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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

549-551

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Strube, Sonja Angelika [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2015. 320 S. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-451-31270-0.

Rezensent:

Alexander Dietz

Die Herausgeberin Sonja Angelika Strube, katholische Theologin und Privatdozentin an der Universität Bayreuth, hat sich eines wichtigen und aktuellen Themas angenommen. Bereits seit mehreren Jahren beschäftigt sie sich mit dem Thema rechtsextremer Tendenzen in christlichen Milieus. Ihre Beiträge und Interviews werden im Internet kontrovers diskutiert auf Websites, die von S. als »rechts«, »rechtschristlich« oder »rechtsextrem« eingestuft werden, von den Betreibern und Nutzern der Seiten jedoch als »konservativ« oder »evangelikal«. Genau in diesem begrifflichen Klärungsbedarf liegt ein Grundproblem, das den Leser des Sammelbandes mitunter ratlos macht. Zwar legt Fabian Virchow in seinem Beitrag einen sinnvollen Vorschlag für eine Differenzierung des Begriffsfeldes »Rechts« vor, aber bereits in der Einführung weist die Herausgeberin darauf hin, dass die einzelnen Autoren der 17 Beiträge jeweils unterschiedliche Begrifflichkeiten verwenden. Die interdisziplinär und konfessionsübergreifend zusammengestellten Beiträge verteilen sich auf vier thematische Blöcke: I. Hintergrundinformationen aus der Vorurteils- und Rechtsextremismusforschung, II. Schlaglichter auf christlich-fundamentalistische Frömmigkeitsstile, III. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten mit besonderer Relevanz für Theologie und Kirchen sowie IV. Perspektiven einer nicht-fundamentalistischen christlichen Theologie.
Aus der genannten begrifflichen Unschärfe entsteht die Versuchung, beliebige andere politische, theologische oder ethische Positionen als die eigenen vorschnell mit mörderischen Ideologien zu identifizieren und dadurch zu disqualifizieren. So wird in vielen Beiträgen nicht ausreichend differenziert zwischen Islamkritik und Islamophobie, zwischen konservativer Sexualethik und Ho­mophobie, zwischen christlich-religiösen Wahrheitsansprüchen und Antijudaismus bzw. antimuslimischem Rassismus (28 f.) – und vor allem zwischen Toleranz und Relativismus (151). Dies mag zwar einer gängigen Praxis politischer Debatten und massenmedialer Darstellungen entsprechen, aber gerade von einer wissenschaftlichen Publikation muss Differenzierung erwartet werden. So ist die Stigmatisierung, Kriminalisierung (295) und Pathologisierung (172) anderer theologischer Auffassungen, z. B. der­jenigen der Kritiker des EKD-Familienpapiers (120), als rechtsextrem oder fundamentalistisch im Blick auf das Ideal einer freien wissenschaftlichen Auseinandersetzung eher kontraproduktiv.
Die Hintergrundfolie für den Sammelband stellen die »Mitte«-Studien (Oliver Decker, Johannes Kiess) und die Studien zu »Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« (Andreas Zick, Beate Küpper) dar, deren zentrale Ergebnisse von den jeweiligen Autoren in ihren Beiträgen vorgestellt werden. Danach sind rechtsextreme Sichtweisen in der Mitte der Gesellschaft verbreitet, und zwar insbesondere bei religiösen Menschen. Sicherlich haben spezifische Formulierungen einzelner in den Studien verwendeter Fragen mit zum Ergebnis beigetragen. Auch hier zeigt sich die problematische Tendenz, neben tatsächlich rechtsextremen Aussagen auch traditionelle Mehrheitsmeinungen (203) als rechtsextrem zu kategorisieren und damit in Kauf zu nehmen, dass bei vielen, die beim Begriff »rechtsextrem« Mordbereitschaft assoziieren, eine verzerrte Wahrnehmung der gesellschaftlichen Situation sowie religiöser Menschen befördert werden könnte.
Einige Artikel enthalten durchaus interessante Denkanstöße, wie beispielsweise Uwe Gerbers These einer Kolonialisation vieler Lebensbereiche durch formal fundamentalistische Denkweisen in Gestalt einer »Politik ohne Alternative« bzw. eines Ökonomismus (117), oder Elke Piecks Analyse von »Intoleranz und Fundamentalismus als Stigmata« im Sinne der Theorie Erwin Goffmans (154). Besonders lesenswert ist der Beitrag von Klaus von Stosch, der sich wohltuend für eine differenzierte Wahrnehmung des Fundamentalismus ausspricht und theologisch überzeugend für die Tugenden der Demut, Empathie und Gastfreundschaft als innerchristlich konsensfähige Grundprinzipen im Umgang mit religiöser Andersheit wirbt (280 ff.).
Einige Beiträge sind möglicherweise selbst nicht vollkommen frei von einzelnen Tendenzen, gegen die sie sich eigentlich wenden, wie beispielsweise einem »dichotomischen Freund-Feind-Denken« (44) oder der Erklärung der eigenen Position zur »absolut richtigen und exklusiv gültigen« (115). So fordert beispielsweise Kerstin Söderblom innerkirchliche »faire und respektvolle Debatten« zum Thema gleichgeschlechtlicher Liebe, während sie gleichzeitig betont, dass dabei »Stigmatisierungen […] keine Plattform« geboten werden dürfe (239), womit sie gemäß dem im Beitrag vorausgesetzten Begriffsverständnis einem der beiden Diskussionspartner die Äußerung seiner Position verbieten muss.
Der Band liefert einen Einblick in viele interessante Einzelaspekte, aber bleibt teilweise hinter dem wünschenswerten Differenzierungsniveau zurück.