Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2016

Spalte:

409-411

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Siebenrock, Roman A., u. Christoph J. Amor [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handeln Gottes. Beiträge zur aktuellen Debatte.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2014. 552 S. = Quaestiones disputatae, 262. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-451-02262-3.

Rezensent:

Michael Murrmann-Kahl

Der vorgelegte Sammelband mit seinen 18 Beiträgen geht auf das (seit 1997 bestehende) Forschungszentrum »Religion-Gewalt-Kom-munikation-Weltordnung« an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck zurück, das sich von 2006 bis 2010 mit dem titelgebenden Thema »Handeln Gottes« befasst hat. Dafür kooperieren vornehmlich die systematische und Praktische Theologie der katholischen Fakultät miteinander, die sich jeweils das Profil der »Dramatischen« bzw. »Kommunikativen Theologie« gegeben haben (9–13). Die »Dramatische Theologie« schließt dabei an H. U. von Balthasar, W. Pannenberg (Offenbarung als Geschichte) und besonders die Sozialtheorie (Opfer und Riten; Sündenbocktheorie) von René Girard an. Prägend ist für diese Systematische Theologie der Einfluss von Raymund Schwager SJ (1935–2004) geworden, der den Interpretationsschlüssel des »Dramatischen« für das Verständnis von Bibel und Offenbarung bestimmt hat. Der Entwurf der Praktischen Theologie wird durch die Rezeption der »Themenzentrierten Interaktion« TZI charakterisiert. Insofern hat man es bei der Publikation mit den Resultaten eines sehr spezifischen universitären »Theotops« zu tun, dessen Voraussetzungen jeweils für sich diskussionswürdig wären. Andere Autoren zum Thema wie Christian Danz werden zwar genannt (12 f., Anm. 4), spielen aber in der Entfaltung keine erkennbare Rolle.
Der Band ist in fünf Abteilungen gegliedert. Im ersten Abschnitt geht es um die Grundlegung in Schrift (besonders den Osterzeugnissen) und Tradition (21–101), der zweite bemüht sich um weitere begriffliche Differenzierungen (103–172). Die dritte und vierte Abteilung behandeln Fragen des Handelns bzw. Wirkens Gottes zunächst systematisch (173–302), dann existentiell (303–415). Der letzte Teil (417–534) widmet sich der Spurensuche in unterschiedlichen Lebensbereichen. Schon diese Überschriften verdeutlichen das grundsätzliche Problem, dass die Autoren weitgehend »Handeln« und »Wirken« Gottes synonym verwenden, was ihnen natürlich ein weites Feld an Anwendungsmöglichkeiten erschließt. Allerdings bleibt das uneindeutige Changieren zwischen einer per sonalen Vorstellungsweise Gottes (Handeln wie eine Person in Zweck-Mittel-Relationen) und der eher anonymen »Wirkung« (Kausalschema: göttliche Eingriffskausalität, damit verknüpft auch die Wunderproblematik: siehe den Beitrag von Chr. J. Amor, 265–302, zu D. Hume, K. Ward und R. Swinburne) klärungsbedürftig. Die Rahmung der Beiträge durch ein Vor- und Nachwort von R. A. Siebenrock (12–19.535–546) lässt insofern auch auf gewisse Selbstverständigungsprobleme angesichts der Fülle des (An-)Gebotenen schließen (siehe 539 f.). Leitend scheint dabei eine insgesamt eher apokalyptische Gegenwartsdiagnostik zu sein: »Jede mögliche Antwort heute […] steht im Kontext einer apokalyptischen Krise, die in einer Entfesselung der Gier, des Neides und des Begehrens besteht, das sich auf Güter und Waren stürzt, und auch religiöse Angebote rasend ge- und verbraucht. Von diesem Prozess sind alle Wissenschaften kontaminiert […].« (545) Darum fokussiert die »Dramatische Theologie« besonders auf die »Kontaminierung durch das Schuldverhängnis« (541) und die »Kommunikative Theologie« auf die Differenzen und Störungen individueller und sozialer (auch Glaubens-)Prozesse (544). Warum sich die Welt ausgerechnet von Innsbruck aus in solch apokalyptischen Farben darstellt wie sonst vor einem Menschenalter nur von Frankfurt, hätte man gerne erfahren.
Im Rahmen einer Rezension können nicht alle Beiträge gleichermaßen gewürdigt werden. M. Hasitschka und M. Stare ver-gegenwärtigen die Rede vom Handeln Gottes am neutestament-lichen Zentraltopos der Auferweckung des gekreuzigten Jesus (23–40). F. Gmainer-Pranzl setzt zu Recht diese Redeweise der Konfrontation mit E. Troeltschs Methodenaufsatz aus (41–67, hier 49 ff.). Die behauptete prinzipielle Gleichartigkeit des historischen Geschehens (Kritik, Analogie und Korrelation) kollidiert mit dem beanspruchten »besonderen Handeln Gottes« insbesondere in der Auferweckung des Gekreuzigten. Gmainer-Pranzl versucht im An­schluss an die Einsprüche R. Schwagers dagegen (54 ff.) wenigstens so etwas wie die » Fremdheit des Handelns Gottes« zu retten im Sinne des »Offenhaltens« der Frage nach dessen Anspruch und Wirklichkeit (67). Ähnlich angelegt sind die begrifflich orientierten Beiträge von O. Muck (105–131, mit der Differenzierung von religiösem Vollzug und Reflexion darauf) und W. Sandler (132–172, hier 148 ff.). Bei ihnen und dem Aufsatz des Innsbrucker Bischofs M. Scheuer (88–101) spielt konfessionsspezifisch thomanisches Denken eine leitende Rolle. R. A. Siebenrock bringt darüber hinaus die ek­klesiologische Perspektive ein, wenn er die Sakramente »als Kriteriologie unserer Rede vom Handeln Gottes« auslegt (238–264).
Für den evangelischen Leser ist in diesem Zusammenhang der Beitrag des theologischen Ethikers W. Guggenberger interessant, der dem Thema am Beispiel Dietrich Bonhoeffers nachgeht (359–389). Gerade auf dem Feld der politischen Ereignisse (in der Zeit des Nationalsozialismus) ist man mit einem Zulassen Gottes konfrontiert (373). Bonhoeffers »grundlegende Überzeugung hinsichtlich der handelnden Präsenz Gottes in der Geschichte« (386) unterlag aber offenkundig auch zahlreichen Zweifeln und Anfechtungen. Wolfgang Palavers dazugehörige Überlegungen zur Vorsehungsthematik (443–470) nehmen leider keinen Bezug auf die Gestalt Bonhoeffers, obwohl sich dieses Beispiel durchaus angeboten hätte (siehe 464 ff.).
Im Kontext existentieller und insbesondere spiritueller Erfahrungen thematisieren Stephan Leher und Teresa Peter die strikt individuelle Perspektive (305–336): »Kann Gott in der einzelnen Frau, im einzelnen Mann wirken?« (307) Sie beziehen sich dabei nicht zuletzt auf künstlerische Zeugnisse (siehe auch den kunstgeschichtlichen Beitrag von S. K. Moser-Ernst zur Theorie des Bildes, 508–534) und als Beispiel auf die österreichische, aus Kärnten stammende Dichterin Christine Lavant (1915–1973), die zurzeit anlässlich ihres 100. Geburtstags wiederentdeckt wird. Ihre Dichtung steht für die Problematik, »dass das Flehen um ein Eingreifen oder Wirken Gottes im Sinne einer Leidenserleichterung nicht notwendigerweise zu einer derartigen Wirkung und spürbaren Linderung führt« (322). Die Erfahrung der Verborgenheit Gottes findet in dieser weiblichen Hiobsgestalt einen beredten Ausdruck. Wenn U. Öhler über »Gottes Handeln im Leben chronisch gewalttraumatisierter Frauen« aus einer empirischen Studie berichtet (419–442), wird auf solche grundlegenden Ausführungen leider kein Bezug genommen.
Die Verbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen stellen sich (bestenfalls) im Auge des Betrachters her. Angesichts der vielfältigen Perspektiven aufs Thema legt man den Sammelband trotz interessanter Akzente insgesamt eher verwirrt denn belehrt aus der Hand.