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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

473-475

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Redd, John Scott

Titel/Untertitel:

Constituent Postponement in Biblical Hebrew Verse.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2014. XII, 155 S. m. Abb. = Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes, 90. Kart. EUR 68,00. ISBN 978-3-447-10199-8.

Rezensent:

Beat Weber

John Scott Redd lehrt als Alttestamentler am Reformed Theological Seminary in Washington, DC. In seiner linguistischen, technisch anspruchsvollen Studie zum Bibelhebräischen untersucht er die Position von grammatikalischen Konstituenten innerhalb der Verbalsyntax. Insbesondere richtet sich sein Augenmerk auf in poetischen Texten feststellbare Abweichungen bzw. Verschiebungen (postponement) gegenüber der (in Prosa) üblichen Reihenfolge: Verb – Subjekt – Objekt(e). Dazu sichtet er die methodischen Zu­gangsweisen der Hebraistik und klassifiziert mit den Labeln »traditionell« (u. a. Brockelmann, Ewald, Gesenius), »typologisch-funktional« (u. a. Andersen, Heimerdinger, Moshavi, van der Merwe) und »generativ« (DeCaen, Holmstedt) drei Hauptrichtungen. Anschließend werden, bezogen auf die Subthematik der Satzstellung, Studien von drei Forschern (die weithin der typologisch-funktionalen Richtung zugehören) erörtert: Michael Rosenbaum (1997), Walter Groß (1996; 2011) und Nicholas Lunn (2006).
Nach R. sind Satzeinheiten (clauses) mit zwei Satzkonstituenten vor dem Verb (Groß redet von einem »doppelt besetzten Vorfeld«) als Abweichung bzw. Verfremdung einzustufen (unabhängig davon, ob diese sich als bedeutungshaltig erklären lässt oder nicht). Im Blick auf das Verb-Vorfeld werden grammatikalische Entitäten, die als syntaktisch notwendig gelten (Valenz) von optionalen un­terschieden (Differenzierung zwischen »complements« und »adjuncts«). Die Untersuchung basiert auf folgenden Texten: Gen 49; Ex 15; Num 23–24; Dtn 32–33; Jud 5; 2Sam 1; Jes 40–48; Hab 3; Zeph 1–3; Sach 9; Ps 1–25; 78; 106–107. Es handelt sich dabei weithin um Texte, die ganz oder zumindest teilweise auch den ähnlichen Studien von O’Connor, Rosenbaum und Lunn zugrunde liegen (so dass ein Vergleich der Einschätzungen möglich wird).
Im ersten Analysedurchgang werden die Fälle mit zwei oder mehr syntaktischen Konstituenten vor dem finiten Verb, also der Nachstellung des Verbs gegenüber nominalen Satzkonstituenten, erhoben und klassifiziert. Elemente, die nicht im engeren Sinn zur Satzstruktur gehören (casus pendens, Adverbialien, Diskursmarker), werden ausgeklammert. Von den insgesamt über 2800 erhobenen Verszeilen ergeben sich 514 für die Untersuchung relevante Satzeinheiten mit finitem Verb. Darunter finden sich 94 Fälle mit dem Verb in dritter oder vierter Position (18,3 %). Die Belege werden samt Analyse der jeweiligen Satzstruktur tabellarisch gelistet. Als häufigste Kategorie (57,4 %) findet sich die Abfolge: Nominalphrase (NP) – Präpositionalphrase (PP) – Verb (V), gefolgt von: PP – NP – V (23,4 %). Bei den Konstituenten in Erststellung handelt es sich in 42,6 % der Fälle um das Subjekt, in 24,5 % der Fälle um das (direkte) Objekt, in den weiteren Fällen um andere grammatikalische Einheiten. In der Poesie ist dieser Sachverhalt zwar nicht die Regel, aber doch relativ häufig. Vermutet wird eine größere Häufigkeit in späteren Texten.
Die zweite Analyse gilt einem Phänomen, das bisher in der He­braistik kaum Beachtung gefunden hat, nämlich der in der Poesie konstatierbaren Abweichung von Subjekt (S) und Objekt (O) von der (in der Prosa) üblichen Wortstellung im Nachfeld des Verbs. Für einige Beispiele lässt sich die »Längeregel« anführen, nämlich die Tendenz, längere Satzkonstituenten am Ende zu platzieren. Konfigurationen mit Subjekt-Verschiebungen nach hinten (V – O – S und V – PP – S) finden sich bei 242 Satzeinheiten innerhalb des untersuchten Korpus in 30 aufgelisteten Fällen (12,4 %). Varianten dieses Satzmusters werden genannt, dazu Faktoren und der Einfluss der Pragmatik (Fokussierung) diskutiert. Verschiebungen des (direkten) Objekts (Platzierung hinter PP) liegen bei 289 Einheiten in 52 Fällen (18 %) vor.
Insgesamt gesehen erweisen sich die aufgeführten Verschiebungen bzw. Nachordnungen (postponement) gegenüber der üblichen Abfolge im Satz als Ausdruck einer in der Versdichtung feststellbaren größeren syntaktischen Flexibilität bzw. Freiheit, die als Verfremdung (defamiliarization) bezeichnet wird. Dabei zeigt die Statistik, dass das Phänomen innerhalb der parallelen Verszeilen (im Bikolon) in etwa gleich ist. Auch Einflüsse und Gründe anderer Art sind nicht hinreichend für schlüssige Aussagen.
Die Studie zeichnet sich aus durch eine methodisch abgestützte, sorgfältige Erhebung des Phänomens der Wortstellungen in einem für statistische Aussagen hinreichenden Korpus ausgewählter bibelhebräischer Passagen. R. legt Schwierigkeiten offen, etwa die Abhebung eines konstitutiven von einem optionalen Satzelement oder die fehlenden Überprüfungsmöglichkeiten durch »na-tive speakers«. Mehrfach wird zwar auf pragmatische, funktionale und poetologische Momente hingewiesen, gleichwohl verbleibt die Studie weithin im Bereich der Grammatik (Syntax). Diesen Umstand kann man als Stärke wie als Schwäche in Anschlag bringen. Die Stärke liegt darin, dass ein solides Datengerüst erarbeitet wurde, das als Ausgangsbasis für weitere Forschung dienlich ist. Die Schwäche liegt nach Ansicht des Rezensenten in der Taxonomie, nämlich der weitgehenden Beschränkung auf die Syntax (ähnlich wie bei O’Connor). Die Poetizität, welche die Syntax überlagert und über sie hinausreicht, scheint zu wenig reflektiert. Zeichnet sich die (bibelhebräische) Versdichtung dadurch aus, dass auch ihre Sprachgestalt Bedeutung generiert (vgl. Jakobson und Lotman), so ist nach der Semantisierung und Funktionalität der erhobenen Phänomene im Ensemble der poetischen Texte zu fragen. Damit wäre freilich eine Überschreitung von der Sprach- zur Literaturwissenschaft verbunden. Insofern hört die Studie dort auf, wo es interessant zu werden anfängt – so jedenfalls nach Meinung desjenigen, der linguistische Phänomene nach ihrem Ertrag für das bessere Verstehen von Texten befragt.