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Ausgabe:

April/2016

Spalte:

424-426

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hermelink, Jan, u. Alexander Deeg[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Viva Vox Evangelii – Reforming Preaching.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 435 S. = Studia Homiletica, 9. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-03303-4.

Rezensent:

Wilhelm Gräb

Der Band dokumentiert die internationale Konferenz der Societas Homiletica, die im August 2012 in Wittenberg stattfand. Herausgegeben wurde er vom Göttinger Praktischen Theologen Jan Hermelink, damals der Präsident der Societas Homiletica, sowie dem Leipziger Praktischen Theologen Alexander Deeg, der als Inter-nationaler Sekretär dieses im Zweijahresabstand stattfindenden internationalen homiletischen Forums fungiert. Die Societas Ho­miletica wurde Mitte der 1980er Jahre von dem Heidelberger Praktischen Theologen Rudolf Bohren und dem Berliner Praktischen Theologen Klaus-Peter Jörns ins Leben gerufen. Sie hat sich inzwischen zu einer respektablen Plattform für den internationalen Austausch in Fragen der Theologie und Praxis des Predigens entwi-ckelt. An der Wittenberger Konferenz nahmen ca. 140 Praktische Theologen sowie im kirchlichen Verkündigungsdienst stehende Prediger und Predigerinnen aus aller Welt teil.
Der Kongressband enthält die Presidential Address von Jan Hermelink sowie die »Keynote Lectures«, auf die jeweils aus einem anderen geographischen Kontext mit einer umfänglichen »Response« reagiert wurde. Sodann sind dem Band die Predigten beigegeben, die in den Gottesdiensten während der Konferenztage gehalten wurden. Den umfänglichsten Teil des Bandes machen die Working Papers aus. Abschließend kommt zum einen der junge Praktische Theologe Júlio César Adam aus Sao Leopoldo, Brasilien, zu Wort, der auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen in der homiletischen Ausbildung ein Resümee der Wittenberger Konferenz zieht, zum anderen die Homiletikerin Lucy Hogan aus Washington DC, die auf die Hauptvorträge noch einmal reagiert und zum Ausdruck bringt, was sie dabei zur weiteren homiletischen Reflexionsarbeit angeregt hat.
Es würde den Rahmen der Besprechung dieses umfänglichen und in der Fülle der thematischen Perspektiven reichhaltigen Bandes sprengen, wollte der Rezensent auf jeden der Beiträge eingehen. Was hier getan werden kann, ist nicht mehr, aber auch nicht weniger, als die Signaturen kenntlich zu machen, die der vorliegende Band in homiletisch-konzeptionellen Fragen erkennbar werden lässt. Zu diesem Zweck beginne ich mit dem Verweis auf den Beitrag des Homiletikers von der Universität Stellenbosch, Südafrika, Johan Cilliers (161–180), der gegenwärtig der Präsident der Societas Homiletica ist und im März 2016 den nächsten Kongress in Stellenbosch ausrichten wird (http://www.societas-homiletica.org/). Als Schüler Rudolf Bohrens, bei dem er in den 1980er Jahren an seiner Dissertation zu Fragen der Predigtanalyse und Predigtkritik gearbeitet hat, gehörte er bereits zu den Gründungsmitgliedern der Societas Homiletica. Er ist nun auch derjenige, der in seinem Kongressbeitrag nicht nur an das erste »International Symposion on Preaching« vom 8. bis 12. Oktober 1986 in Heidelberg erinnert, sondern auch deutlich macht, wie sehr sich das Unternehmen einer Internationalisierung der Homiletik den Impulsen von Bohrens Predigtlehre bis heute verdankt (vgl. Anm. 22; 165 f.). Bohren wollte an einem theologisch steilen, auf das geistbewegte Ereignis des Wortes Gottes setzenden Predigtbegriff festhalten, ebenso aber auch die situationsbewusste und kontextsensible menschliche Sinnes- und Geisteskraft und damit die menschliche Arbeit am Gelingen der Predigt des Evangeliums in Anspruch nehmen. Die Leitfrage der Bohrenschen Predigtanalyse und -kritik, die Johan Cilliers erneut aufführt und dann auch in seiner Analyse einer Predigt des südafrikanischen Theologen und Anti-Apartheid-Kämpfers Allan Boesak durchführt, lautet demnach so: Entspricht diese Predigt, die ganz und gar menschliches Wort ist, dem Wort Gottes so, dass es dieses in einer bestimmten Situation als eine prophetische Stimme, die richtend und rettend in die menschliche Situation eingreift, zu Gehör bringt? Was Cilliers dann nicht mehr erörtert, ist allerdings die Frage, ob eine solche Fassung des homiletischen Problems nicht doch immer schon eine positionelle Bestimmung bzw. eine dogmatisch-theologische, in Grundsätzen ausformulierte Fassung dessen, was als Wort Gottes soll gelten können, voraussetzt, oder aber – zumindest implizit – die schlichte Identifizierung des Wortes Gottes mit dem biblischen Text verlangt.
Einer solchen Fassung des Verkündigungsparadigmas, wonach das »Evangelium« die, an sich selbst gewissermaßen kontextunabhängige, mit dem biblischen Zeugnis vorgegebene, normative Größe darstellt, es demgegenüber dann aber die entscheidende Aufgabe der Predigt sei, das eine Wort Gottes in der Vielfalt der Stimmen (so auch der Eröffnungsvortrag von Jan Hermelink; »Viva Vox Evangelii« – Preaching the Gospel in a multitude of Voices, 13–30) zu lebendiger Wirkung in den unterschiedlichen Kontexten und Situationen der globalisierten Welt zu bringen, durchzieht die zahlreichen Beiträge dieses Bandes gleichsam wie ein roter Faden. Einige wenige Beiträge machen allerdings dann doch sehr deutlich darauf aufmerksam, dass der Kontext, in dem gepredigt wird, und die Situation der Hörenden, in die hinein gepredigt wird, enorme Rückwirkungen auf die homiletische Auslegung des bi-blischen Textes bzw. des ihm abgewonnenen »Evangeliums« hat – und damit dann die Hörenden in ihrer Situation erreichenden, sie tröstenden, zum Glauben, zur Hoffnung und zur Liebe ermutigenden Auslegung. Hier sticht besonders die Response von Raymond Khumalo, Praktischer Theologe von der University of KwaZulu-Natal in Pietermaritzburg, Südafrika (Who is Preaching: The Preacher or Symbols and Rituals? 69–82), hervor. Khumalo fragt nach einer Predigt, die die traditionelle kirchliche Symbolsprache hinter sich lässt und in enger Korrespondenz mit der Gemeinde und im Hören auf die Hörenden zur Sprache bringen kann, was diese Menschen hier und jetzt bewegt und beschäftigt, sie be­drückt und belastet, um sie durch eine ihnen verständliche Ausrichtung der christlichen Botschaft mit neuer Hoffnung und Lebensmut zu erfüllen. Nicht darum, so Khumalo, sollte es gehen, die traditionellen christlichen Symbole immer wieder neu auszulegen und an sich verändernde Situationen anzupassen, sondern in der Sprache unserer Zeit und nah am alltäglichen Lebenskampf der Menschen sagen zu können, wie und wodurch der christliche Glaube eine Hilfe zum Leben ist. Khumalo verweist auf das Beispiel der African Initiated Churches (AIC), in denen die Predigt, eingebunden in ein die Gemeinde aktiv beteiligendes gottesdienstliches Ritual, vielfach eine ganz überraschend performative Kraft freisetzt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Verweis, den Júlio César Adam, der Praktische Theologe aus Sao Leopoldo, in seinem den Band abschließenden Kommentar macht (427–432). Er stellt die Predigtweise der in Südamerika ganz besonders prosperierenden Neopentecostalen Kirchen vor, die ebenfalls durch das energische Bemühen charakterisiert ist, das Evangelium nicht mit der Brille exegetischer und dogmatischer Aufstellungen auszulegen, sondern als emotional eindringliche, den Verstand ansprechende und zur Bewältigung des Lebens befähigende Geis­teskraft zur Ausführung zu bringen.
Insgesamt gibt der Band einen eindrücklichen Einblick in die Wahrnehmung und Bearbeitung des homiletischen Problems, das in der Tat, wie das Thema des Wittenberger Kongresses der Societas Homiletica anzeigt, in der Frage nach der immer neuen Aktualität und damit Wirksamkeit des »Evangeliums« besteht – und dies auf internationaler Ebene. Er zeigt freilich auch – vielleicht war daran aber auch der Tagungsort Wittenberg schuld –, wie groß die Neigung gerade unter Homiletikern ist, der Härte des homiletischen Problems durch die Flucht in die traditionelle, sich als »biblisch« oder »reformatorisch« ausgebende Verkündigungssprache dann doch auszuweichen. Dass das homiletische Gespräch im internationalen Austausch geführt wird, ist jedoch ein großes Verdienst der Societas Homiletica, das es uneingeschränkt zu loben gilt. Zu kritisieren bleibt dem Rezensenten zuletzt lediglich der Umstand, dass dem Band kein Autorenverzeichnis beigegeben wurde. Das gerade ist doch bei der Dokumentation einer internationalen Konferenz besonders wichtig.