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Ausgabe:

Mai/2016

Spalte:

464-467

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bührer, Walter

Titel/Untertitel:

Am Anfang …Untersuchungen zur Textgenese und zur relativ-chronologischen Einordnung von Gen 1–3.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 440 S. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten Testaments, 256. Geb. EUR 100,00. ISBN 978-3-525-54034-3.

Rezensent:

Michaela Bauks

Die in Heidelberg eingereichte Dissertation von Walter Bührer ist eine literargeschichtliche Untersuchung, die das Verhältnis zwischen der priesterschriftlichen und der nicht-priesterschriftlichen Schöpfungserzählung neu bestimmen will. Sie unterscheidet sich von vorangehenden Monographien schon durch die Textabgrenzung, die statt der gesamten Urgeschichte oder der jeweiligen Einzelerzählung Gen 1–3 untersucht, eine in der antiken Rezeptionsgeschichte sehr geläufige, aber im historisch-kritischen Rahmen eher unübliche Zusammenschau. Die Abgrenzung entspricht der laufenden Debatte, inwiefern sich Gen 1 auf Gen 2–3 (eigentlich Gen 2–4; so Exkurs 4, 263–269) rückbezieht bzw. vice versa (so J. Blenkinsopp, J.-L. Ska, E. Otto, M. Arneth, A. Schüle). Die Dissertation hat somit ein gewichtiges Forschungsdesiderat in Angriff genommen und überzeugend behoben.
Der Vf. startet mit einer ausführlichen Untersuchung des pries­terschriftlichen Schöpfungsberichts in textgeschichtlicher und kompositioneller Perspektive (Kapitel 2: 21–163). Gen 1,3–31 wird wegen der zahlreichen Probleme der vorausgehenden literarkritischen Entwürfe (zuletzt C. Levin, J. Hutzli, T. Krüger) als eine literarisch einheitliche, formelhaft strukturierte Erzählung bestätigt, der trotz der wichtigen (insbesondere textkritischen) Varianten und Unebenheiten innerhalb der Formelsprache auf literarkritischem Wege nicht beizukommen ist (83; so schon W. H. Schmidt u.a.). Breiten Raum räumt der Vf. dem Rahmen der Erzählung in Gen 1,1–2 und 2,1–3 ein. Zwischen absolutem oder relativem Textbeginn durch תישִׁארֵבְּ und der Frage nach parataktischem oder hy-potaktischem Satzgefüge, entscheidet er sich für das absolute Verständnis der Zeitpartikel mit lexem-inhärenter Determination, die drei (bzw. fünf) eigenständige Hauptsätze inkludiert (vgl. E. Jenni und H. J. Stipp). Die eigentliche Schöpfungserzählung be­ginnt in V. 3, wo mit der Wort- und Geschehensformel das charakteristische Formelschema der Gesamterzählung (Wort – Geschehensformel – Tat – Billigungsformel – Tagesformel etc.) einsetzt (93.98). Das Problem, das der Vf. sich damit einhandelt, ist die Frage nach der Bedeutung von V. 2 als creatio ex nihilo (98–110), die »erst später explizit belegt (frühestens 2Makk 7,28) und für diese spätere Zeit bestens erklärbar (als Abgrenzung zur griechischen Naturphilosophie und der Maxime nihil de nihilo)« ist (99; noch später datiert zuletzt richtig B. Schmitz, die er nicht anführt). Hier ist traditionsgeschichtlich m. E. zu kurz gegriffen.
Es geht um den Nachweis der Einheitlichkeit von Gen 1,1–31 im Rückgriff auf vorangehende Entwürfe (Gen 1,1–2 als prologhafte Überschrift mit kontrastiver Vorweltschilderung, vgl. Westermann, Bauks u. a.) gegen jüngere Versuche, diese Einheitlichkeit in Frage zu stellen (101.109 f.). Auch der Schlussteil vom »Schöpfungssabbat« in Gen 2,1–3 ist Epilog und gleichursprünglich zur Erzähleinheit des ersten Schöpfungsberichts zugehörig (129–131). Trotz redundanter Formulierungen in 2,1–2 und dem Vollenden der Arbeit am siebten Tag (LXX korrigiert V. 2a im Anschluss an 1,31 in den sechsten Tag, um Abschluss und Ruhe auf zwei Tage zu verteilen) schafft der Vf. in kompositioneller Hinsicht eine Lösung. »So, wie in 1,1, mit der Einleitung zugleich eine Zusammenfassung des darauf Folgenden vorgenommen wird, nimmt 2,1 das vorausgehende Geschehen zusammenfassend auf« (114). Die Form des Rückgriffs erklärt das vermeintliche Herausstehen aus der Erzählung. Der neu eingeführte und problematisch empfundene Begriff אבָצָ bezeichnet nicht nur das »Himmelsheer« (Dtn 4,19 u. ö.), sondern ist auf die Gesamtheit der belebten Welt bezogen (vgl. die innerbiblische Rezeption in Ex 20,9–11 und Neh 9,6; mit Gunkel). Das Verb הלכ bezeichnet in 2,1 f. nicht den Vorgang des Abschließens, sondern das Faktum des Abschlusses (mit Cassuto u. a.).
Das Kapitel mündet in Überlegungen zur Gliederung der als einheitlich vorausgesetzten Erzählung: eine Schöpfungserzählung im engeren Sinne (die formelhafte Erzählung in 1,3–31) und weiteren Sinne (mit Pro- und Epilog in 1,1 f. und 2,1–3). Zusammenhalt gewährt das Sieben-Tage-Schema (136.140). Bezüglich der Gesamtkomposition vertritt der Vf. wegen expliziter Stichwortbezüge innerhalb P zu Gen 2,1–3 (zu O. H. Stecks Entwurf [1975] u. a. in Exkurs 2) die Analogie von Schöpfung und Heiligtumbau sowie die expliziten Rückbezüge des Epilogs zum Prolog (2,1 → 1,1; 2,2–3 → 1,2) (129 f.139).
Gen 2,4a ist als ein redaktioneller Brückenvers verstanden, der in Inversion zu der auffälligen, wegen der Konzentration des zweiten Schöpfungsberichts auf die Erde aber durchaus treffenden Formulierung »Erde und Himmel« (indeterminiert; 206) in V. 4b einen Einschnitt markiert. Hier folgt der Vf. der »klassischen Lösung«, dass diese Formel, wenn auch in unerwarteter Schlussposition, an die Reihe der priesterschriftlich aufgenommenen Toledotformulierungen anschließt (vgl. dazu Exkurs 3), welche sonst auf Personen referieren und die priesterschriftlichen Texte ein-, nicht aber ausleiten. Der Annahme einer ursprünglichen Umsetzung an den Anfang von Gen 1 widerspricht die doppelte Überschrift und deutet vielmehr auf einen redaktionellen Vers (147) in deutlicher Inklusion mit Gen 1,1 (Schöpfung von Himmel und Erde – determiniert) und 5,1–2 (Toledot). Da die Wurzel דלי außerdem in Gen 3–4 verwendet ist, lässt dieser Vers den gesamten Textblock von Gen 1–5 in den Blick nehmen (150). Der Übergangs(halb)vers zu Gen 2,4b ist gestaltet als Periphrase der Einleitung der zweiten Erzählung, um den Widerspruch zwischen Abschluss der Schöpfung in 2,3 und Anfang der Schöpfung in 2,4b auszugleichen (151).
Auch die umfassende Text- und literargeschichtliche Untersuchung von Gen 2,4b–3,24 zielt auf weitgehende Einheitlichkeit (Ka­pitel 3; 165–173). Zu den zwei großen Traditionen (Menschenschöpfungs- und Paradieserzählung – die Bezeichnung als Sündenfallerzählung schließt der Vf. zu Recht aus; allerdings würde ich auch »Paradies« vorsichtig verwenden) kommen deutlich wahrnehmbar Einzelmotive hinzu, d. h. die »überlieferungsgeschichtliche Polysemie von Gen 2 f. steht also außer Frage« (166). Doch ist offensichtlich, dass »eine befriedigende methodisch kontrollierbare überlieferungsgeschichtliche [geschweige denn quellenkritische] Erklärung der Textentstehung, die über die Feststellung aufgenommener Traditionsmaterialien aus dem mündlichen Bereich hinausgeht, kaum er­reichbar ist.« (172) Ebenso kritisch äußert sich der Vf. gegenüber literar- oder redaktionskritischen Erklärungsversuchen innerhalb eines Er­gänzungsmodells, das auf der Unterscheidung in eine Schöpfungs- und Paradieserzählung basiert, von denen die eine der anderen – vom jeweiligen Erklärungsmodell abhängig – hinzugefügt worden sei (173 f.). Das dichte Gefüge legt er dar anhand der inklusorischen Verklammerung beider Traditionen durch Gen 2,5 und 3,23 (המָדָאֲ), der mehrfach changierenden Bedeutung des Be­griffs םדָאָ, die sich äußerst reflektiert durch die Erzählung zieht (vgl. 187–191), und – daran anhängig – anhand der Bedeutung der Frau für die Gesamterzählung, mit deren Erschaffung die Menschenschöpfung abgeschlossen ist, ohne dass der Mensch seiner Bestimmung, die המָדָאֲ zu bebauen, nachkäme, da er noch innerhalb des Gartens verweilt (176).
Letztlich weisen auch hier die redaktionskritischen Erklärungs-modelle »selber mehr Probleme auf als der überlieferte Text von Gen 2 f.« (180). Infolge dieser Beobachtungen vertritt der Vf. die »These der weitgehenden überlieferungsgeschichtlichen und literarischen Einheitlichkeit« von Gen 2 f. auf vorliterarischer und literarischer Ebene und erwägt nur zwei Passagen als spätere Zusätze, die sogenannte Paradiesgeographie in Gen 2,10–14 + V. 15 und evtl. 3,24 (175.180). Er untermauert seine These durch ausführliche, textkri-tische Beobachtungen integrierende Un­tersuchungen zur Gottes-bezeichnung JHWH Elohim, zum Be­deutungswechsel von םדָאָ »Mensch, Mann, Menschheit« sowie zu Ge­brauch und Bedeutung von ןדֶצֵ als Termini, die, häufig als Argument für literarkritische Operationen angeführt, nun synchron in ihrer narrativen Funktion und polyvalenten Bedeutung erklärt werden.
So ist z. B. Elohim nicht als Gottesname, sondern als Appellativum (zur Kombination mit JHW vgl. Elephantine Briefe) theologisch zu verstehen und dient funktional der Betonung der Majestät Gottes in Unterscheidung von der Niedrigkeit der Menschen (184 f.). Davon müsste allerdings die Verwendung in Gen 3,1–5 deutlicher abgesetzt werden, als der Vf. es tut. Das Spektrum von singularischer zu pluralischer Bedeutung von Elohim in V. 5 und 22 zeigt m. E., dass es nicht um das Majestätische des Gottes Israels, sondern um das Göttliche schlechthin geht. Doch wird die Majestät JHWHs (s. 3,22) von der Errungenschaft der Göttergleichheit der Menschen nicht berührt, sondern führt zur Vertreibung. Im Kontext von Gen 2–4, in dem die differierende Gottesbezeichnung JHWH (Gen 4) anstelle von JHWH Elohim als gewichtiges Gegenargument gegen die literarische Einheit angeführt wurde, ist der Wechsel in überzeugender Weise theologisch interpretiert: Gen 2–3 lässt zwar erkennen, dass der Mensch gottähnlich, aber eben nicht JHWH-gleich geworden ist. Die daraus resultierende Grenzziehung zwischen Gott und Mensch (»Vertreibung«) findet ihren Niederschlag in der Tilgung des Appellativums, indem des Weiteren nur noch von JHWH die Rede ist (267). Der Vergleich mit der LXX-Übersetzung ergibt, dass sich auch hier deutliche Eintragungen in der Verwendung des Gottesnamens finden, die sich letztlich aus der Zusammenschau mit dem ersten Schöpfungsbericht erklären, um innerhalb der gesamten Urgeschichte dem Schöpfergott Elohim/ θεός (Gen 1) den mit den Menschen interagierenden κύριος ὁ θεός gegenüberzustellen, wobei in Gen 2–3 die jeweilige Bezeichnung je nach Rolle aufgeteilt verwendet ist (186.203; mit M. Rösel). Widersprüchlich ist, dass er 3,22–24 für ursprünglich einheitlich hält, V. 24 aber auch als Ergänzung zur Paradiesgeographie in tempeltheologischer Absicht ansieht. Schon Blum merkte an (2004), dass trotz der wahrnehmbaren Digression kein literarischer Bruch auszumachen und von überlieferungsgeschichtlichem Wachstum auszugehen ist.
Im vierten Kapitel geht es um das kompositionsgeschichtliche Ne­beneinander und die chronologische Zuordnung der beiden Erzählungen im produktionsästhetischen Sinne von Intertextualität mit dem Ziel, die gegenseitige Abhängigkeit zu bestimmen (275–375). Der Vf. zeigt die Aporien von Sprachvergleich und Systemreferenz auf, wie sie die Intertextualitätsforschung breit diskutiert, um z. B. Koinzidenzen, die sich dem Gemeingut Sprache oder der gemeinsamen geistigen Heimat verdanken, als zu kurz greifende Kriterien auszuschließen und vermutete Textreferenzen hinsichtlich ihrer kumulativen Evidenz zu prüfen (281 f.). Er kommt anhand der von D. Carr entwickelten Bewertungskriterien (2011) wie z. B. dem Verschmelzen von Texten, von inhärenten, nicht artikulierten Voraussetzungen bzw. Zügen der Textauslegung im jeweiligen Folgetext zu dem Schluss, dass die notwendigen Kriterien für eine Text-Text-Bezugnahme nicht ausreichend erfüllt sind, um ein Abhängigkeitsverhältnis von Gen 2–3 zu 1 (oder vice versa) zu erkennen (283 f.). Die zuletzt postulierte Spätdatierung von Gen 2–3 basiert auf der Beobachtung spätweisheitlicher, nach-priesterlicher und auch spätdeuteronomistischer Sprache und Themen/Motive, die sich für die chronologische Bewertung als wenig stichhaltig erwiesen (290 ff.). Zudem fehlen eine Wiederaufnahme aller wichtigen P-Struktur-Elemente (Sieben-Tage-Schema; Formelsprache) sowie die charakteristischen Themen wie Gottebenbildlicheit und Wortschöpfungstheologie (313–354). Deshalb plädiert der Vf. sehr überzeugend für »zwei ehedem eigenständige Erzählungen im Sinne eines Quellen- oder Fragmentenmodells […], die zu einem späteren Zeitpunkt von einem Redaktor nebeneinander gestellt und durch Gen 2,4a miteinander verbunden wurden« (354). Auch die häufig bemühten intertextuellen Bezüge zu Hi 15,7 f. (»Urmenschmythos«) und Ez 28,11–19; 31 bewertet der Vf. kritisch wegen der Vielzahl an Differenzen. All diese Beobachtungen lassen ihn eine vorexilische Datierung von Gen 2–3 erwägen (369).
Wenig überzeugend ist B.s Kritik an dem weisheitlich verorteten Sitz im Leben von Gen 2–3 (290 ff.370 ff.): Doch, in welche Tradition gehört der Schöpfungsmythos, wenn nicht in eine weisheitliche? Die Überlegung, dass der Lebensbaumbeleg in Prv 3,18 eine Aufnahme von Gen 2–3 darstellen könnte, verführt den Vf. zu ähnlichen Zirkelschlüssen wie die der Kollegen in puncto Spätdatierung (299.303–305). – Unverständlich ist mir auch das Argument, dass bzw. wie die Partizipien in Gen 2,10–14 oder 3,5 »der Fortführung der Erzählung dienen« (215) können, sind sie doch – anders als im Neuhebräischen – charakteristisch für den Modus von Hintergrundschilderung und Beschreibung.
Die Studie ist äußerst detailreich, methodisch reflektiert, sehr solide gearbeitet und gut lesbar verfasst. Sie stellt einen äußerst ge­wichtigen Beitrag für die aktuelle Urgeschichtsforschung dar, welcher die Frage der Bezogenheit von Gen 1 und 2–3 umfassend untersucht, überzeugend nachvollzieht und zudem in methodischer Hinsicht (Intertextualitätsforschung) neue Wege weist.