vortrag »Konnten Christen ›Dialoge führen‹?« darauf hin, dass die spätantike bzw. die byzantinische Gesellschaft viel offener gewesen sei, als dies Goldhills These von der ausgebildeten Orthodoxie, die keinen Widerspruch zugelassen habe, suggeriere: »Ständiger Kampf und Widerstand, ständige Neuerfindung, vor allem ständige Debatten und Dispute waren die Realität« (26). Dies gelte unabhängig davon, dass Christen oft dazu neigten, »einen autoritären Standpunkt einzunehmen« (29). Diese Auseinandersetzungen hätten sich auch in Dialogen niedergeschlagen. Darin gehe es durchaus um »die Etablierung christlicher Überlegenheit«; der Dialog stehe daher mit der Ausbildung von Orthodoxie in engstem Zusammenhang (38). Aber man müsse gleichzeitig die relative Flexibilität des Genres in Betracht ziehen, die noch nicht hinreichend untersucht sei. C. fordert daher als ersten Schritt »eine strenge literaturwissenschaftliche Analyse der einschlägigen Texte […], die ein besseres Verständnis von den jeweiligen rhetorischen Strategien zum Ziel« haben müsse (42). Die große Bandbreite erlaube es auch nicht, darin nur einen Nachklang der platonischen Dialoge zu sehen, sondern es gebe ebenso Hinweise auf die Rezeption aristotelischer Logik.
Diesem Einfluss des Aristotelismus geht sie im zweiten Vortrag (»Dialog und Debatte in der Spätantike«) nach und sieht ihn vor allem im Syrien und im Alexandrien des 6. Jh.s gegeben. Sehr farbig und materialreich beschreibt sie den Zusammenhang zwischen der ausgeprägten Debattenkultur in den philosophischen und theologischen Schulen und der Entstehung von Texten, die diese Debatten widerspiegeln. Freilich dürfe man sie gerade nicht vom Standpunkt der modernen Ökumene mit ihrem Bemühen um religiöse Anknüpfungspunkte und Verständigungsmöglichkeiten aus interpretieren, sondern müsse sie als Teil religiöser Kontroverse und Instrument klerikaler oder imperialer Machtausübung sehen. Viele waren »darauf angelegt, zu beleidigen, anzugreifen und Hohn über ihre Opfer auszugießen« (66). Insofern trugen sie zur Ausbildung einer Atmosphäre religiöser Intoleranz entscheidend bei.
Im dritten Vortrag (»Wie man Dialoge schreibt«) sucht C. an­hand dreier Beispiele die literarische Struktur und Eigenart christlicher Dialoge zu erhellen. Methodios von Olympos hatte in seinem »Symposion« höchste literarische Ambitionen, weshalb dieser Dialog »nicht in das gewöhnliche Muster der auf Kontroverse ausgelegten christlichen Dialoge« passe (76). Demgegenüber sei Theodorets »Eranistes« wesentlich schmuckloser, theologisch dafür umso anspruchsvoller und integriere zudem dogmatische Florilegien in die Argumentation. Die antijüdische Dialexis (CPG 7009) des (Pseudo-)Gregentios von Taphar schließlich werfe komplexe Fragen im Hinblick auf Historizität, Autorschaft, Datierung und literarische Form auf.
Die Übersetzung ist streckenweise hölzern und häufig korrekturbedürftig. So ist die belgische Altertumswissenschaftlerin Lieve Van Hoof eine Frau und kein Mann (was man freilich aus dem englischen Text nicht erkennen konnte, dt. Fassung 20). »or on oral debate, for that matter« (engl. Fassung 4) heißt nicht: »oder mit der mündlichen Debatte über dieses Thema« (dt. 18), sondern: »oder überhaupt mit mündlichen Debatten«. Wenn von Sokrates gesagt wird, seine Fragen seien »often leading« gewesen (engl. 12), so be­deutet das nicht, sie nahmen »oft eine führende Stellung ein« (dt. 31), sondern dass sie »suggestiv« waren (indem sie nämlich den Befragten zu einer gewünschten Antwort »verleiteten«). »Doctrinal dialogue« (engl. 36) ist kein »doktrinärer«, sondern ein »dogmatischer Dialog« (dt. 67). Schließlich bedeutet »though Augustine was no mean controversialist himself« (engl. 55) nicht: »obwohl Augus­tin selbst kein gemeiner Polemiker war« (dt. 98), sondern: »obwohl Augustin selbst ein versierter Polemiker war«. Die Liste ließe sich verlängern. – Kleineres Versehen (29, Anm. 27, und Literaturverzeichnis, 111): Die Münchener Latinistin heißt Therese Fuhrer (nicht: Führer).
Alles in allem ist dieses Bändchen primär eine Sammlung von Anregungen zur Bearbeitung eines großenteils unbeackerten Feldes, welche die bewundernswerte Belesenheit C.s dokumentiert.